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Fünf Milliarden Euro stehen pro Jahr für zusätzliche Investitionen zur Verfügung, meint Schweitzer.

©  Mike Wolff

Exklusiv

Eric Schweitzer im Interview: „Die Politik muss jetzt den Schalter umlegen“

Eric Schweitzer, Präsident des DIHK und der Berliner IHK, spricht im Tagesspiegel-Interview über zu geringe Investitionen, Nachholbedarf bei digitaler Infrastruktur und die Probleme von Alba.

Herr Schweitzer. Haben Sie schon mal ein Taxi oder eine Limousine bei Uber oder Blacklane gebucht?

Nein.

Wo liegen ihre Sympathien: Beim Taxi-Gewerbe oder bei Uber?

Wenn man gewerbliche Personenbeförderung betreibt, muss man spezielle Kriterien erfüllen und auch Prüfungen ablegen zum Beispiel bei den IHKs. Die Taxifahrer argumentieren: Der Gesetzgeber hat das so eingerichtet, um den Kunden zu schützen. Man kann Regeln in einem Rechtsstaat nicht dadurch ändern, dass der eine Personenbeförderer sich daran hält und der andere nicht. Unternehmer in einem Segment sollen nicht ungleiche Startvoraussetzungen und Geschäftsbedingungen haben.

Sind die US-Dienstleister der Share-Economy von Uber bis zum Ferienwohnungsvermittler Airbnb ein Fluch oder Segen?

Airbnb und ähnliche Plattformen sind weltweit präsent. Grundsätzlich erhöhen sie den Komfort für jeden zum Beispiel beim Suchen einer Urlaubsunterkunft. Diesen Trend zur Digitalisierung von Dienstleistungen können und sollten wir nicht aufhalten. In Deutschland müssen wir uns nun fragen: Sitzen wir bei dieser Busfahrt auf dem Fahrersitz oder springen wir spät auf und sind dann die ersten, die wieder aussteigen müssen und den Anschluss verlieren?

Deutsche sollten also verstärkt ins Datensammelgeschäft einsteigen?

Im Konsum-Bereich ist praktisch schon entschieden, dass die generierten Daten in den USA gesammelt und ausgewertet werden. Von Google und anderen. Jetzt müssen wir uns im industriellen Bereich gut aufstellen: Stichworte sind Industrie 4.0 oder das Internet der Dinge. Darin liegt ein unglaublich großes Potenzial. Am Ende des Tages werden dort neue Geschäftsmodelle – und damit Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Wohlstand – entstehen. Als Standort sind wir zwar innovativ, was aber die digitale Infrastruktur und Bildung angeht, haben wir in Europa noch Nachholbedarf.

In Europa sorgt Finanzminister Schäuble mit seinem Sparkurs für Ärger. Übertreibt er mit der „schwarzen Null“?

Die „schwarze Null“ ist die logische Konsequenz aus der Schuldenbremse. Ich halte sie für richtig. Denn rund zehn Prozent des Bundeshaushalts von mehr als 300 Milliarden Euro gehen für Zinszahlungen für Schulden aus der Vergangenheit drauf, zu Lasten der heutigen Generation. Hätten wir diese Schulden nicht, würde unser Spielraum pro Haushaltsjahr allein im Bund also gut 30 Milliarden größer sein. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass die Investitionslücke von Bund, Ländern und Gemeinden derzeit 17 Milliarden Euro beträgt.

Also Steuern erhöhen.

Auch in der Privatwirtschaft gibt es eine Investitionslücke von etwa 60 Milliarden Euro. Die wird man nicht schließen, wenn man der Wirtschaft über Steuererhöhungen die Kraft für Innovationen nimmt. In dieser Legislatur wird der Bund vermutlich 42 Milliarden Euro Steuern mehr einnehmen. 28 Milliarden davon sind durch die Koalitionsvereinbarung bereits verplant. Mit den verbleibenden 15 Milliarden, das wären jeweils fünf in den nächsten drei Jahren, könnte man viel beim Thema Investitionen erreichen. Wir diskutieren zudem, wie sich hier auch mehr privates Kapital einbringen kann. Versicherungen zum Beispiel suchen in der Niedrigzinsphase nach soliden Anlagemöglichkeiten.

Darüber sprechen Sie auch im neuen Investitionsbeirat von Wirtschaftsminister Gabriel. Was bringen Sie da ein?

Wichtig wäre zum Beispiel eine Steuerpolitik, die für Vereinfachung sorgt und einige Impulse setzt. Man könnte wieder degressive Abschreibungen zulassen. Manche Güter schreibt man über acht Jahre ab, obwohl schon nach drei oder vier Jahren ganz neue Produktionsprozesse etabliert sind. Wir haben viele Ideen. Geld ist genug da, die Prioritäten müssen halt stimmen.

Wie viel Wachstum bleibt Deutschland denn noch im Gesamtjahr?

Der DIHK hat seine Wachstumsprognose bereits von zwei auf 1,5 Prozent reduziert. Ich glaube, dass wir uns anstrengen müssen, wenn wir das erreichen wollen. In der ersten Phase der Koalition wurde Geld ausgegeben, das noch gar nicht erarbeitet war. Nun muss wieder Wachstum generiert werden. Die Politik muss jetzt den Schalter umlegen und Investitionen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.

Vor einem halben Jahr haben Sie beteuert: Die deutsche Wirtschaft trägt Sanktionen gegen Russland mit. Gilt das immer noch?

Es gilt das Primat der Politik. Ich glaube, es kann nicht folgenlos bleiben, dass wir im 21. Jahrhundert völkerrechtliche Verletzungen haben. Deutschland hat 2013 Güter für 36 Milliarden Euro nach Russland exportiert. Das Land steht mit etwa drei Prozent Anteil an elfter Stelle der Exportländer. Das ist wichtig, aber es ist auch nicht so, dass alles untergehen würde, wenn ein deutlicher Rückgang eintritt. Wir gehen davon aus, dass die Exporte nach Russland 2014 um rund 20 Prozent niedriger liegen. Das trifft vor allem den Maschinenbau und die Automobilindustrie. Das nehmen wir ernst und legen daher wert darauf, dass Deutschland und die EU in dem Konflikt gesprächsfähig bleiben.

Vorhin sprachen wir über die „schwarze Null“, kommen wir zu roten Zahlen bei Ihrem Unternehmen. Wie geht es Alba?

Alba ist ein Familienunternehmen, welches in der Entsorgungs- und Recyclingbranche tätig ist. Zu uns gehört auch die Alba SE, die auch im Stahl- und Metallbereich tätig ist. Im letzten Jahr hat die europäische Stahlkrise die gesamte Branche getroffen, so auch uns. Da die Alba SE börsennotiert ist, war dies auch schon veröffentlicht und bekannt, nicht erst seit den Medienberichten im Juli und August.

Wie geht es aktuell?

Wir haben uns frühzeitig ein Effizienzprogramm zur Struktur- und Kostenoptimierung auferlegt, was bereits in diesem Jahr erste Früchte trägt. Unsere Mitte August veröffentlichten Zahlen der Alba SE zeigen, dass das Ergebnis im Vergleich zum Vorjahr um über 60 Prozent gestiegen ist. Wir sind mit den Zahlen noch nicht an unserem Ziel, aber auf dem Weg dorthin. Wir sind die Nummer zwei in Deutschland und die Nummer fünf in Europa und für die Zukunft gut gerüstet.

Die Alba SE trägt zu gut 65 Prozent zum Umsatz der Gesamtgruppe bei, welche ja keiner strengen Berichtspflicht unterliegt. Zitiert wurden Insider, die behaupten, Verbindlichkeiten in Höhe von 800 Millionen Euro lasten auf der Alba Group.

Da die Alba Group ein Familienunternehmen ist, kommentieren wir Zahlen nicht öffentlich. Nur so viel: Unsere Liquidität war und ist auskömmlich.

Also sind die Geschichten falsch?

Wenn ich nicht DIHK-Präsident wäre, wären diese Geschichten keine Geschichten wert. Das kritisiere ich nicht, es ist nur so.

"Es gibt Gründe, warum die FDP gefallen ist"

Auch Ihre ehemalige Partei steckt in der Restrukturierung. 2012 sind Sie aus der FDP ausgetreten. Vermissen Sie etwas?

Dass ich ausgetreten bin, hatte persönliche Gründe. Es gibt gleichwohl Gründe, warum die FDP von 15 auf unter fünf Prozent gefallen ist – und einige davon sind auch selbst verschuldet.

Haben Sie Mitleid?

Man muss nicht alle Positionen der Partei teilen. Aber für die politische Debattenkultur ist es nicht gut, wenn solche Positionen nicht mehr vertreten werden. Wenn nach einer Debatte zum Mindestlohn im Bundestag von mehr als 600 Abgeordneten alle bis auf eine Handvoll zustimmen, dann freuen sich alle, die für den Mindestlohn sind. Die politische Kultur leidet aber, weil vorher nicht vernünftig um die beste Lösung gerungen worden ist. Nun ist es Aufgabe der FDP, ein Angebot zu machen, mit dem sie auch wieder gewählt wird.

Wo sehen Sie noch eine Heimat für wirtschaftsliberale Politik?

Was die ordnungspolitische Gesamtprogrammatik angeht, fehlt eine Partei wie die FDP. Aber in der Tagespolitik gibt es auch Wirtschaftspolitiker bei der CDU, der SPD, den Grünen und den Linken.

Bei der AfD nicht?

Die AfD ist jetzt in drei Landtage eingezogen. Lassen Sie die erst mal ankommen. Dann wird man schauen, was passiert. Die Deutschen sollten aber wissen, dass der Wohlstand in diesem Land maßgeblich davon abhängig ist, dass es eine Europäische Union und den Euro gibt.

Welchen ausgeschiedenen Wirtschaftspolitiker würden Sie gern mal recyceln?

Ich glaube keinen. Ich blicke lieber in die Zukunft.

Eric Schweitzer, 1965 in Malaysia geboren, wuchs in Berlin auf. Er studierte und promovierte an der FU; gemeinsam mit seinem Bruder Axel leitet er seit 1998 das familieneigene Entsorgungsunternehmen Alba. Seit 2004 ist Schweitzer ehrenamtlicher Präsident der Berliner IHK und seit März 2013 auch Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Der in Berlin ansässige Verband ist die Dachorganisation der 80 deutschen Industrie- und Handelskammern. Alle deutschen Unternehmen im Inland – ausgenommen Handwerksbetriebe, Freie Berufe und landwirtschaftliche Betriebe – sind per Gesetz Mitglied einer Industrie- und Handelskammer und müssen diese mit einem Pflichtbeitrag finanzieren. Das Gespräch führte Kevin P. Hoffmann.

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