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Selbst schalten und walten. Vom Praktikum in die Ausbildung: Das ist das Ziel der Qualifikationsprogramme.

© dpa

Einstiegsprogramme: Eine Chance für die Chancenlosen

Bundesagentur bilanziert die Einstiegsprogramme für schwer vermittelbare Jugendliche. Telekom will Tests zur Personalauswahl überarbeiten.

Berlin - Für ihn ist es die letzte Möglichkeit, glaubt Emre Ergewekon. „Das Programm hat mein Leben gerettet“, sagt der 26-jährige Münchner mit den türkischen Wurzeln. Was er als Vater von drei Kindern heute machen würde, wenn sein Fallmanager beim Jobcenter ihn nicht vor genau einem Jahr in ein Erstqualifikationsprogramm bei der Telekom gebracht hätte – er weiß es nicht. Fünf Jahre hatte sich Ergewekon nach dem Fachabitur mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, weil er keine Ausbildungsstelle fand. Viele hätten ihn wegen der Kinder nicht genommen, sagt er. Einmal habe er auch von einem Arbeitgeber zu hören bekommen, er würde grundsätzlich nicht mit Türken zusammenarbeiten.

Jetzt sitzt Ergewekon in einem Konferenzzimmer der Repräsentanz der Telekom in Berlin. In Kürze wird er bei dem Konzern als IT-Systemelektroniker anfangen. Die Erleichterung darüber steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ein paar Plätze rechts von ihm sitzen Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom und Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie haben zu dem Termin geladen, um gemeinsam eine Bilanz der Erstqualifikationsprogramme (kurz: EQs) zu ziehen. Emre Ergewekon haben sie als Beleg für den Erfolg der Maßnahme mitgebracht.

Die Telekom hatte 2009 61 Jugendlichen mit Hartz-IV-Hintergrund, die durch das klassische Einstellungsraster gefallen sind, ein zwölfmonatiges Praktikum gewährt. Das ist ein kleiner Teil der rund 30 000 Jugendlichen, die die Bundesagentur für Arbeit seit 2006 jährlich auf diese Weise fördert. Die meisten Praktikanten landen in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Kosten für das gesamte Programm betrugen im vergangenen Jahr rund 71 Millionen Euro.

Gut angelegtes Geld, finden Alt und Sattelberger. Über die Jahre wurden im Durchschnitt 60 Prozent der Praktikanten in ein Ausbildungsverhältnis übernommen. Bei der Telekom waren es jetzt sogar noch ein paar mehr: Von ihren 61 mit 212 Euro im Monat vergüteten EQlern übernimmt die Telekom jetzt nach einem Jahr 50 in ein Ausbildungsverhältnis. 42 davon, darunter auch Ergewekon, sollen im Herbst direkt im zweiten Ausbildungsjahr einsteigen. Das Experiment zeige, dass es sich lohne, vermeintlich schwachen Jugendlichen eine zweite Chance zu geben, sagt Sattelberger. Er denkt über eine Verlängerung der ursprünglich auf vier Jahre und 270 Praktikanten angelegten Partnerschaft nach.

Motivation für dieses bundesweite Pilotprojekt ist jedoch nicht nur soziales Engagement, sondern auch strategisches Kalkül. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels von zwei Millionen Menschen bis 2020 könne man es sich nicht leisten, junge Leute links liegen zu lassen, erklärten Alt und Sattelberger. Laut Bildungsbericht wird in den kommenden Jahren die Altersgruppe der unter 20-Jährigen und damit die der potentiellen Auszubildenden um 16,5 Prozent schrumpfen. Derzeit gibt es laut BA rund 300 000 arbeitslose Jugendliche, davon hat jeder zweite keine Berufsausbildung. Die Demografie „gibt eine klare Richtung vor und damit auch eine notwendige Strategie, kein Talent darf ungenutzt bleiben“, sagt Alt. Pauschalverurteilung wie „Generation kann nix“ führten nicht weiter.

Deshalb will jetzt auch die Telekom umdenken. „Die traditionellen Personalauswahlverfahren greifen zu kurz“, erklärt Personalchef Sattelberger. Konsequenzen aus dieser Erkenntnis seien bereits gezogen worden: Künftig sollen Einstellungstests stärker auf individuelle Begabungen hin orientiert sein, statt Standards abzufragen, und auch die Interviewleitfäden für Bewerbungsgespräche sollen in diesem Sinne überarbeitet werden, kündigt der Telekomvorstand an.

Ein ähnliches Projekte wie das der Telekom unterstützt die BA auch bei Siemens. Zum Herbst stellt der Elektronikkonzern inzwischen zum dritten Mal 250 Ausbildungsplätze für benachteiligte Jugendliche zur Verfügung, fördert diese speziell und investiert rund 30 Millionen Euro. Mit dem Programm habe man gute Erfahrungen gemacht, heißt es bei Siemens.

Auch die IHK Berlin kann an den Erstqualifikationsprogrammen nur Gutes entdecken. Es sei schon vorgekommen, dass ein ehemals als nicht vermittelbar geltender Jugendlicher später Klassenbester wurde. Laut einer IHK-Sprecherin beteiligen sich in der Hauptstadt besonders Handelsketten, Tankstellen und Dienstleister an den Maßnahmen.

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