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Wirtschaft: Elfriede Kirsten

(Geb. 1908)||Den Heesters hat sie zutiefst bedauert: „Dass der das nötig hat, in seinem Alter.“

Den Heesters hat sie zutiefst bedauert: „Dass der das nötig hat, in seinem Alter.“ Als der Kaiser abdankte, hat sie bitterlich geweint, aber da war sie auch noch ein Backfisch. Geliebt, und wirklich bewundert, auf sehr erwachsene Weise versteht sich, hat sie nur Helmut Schmidt. Alles, was an Sachliteratur über ihn zu finden war, hat sie verschlungen. Und dass er keine Konzerte mehr genießen kann, weil er immer schlechter hört, bedauerte sie sehr. Sie selbst blieb von solchen Gebrechen gottlob verschont.

Was die schöne Literatur anbelangt, war sie konservativer, da endete die Moderne mit Rilke. Den „Krebsgang“ von Grass hat sie geschenkt bekommen, aber nie gelesen. Und als ein Bekannter den Fauxpas beging, ihr die Biographie Harald Juhnkes zu schenken, da meinte sie nur „Das legen wir mal beiseite … “ Exzesse aller Art waren ihr zuwider. Die Populärkultur ohnehin. Einen Johannes Heesters hat sie zutiefst bedauert: „Dass der das nötig hat, in seinem Alter.“

Aufgewachsen war sie in Altona. Hanseatische Noblesse und preußische Disziplin waren ihr in die Wiege gelegt, wenngleich sie in sehr bescheidenen Verhältnissen aufwuchs. Der Vater war Eisenbahner, die Mutter Hausfrau. Als sie eingeschult wurde, und Bücher angeschafft werden mussten, riss das ein großes Loch in die Haushaltskasse.

1933 beendete sie ihr Lehramtsstudium; sie hatte es eilig zu arbeiten, nicht zuletzt, weil es ihr unangenehm war, wie rasch sich viele Professoren dem neuen Regime andienten.

Mit dem Nationalsozialismus konnte sie sich nie anfreunden, mit den Nazioberen schon gar nicht. Immer wieder erzählte sie die Anekdote, wie damals in der Eichkamp-Siedlung Emmy Bonhoeffer aufgeregt zur Nachbarin gerannt kam. Da sei ein großes Auto vorm Haus vorgefahren, darin Heinrich Himmler persönlich, der sich kurz vor dem Ende des tausendjährigen Reiches von dem berühmten Psychiater Karl Bonhoeffer eine Unzurechnungsfähigkeitsbescheinigung ausstellen lassen wollte. „Dann kann ich vielleicht auch was für ihren Sohn Dietrich tun …“ Der alte Bonhoeffer traute Himmler nicht. Und Dietrich Bonhoeffer wurde wenige Wochen später exekutiert.

In den letzten Kriegsjahren endete auch Elfriede Kirstens ganz privates Glück. Ihr Mann, dem sie erst vier Jahre angetraut war, ging fremd, sie ließ sich umgehend scheiden, das Kind verlor sie kurz nach der Trennung. Dennoch trug sie weiterhin seinen Namen.

Jahrzehnte später fragte ein Freund, ob sie denn nicht wissen wolle, was aus ihm geworden sei. Ungerührt nahm sie zur Kenntnis, dass er längst verstorben war.

Dreißig Jahre arbeitete Elfriede Kirsten als Oberstudienrätin am Abendgymnasium. Aber auch nach ihrer Pensionierung wurde es ihr nie langweilig. Sie war Mitglied der Max-Liebermann-Gesellschaft, besuchte mit Vorliebe die Stätten preußischer Geschichte. Und dann natürlich die vielen Reisen.

Als sie achtzig war, ließ sie ein wenig nach in ihren Aktivitäten, und unternahm nur noch ausgedehnte Spaziergänge. Mit ihren Gehstöcken, Max und Moritz genannt, stocherte sie die Kurländer Allee auf und ab. Bei schlechtem Wetter hingegen lief sie auf der Terrasse hin und her, bis sie ihr konditionelles Soll erfüllt hatte.

Doch mit neunzig erwachte ihre Reiselust erneut, auch dank ihrer Pflegerin, die zu jedem Abenteuer bereit war.

Es begann alles ganz harmlos: Ein Wochenende nach Warnemünde, mitsamt Rollstuhl, Rollator, und Nachtstuhl fürs Hotelzimmer.

„Ist Braunschweig eigentlich weit? Wenn nicht, dann könnten wir doch die Rubens-Ausstellung …“

„München, ach München. Natürlich ist München schön. Aber träumen tu ich eigentlich von Paris.“

2004 also Paris, Huckepack in die Oper, weil just an diesem Tag der Aufzug nicht funktionierte. Im Rollstuhl weiter zum Père-Lachaise, Respektsbesuch am Grab von Heinrich Heine, dem sie eins seiner Gedichte rezitierte, auswendig versteht sich.

Oder sie saß im Konzert, Gendarmenmarkt, und sinnierte in der Pause: „Eigentlich muss ich so ein schönes Konzert auch mal in Wien hören …“

Also ging es im Mai 2005 nach Wien und im September gleich noch mal, denn beim ersten Besuch waren keine Karten für den Rosenkavalier zu haben.

Sie war klein, aber energisch und durchaus auf sich selbst bedacht. Samstagmittag zog sie ihr schönstes Kleid an; sonntags wurde Meißen aufgedeckt. Und wenn sie in Urlaub fuhr, nahm sie das Meißen mit. Sie hatte genaue Vorstellungen von allem. Zuweilen war auch ein wenig Dünkel ihrer Resolutheit beigemengt: „Altersgymnastik? So was Albernes!“

„Welcher unserer Bundespräsidenten hat kein Abitur“, fragte ein Freund spaßeshalber. Und da konnte sie ihr Erstaunen denn doch schlecht verbergen, dass so etwas möglich sei. „Ein Bundespräsident ohne …?“

Ein wenig Angst hatte sie schon, dass die Welt verdummt und ihre Neugier nicht mehr geteilt wird und sie irgendwann ganz auf sich allein gestellt ist. Wohl auch deshalb hat sie die Vögel ihres Vogelhauses ganzjährig gefüttert – aus Angst, dass sie zu den Nachbarn abwandern könnten.

Und auch ihr Sterben war nicht ohne Pein. Zwei Tage und Nächte quälte sie sich dem Ende entgegen. Mit sich selbst war sie im Reinen, aber ihm, dem Vater ihres ungeborenen Kindes, hatte sie immer noch nicht verziehen.

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