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Wirtschaft: „Eine Million Häuser vergessen“

Wie Forscher Fehler machen

REINHARD SELTEN (73)

ist emeritierter Wirtschaftsprofessor in Bonn.

Er gewann 1994 den

Wirtschaftsnobelpreis. Foto: Ullstein/Grabka

Herr Selten, wie gut sind eigentlich Wirtschaftsprognosen. Kann man genau so gut in eine Kristallkugel schauen?

Nein. Im Wirtschaftsbereich sind kurzfristige Prognosen gar nicht so schlecht. Aber ganz genau können sie natürlich nicht sein. Denn die statistischen Daten, mit denen die Prognosen errechnet werden, sind mit vielen Fehlern behaftet. Bei einer Häuserzählung in den USA sind zum Beispiel einmal eine Million Häuser vergessen worden. Man kann zufrieden sein, wenn man die Wachstumsrate auf ein Prozent plus oder minus richtig vorhersagt.

Brauchen wir Prognosen überhaupt?

Selbst wenn sie unsicher sind, muss man sie machen. Die Regierung muss ja schließlich Steuerschätzungen haben, denn sonst kann sie ihr Budget nicht aufstellen. Gar nicht zu planen, wäre völlig falsch. Ein Schachspieler wird schließlich auch immer davon überrascht werden, was der andere tut. Und trotzdem: Wenn er sich gar keine Gedanken mehr machen würde, sondern einfach irgendeine Figur ziehen würde, wäre er schnell am Ende mit seiner Partie. Man muss auf der Grundlage von Prognosen Pläne machen, um schlimme Fehler zu vermeiden. Alle Fehler vermeiden kann man jedoch nicht.

Warum sind die Prognosen oft so unterschiedlich?

Zum Teil ist das interessenbedingt. Die Regierung wird natürlich optimistisch sein, da dieses Szenario für sie günstiger ist. Hoffnung und Pessimismus spielen immer mit, wenn man die Prognose erstellt. Genauso wie der Regierung oft übertriebener Optimismus vorgeworfen wird, kritisiert man beispielsweise die Klimawissenschaftler für ihre extrem pessimistischen Vorhersagen. Sie verfolgen das Interesse, die Öffentlichkeit damit wachzurütteln.

Können ungenaue Prognosen Schaden anrichten?

Es kann schon sein, dass sich Leute bei guten Wachstumsprognosen entschließen, Aktien zu kaufen, obwohl sie dies sonst nicht tun würden. Aber es liegt in der Verantwortung des Einzelnen, dies abzuwägen. Man muss Prognosen grundsätzlich vorsichtig bewerten. Es gibt ja auch immer unerwartete Ereignisse, die eine positive Prognose zunichte machen können. Zum Beispiel die Seuche Sars, die in diesem Jahr enorme wirtschaftliche Auswirkungen hatte. So etwas kann niemand vorher wissen.

Macht die Wirtschaftswissenschaft Prognosen immer genauer?

Nein. Aber umfassendere Datensammlungen und die Entwicklung der Informationstechnologie werden die Prognosen immer genauer machen. Grundsätzlich gilt aber: Je kurzfristiger die Prognosen sind, desto verlässlicher sind sie auch.

Das Gespräch führte Flora Wisdorff .

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