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Elektrotechnik: "Ich rechne mit einer Insolvenzwelle"

Friedhelm Loh, Präsident des Elektrotechnik-Verbandes ZVEI, über Kurzarbeit, Entlassungen und die Zeit nach der Krise.

Herr Loh, Sie sind Unternehmer. Wie ist das, seinen Leuten sagen zu müssen: Du musst gehen, weil ich keine Arbeit mehr für Dich habe?



Meine Unternehmensgruppe ist 40 Jahre lang gewachsen und für uns ist das eine völlig neue Situation. Ein Teil der Beschäftigten ist bereits in Kurzarbeit, wir diskutieren aber auch über Entlassungen. Viele Ehefrauen schicken Briefe an mich, drei vier Seiten lang, handgeschrieben, und bitten darum, ihre Männer nicht zu entlassen. Da brechen Welten zusammen.

Wie gehen Sie damit um?

Mich, wie die meisten Manager, lässt das nicht kalt. Für uns ist das eine große Belastung, Mitarbeiter entlassen zu müssen, von denen viele schon Jahre im Unternehmen gearbeitet haben. Am Anfang haben die Mitarbeiter noch nicht realisiert, dass die Krise auch sie betreffen könnte. Wenn ich jetzt durch meine Werkshallen gehe, sehen die Leute mich mit fragenden Augen an. Was sollen Sie da sagen? Dass wir gestärkt aus der Krise hervorgehen werden, sie aber leider ihren Arbeitsplatz verlieren? Da hilft nur ehrliche, offene Information.

Wie schlimm wird die Entlassungswelle?

Wie wir haben viele Unternehmen den guten Willen, mithilfe von Kurzarbeit den Herbst zu erreichen. Erst dann wird man mehr Erkenntnisse haben, wie lange die Krise dauert und wie tief sie ist. Entsprechend sind leider die Konsequenzen.

Sie könnten bis zu zwei Jahre Kurzarbeit fahren und so Entlassungen vermeiden.

Das ist zwar richtig, kostet die Unternehmen aber viel Geld. Durch die Kurzarbeit verlängert sich zum Beispiel die Beschäftigungsdauer, damit erhöht sich aber auch die Abfindungshöhe, wenn am Ende doch eine Entlassung nötig wird. Außerdem fallen trotz Kurzarbeit tarifliche oder freiwillige Sozialleistungen an. Hinzu kommt die Belastung durch höheren Wettbewerbsdruck.

Die Elektroindustrie ist die zweitgrößte Branche Deutschlands. Wie viele der 1600 Mitgliedsunternehmen werden die Krise nicht überleben?

Ich rechne mit einer Insolvenzwelle. Von den 827 000 Beschäftigten per Ende 2008 sind nach den letzten Informationen 110 000 in Kurzarbeit. Ich gehe davon aus, dass die Zahl noch steigen wird. Die große Frage ist, wie lange die Krise dauert und wann die Talsohle erreicht ist.

Und, was meinen Sie?

Ich rechne mit einem badewannenförmigen Verlauf …

... also steiler Absturz, lange Stagnation, dann langsam wieder nach oben.

Die Frage ist: Wie lang ist die Badewanne und wie tief das Wasser? Denn das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Unternehmen die Krise zwar überleben, aber am Ende keine Kraft mehr haben, neue Erfolge zu generieren, weil sie in der Zwischenzeit ihr Eigenkapital aufgebraucht haben. Die Eigenkapitalquote in der Branche liegt im Schnitt noch über 30 Prozent, aber das kann sich schnell halbieren. Wer gibt einem Unternehmen dann noch Kredit, wenn am Ende wieder Wachstum finanziert werden muss?

Ist die Diskussion über eine drohende Kreditklemme in der Realwirtschaft also erst ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt?

Für bestimmte Banken und Unternehmen gibt es eine Kreditklemme, für andere nicht. Alles, was zum Beispiel Automobil- und Maschinenbau ist, gilt zwischenzeitlich bei den Banken als kritisch. Bei einer Blitzumfrage im März gaben fünf Prozent unserer Mitgliedsfirmen an, eine Kreditklemme zu verspüren, drei Monate später waren es schon 57 Prozent. Das ist eine ernstzunehmende Tendenz; da auch die Zahlungsmoral nachlässt, nimmt der Geldbedarf zu, das verschärft die Situation der Unternehmen zusätzlich.

Welche Alternativen zu Banken haben Unternehmen, um an Geld zu kommen?

Sie bauen Lagerbestände ab, senken Kosten, wo immer es geht. Alles, was im Moment zählt, ist Cash, also Liquidität, das heißt Unabhängigkeit.

Sie haben beklagt, dass auch Kreditversicherer sich zunehmend weigern, Kredite abzusichern. Eine zweite Klemme?

Es gibt viele Unternehmen, die Kreditversicherungen nutzen. Aber wie die Banken sind auch die Kreditversicherer übervorsichtig und machen damit ihren eigentlichen Job nicht mehr: Kredite zu versichern und uns als Unternehmern damit die Gewährleistung zu geben, dass sie beim Ausfall eines Kunden für dessen Kredite einstehen.

Welche Folgen hat das für Firmen?

Ohne Versicherung wird jeder Kunde zum Vollrisiko. Gerade in einer Zeit, wo wir die Sorge haben, dass viele Unternehmen zahlungsunfähig werden oder aus dem Markt ausscheiden, bedeutet das 100 Prozent Verlust. Das wäre bitter und birgt das Risiko eines Dominoeffektes.

Die Bundesregierung lässt Kreditversicherer jetzt unter den Rettungsschirm der Banken. Hilft das?

Das wird sich erst zeigen, wenn die Details ausgestaltet und bekannt sind.

Für einige Finanzkonzerne scheint die Krise schon vorbei zu sein. Einige Banken schreiben wieder Milliardengewinne. Läuft alles weiter wie bisher?

Wenn ein Unternehmen Gewinne schreibt, ist das erst einmal gut, weil es Freiheit schafft. Um in Zukunft die Risikobereitschaft zu begrenzen, ist die Staatengemeinschaft gefordert, Spielregeln festzulegen. Je schneller alles besser wird, desto größer ist aber die Gefahr, dass dies nicht gelingt, weil der Druck raus ist. Andererseits ist Reglementierung ein heißes Thema, weil man damit Motivation aus einem Markt nimmt. Darum bin ich nicht für Eingriffe des Staates, sondern für die Selbstheilungskräfte des Marktes.

In den USA werden Millionenboni ausgeschüttet – auch in Konzernen, die der Staat retten musste. Zeigt das nicht, dass die Selbstheilungskräfte nicht funktionieren?

Ich halte das nicht für gut. Boni sollten nicht ausgeschüttet werden, solange der Staat ein Unternehmen am Leben hält. Aber es gibt Arbeitsverträge, die auch gelten, wenn der Staat Geld zuschießt. Das muss man leider akzeptieren. Aus Motivationsgründen bin ich auch kein Befürworter einer pauschalen Begrenzung von Managergehältern. Im Übrigen fordere ich den Staat dazu auf, seine Gesetze zu überprüfen, denn wenn ich die zwei Prozent Gauner erwischen will, kann ich nicht die 98 Prozent, die vernünftig wirtschaften, permanent mit Gesetzen gängeln.

Mit anderen Worten: Der Staat soll sich bitte heraushalten?

Ja, der Staat soll Unternehmen stützen, aber nur auf Zeit.

Die Regierung will ab Anfang 2010 jedem Haushalt neue Messgeräte verordnen, damit jeder ablesen kann, wie viel Strom er wo verbraucht. Ein verstecktes Konjunkturprogramm für die Elektroindustrie?

Es wäre hilfreich, wenn in jedem Haushalt ein solches Gerät installiert wäre. Damit könnten wir enorme Energieeinsparungen erreichen. Ich gehe davon aus, dass der neue Stromzähler im nächsten Jahr kommt. Trotzdem müssen wir erst einmal die Bundestagswahl abwarten.

Das Gespräch führte Maren Peters

DER MANAGER

Friedhelm Loh ist Inhaber der gleichnamigen Unternehmensgruppe im hessischen Haiger. Der gelernte Starkstromelektriker studierte über den zweiten Bildungsweg BWL. 1974 wurde er mit 28 Jahren Geschäftsführer. Die Loh-Gruppe hat knapp 12 000 Mitarbeiter, der Umsatz liegt bei rund zwei Milliarden Euro.

DER VERBAND

Der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI) vertritt die Interessen von 1500 Mitgliedsunternehmen. Die Branche ist mit 170 Milliarden Euro Umsatz die zweitstärkste in Deutschland – nach dem Maschinenbau.

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