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Wirtschaft: Erblühende Landschaften

In den neuen Bundesländer geht es aufwärts. Auf Förderung wollen sie aber nicht verzichten

Berlin - Wenn es um den Aufbau Ost geht, funktionieren die Reflexe in der Republik. Die Milliardentransfers für die neuen Bundesländer dürften beim Sparen „kein Tabu bleiben“, findet Hamburgs SPD-Spitzenmann Michael Naumann. Unterstützung dürfe nicht „nach der Himmelsrichtung“ verteilt werden, pflichtet ihm Nordrhein-Westfalens SPD-Chefin Hannelore Kraft bei. „Der Osten braucht die Solidarität“, kontert CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. „Weit entfernt von einem selbsttragenden Aufschwung“ sei er, sekundiert Wolfgang Tiefensee (SPD), als Regierungsbeauftragter für die neuen Länder der Cheflobbyist des Aufbaus Ost.

16 Jahre nach der Wiedervereinigung wächst der Unmut über die Milliarden, die der Westen Jahr für Jahr an den Osten überweist. Trotz des Aufschwungs sind die Kassen vieler Länder und Kommunen noch immer eher schmal als prall. Während Weststädte wie Lüdenscheid, Remscheid oder Hagen selbst im Boomjahr 2006 Defizite anhäuften, sonnen sich Regionen im Osten im Erfolg des Aufstiegs. Dresden ist dynamischer als Düsseldorf, Potsdam lässt Metropolen wie Hamburg und Köln hinter sich, Jena braucht sich vor Münster und Frankfurt am Main nicht zu verstecken – diese Ergebnisse einer neuen Studie des Beratungsunternehmens Prognos über die Zukunftsfähigkeit von Deutschlands Regionen zeigen: Die neuen Länder sind nicht mehr das Armenhaus der Republik. Zwar gibt es noch immer bitterarme Gegenden ohne Perspektive. In manchen Bereichen sind die Regionen dort den alten Ländern aber schon voraus.

Beispiel Infrastruktur: Durch ein gigantisches Investitionsprogramm wurde seit 1990 der Osten mit einem dichten Netz neuer Straßen, Schienen, Tunnel, Flughäfen und Wasserstraßen überzogen. Mehr als 64 Milliarden Euro durften die Baufirmen im Staatsauftrag verbuddeln. Herausgekommen sind makellose Verkehrswege – aber auch Überflüssiges: Regionalflughäfen, auf denen kaum ein Jet landet, Straßen wie die Ostsee-Autobahn A20, auf denen kaum Verkehr ist, Hauptbahnhöfe wie in Berlin, die überdimensioniert sind.

Der Westen dagegen musste dringend nötige Investitionen aufschieben. Auf der Schiene etwa sind mittlerweile die Güterzugtrassen durch das Rheintal völlig überlastet, die Verkehrsknoten Frankfurt und Köln seit Jahren verstopft. Doch erst vor kurzem kündigte die Bahn ein Bauprogramm an, das die schlimmsten Mängel beheben soll. Zudem versprach Verkehrsminister Tiefensee dem Westen bis 2012 Straßenreparaturen für fünf Milliarden Euro – diese seien „bitter nötig“, räumte er ein. Was es heißt, an zweiter Stelle zu stehen, mussten die Kommunen zwischen Nordsee und Garmisch auch beim Städtebau erfahren. Dutzende lange verfallene Innenstädte in Ostdeutschland wie Güstrow, Quedlinburg oder Neuruppin bekamen trotz sinkender Einwohnerzahl ihre Häuser aufgehübscht – andernorts blieben die Fassaden grau. Ohnehin selbstbewusst treten die neuen Länder auf, wenn es um Soziales geht, etwa bei der Kinderbetreuung. Sie haben an den DDR-Strukturen festgehalten – von 1000 Kindern unter drei Jahren können dort 398 eine Kita besuchen. Im Westen sind es nur 78. Als Vorbild gelten auch die einstigen DDR-Gesundheitszentren, die Polikliniken. Wegen der guten Versorgung und der kurzen Wege für die Patienten soll dieses Prinzip Nachahmer finden, rät der Bund.

Ohne soliden Aufschwung nützt all dies indes wenig. Genau hier meldet der Osten eine Trendwende: Er wird in diesem Jahr den Westen wieder überholen. Um 2,3 Prozent werde das Bruttoinlandsprodukt wachsen, erwartet das Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Die alten Länder schafften nur 2,0 Prozent. 2008 soll sich die Schere noch weiter öffnen – und der Osten mit 3,0 Prozent vorpreschen. Der Antreiber ist das verarbeitende Gewerbe. Die nach der Wende hochgezogenen Fabriken – BMW in Leipzig, AMD in Dresden, Opel in Eisenach – lassen in puncto Produktivität die West-Konkurrenz locker hinter sich. Obendrein liegen die Lohnkosten vielerorts nur bei zwei Dritteln des Westniveaus. Das macht die Gegend auch für neue Branchen interessant. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind zu einem Zentrum der Solarindustrie geworden. Die Spritbranche plant zahlreiche Biodiesel-Anlagen oder produziert bereits vor Ort. In der Chemie, der Landwirtschaft, der Ernährungsindustrie und dem Schiffbau muss sich der Osten ebenfalls nicht verstecken.

Die meisten Investitionen in Großprojekte haben in den vergangenen Jahren denn auch in den neuen Ländern stattgefunden. Schließlich schenkt der Staat den Unternehmern mancherorts noch immer jeden zweiten Euro der Investitionssumme. Das wurmt die Kommunen im ehemaligen Zonenrandgebiet des Westens. Sie sind machtlos, wenn sich selbst Kleinbetriebe mit üppigen Fördersummen über die ehemalige Grenze locken lassen. Einige oberfränkische Dörfer würden am liebsten sogar von Bayern rübermachen nach Thüringen.

Angesichts des Fortschritts wehren sich Ost-Politiker dagegen, die neuen Länder als rückständig abzustempeln. „Die guten wirtschaftlichen Ergebnisse einiger Regionen zeigen, dass die Fördermittel sinnvoll eingesetzt wurden“, sagte Wolfgang Böhmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, dem Tagesspiegel am Sonntag. „Und sie zeigen, dass die Einschätzung, der ganze Osten sei ein Mezzogiorno-Gebiet, nicht ganz gerechtfertigt war.“ Trotz des Fortschritts wird es der Osten aber schwer haben, bald an den Westen heranzukommen. Die Arbeitslosigkeit ist im Schnitt noch doppelt so hoch, die Wirtschaftskraft erreicht erst zwei Drittel. „Wenn es einigen Städten im Westen auch nicht besser geht als den Oststädten, ist das noch nicht vergleichbar“, mahnt Böhmer. Einige Regionen könnten weniger als 50 Prozent ihrer Ausgaben selbst erwirtschaften. Deshalb dürfe der Solidarpakt nicht aufgeweicht werden. Er sieht angesichts der großen Entwicklungsunterschiede sogar die Gefahr einer Zweiteilung des Ostens. „Da muss man gegensteuern.“

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