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Energiewende: Atomkraft-Ausstieg ohne Absturz

Selbst Konservative wollen Atomkraftwerke nun rasch abschalten. Das ist machbar, sagen Experten – wird aber nicht billig.

Berlin - Auf einmal gibt es nur noch Atomaussteiger. Selbst in der Union. „Die Energiewende muss in den nächsten Tagen auf die Beine gestellt werden“, sagte CSU-Chef Horst Seehofer am Montag. „Wir drücken aufs Gas.“ Bis Mitte Mai soll es Konzepte geben, wie der Ausstieg aus der Kernkraft gelingen soll. Die CSU, das ist seine Botschaft, habe die Wähler verstanden. „Das waren Atomwahlen“, bekennt er.

Die rasche Abkehr von der Kernkraft scheint nach dem Sieg der Grünen beschlossene Sache zu sein. Allerdings eine mit enormen Konsequenzen – für die Strompreise, die Energiekonzerne sowie die nötigen Investitionen. Das sei „ein Projekt der Dimension Mondfahrt“, schwant es FDP-General Christian Lindner.

Die Konsequenzen waren aus Sicht der Anbieter alternativer Energien zunächst erfreulich: Der Öko-Dax, in dem die zehn größten Solar- und Windenergie-Werte vertreten sind, schoss am Montag um bis zu acht Prozent in die Höhe. Die Papiere der Anbieter Erneuerbarer Energien wie Nordex, Solarworld und Q-Cells legten um bis zu zehn Prozent zu. Dieser Trend werde vermutlich anhalten, schrieben die Experten der Bank Close Brothers Seydler in einer Studie. An der Leipziger Strombörse EEX verteuerte sich Strom um mehr als zwei Prozent. Auch der Preis von Kohle und CO2-Emissionsrechten stieg spürbar, weil Investoren von einem wachsenden Bedarf ausgehen, wenn die Atomkraft abgeschaltet wird. RWE- und Eon-Papiere behaupteten sich dennoch, weil nicht ausgeschlossen ist, dass sie mit Klagen gegen eine Atomwende Erfolg haben.

Von den vier Konzernen, die die 17 deutschen Kernkraftwerke betreiben, hat vor allem Eon viel zu verlieren. Hinter der französischen EdF sind die Düsseldorfer die zweitgrößten Atomstromer Europas. Fast 45 Prozent des Eon-Stromes hierzulande kommen aus nuklearer Quelle. Bei RWE ist es ein Viertel. Dazu gelten vor allem die alten Meiler als Goldgruben – sie sind abgeschrieben und bringen Branchenschätzungen zufolge eine Million Euro Gewinn pro Tag. Eine Rücknahme der Laufzeitverlängerung, womöglich ein Ausstieg binnen weniger Jahre, wäre also nicht unbedeutend.

„Die Position der Versorger wäre im Vergleich zu Stadtwerken und ausländischen Konkurrenten deutlich geschwächt, weil deren Margen angesichts höherer Strompreise stiegen“, sagte Peter Wirtz von der WestLB. Mehr Gewinn hätte die Laufzeitverlängerung allerdings wegen der Abgaben ohnehin erst 2020 gebracht.

Doch ist ein Ausstieg wirtschaftlich verkraftbar? 2010 lieferten die Kernkraftwerke 23 Prozent des Stroms. Kein Problem, finden Fachleute. Bis 2020 sei der vollständige Ausstieg aus der Kernkraft möglich, erklärt das Öko-Institut. Zehn Meiler könnten sofort vom Netz, vier bis 2013, danach die verbleibenden drei.

Das Umweltbundesamt hält einen Ausstieg sogar schon 2017 für machbar. Bis 2050 könne dann der Strombedarf komplett aus regenerativen Quellen kommen. Allerdings ist der Umbau ein Milliarden-Projekt. Es fehlen Übertragungsnetze, um den Windstrom aus dem Norden zu den Fabriken im Süden zu transportieren, und es fehlen Speicherkapazitäten für die Zeit, in der weder der Wind weht noch die Sonne scheint. Mehr als 200 Milliarden Euro bis 2020 seien dafür nötig, heißt es im Bundesumweltministerium.

Einige Fachleute haben noch ehrgeizigere Pläne. Olav Hohmeyer, Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft in Flensburg und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, hält den Ausstieg sogar 2015 schon für möglich. „Wir gehen davon aus, dass die rund 20 Gigawatt Leistung der 17 deutschen AKW ersetzt werden können durch vorhandene Kapazitäten bei Kohle und Gas – zu überschaubaren Preisen für die Verbraucher“, sagt Sönke Bohm, wissenschaftlicher Mitarbeiter an Hohmeyers Lehrstuhl. Ließe man einen großen Teil der Kohle- und Gaskraftwerke länger laufen als derzeit geplant, ließe sich die Lücke füllen. Zwar würde so zunächst mehr CO2 freigesetzt. „Das könnte aber durch einen weiteren Ausbau der Erneuerbaren und einem Rückbau der fossilen Energieträger ab 2023 kompensiert werden“, sagt Bohm. Nach Hohmeyers Berechnungen könnte schon 2030 der gesamte Strom aus grünen Quellen stammen.

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