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Wind of change: Die Windkraft feiert ein Comeback

© Jens Büttner/dpa

Erneuerbare Energien: Die Stimmung der Anleger dreht sich

Bürgerproteste, Weltfinanzkrise und die Insolvenz der Windfirma Prokon trafen die Branche hart. Warum ist Windkraft jetzt wieder so gefragt?

Welch ein Glück im Unglück für die rund 75 000 Anleger der Windkraftfirma Prokon: Sie sind plötzlich Zeugen eines Wahlkampfes um ihre Gunst. Hatten die meisten nach dem Insolvenzantrag Anfang 2014 damit rechnen müssen, dass sie den größten Teil ihrer Einlagen von durchschnittlich gut 17 000 Euro bei diesem verschachtelten Konzern abschreiben müssen, können sie jetzt unter zwei Angeboten wählen.

In wenigen Tagen, am 2. Juli, werden rund 10 000 Prokon-Gläubiger in einer Messehalle in Hamburg zur Präsentation, Abstimmung und Auszählung erwartet – moderiert von Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin. Zur Wahl stehen das Angebot des viertgrößten deutschen Energiekonzerns Energie Baden-Württemberg (EnBW), der 550 Millionen Euro für die Reste der Firma mit insgesamt 318 Windenergieanlagen (mit 537 Megawatt Leistung) zahlen will.

Verkaufen oder halten?

Oder die Gläubiger entscheiden sich mehrheitlich für ein Genossenschaftsmodell der „Freunde von Prokon“. Dieses Modell steht eher im Geist des charismatischen – und entmachteten – Firmengründers Carsten Rodbertus. Der hatte viele Jahre gegen die Banken und Energiekonzerne gewettert, so Anleger begeistert – viele davon aber mit seinem fragwürdigen Geschäftsgebaren ins Unglück gestürzt.

Verkaufen oder halten: Das ist nun die Frage für die Anleger. Ein großer Teil dürfte so entnervt sein von der langen Angst, alles Geld zu verlieren, dass er durch einen Verkauf an EnBW lieber rettet, was noch zu retten ist. Ein anderer Teil dürfte hoffen, dass er als Miteigentümer der verbleibenden 54 Windparks doch noch Rendite einstreichen kann.

Debatte um "Verspargelung" der Landschaften

Der Fall und der noch wackelige Wiederaufstieg der Firma Prokon, die viele Kleinstanleger mit Traumrenditen lockte, ist symptomatisch für das Verhältnis der Deutschen zur Windkraft, der umstrittensten Form bei der Erzeugung klimafreundlichen Stroms.

Die Debatte um die Verspargelung von Landschaften durch die Masten und Rotoren ist auch nach mehr 20 Jahren seit Errichtung der ersten Windparks nicht abgeschlossen. Proteste von Anwohnern, Bürgerinitiativen und Tourismusverbänden hier, leidenschaftliche Befürworter auf der anderen Seite: Sie argumentieren vor allem mit den niedrigen Kosten. Strom aus Windenergie kann es mitunter bereits mit fossilen Kraftwerken aufnehmen. Den Eigentümern winken zudem Renditen, die unter Umständen (und bei gutem Wind natürlich) weit höher liegen als jene, die sich mit konventionellen Geldanlagen erzielen lassen.

Nach 2002, als die Windradhersteller und Projektgesellschaften in Deutschland so viele neue Windräder aufstellen konnten wie nie, setzte zunächst Ernüchterung in der Industrie ein. Die Zubauzahlen sanken von Jahr zu Jahr, die Finanzkrise ab 2008 verstärkte den Trend. Es gab Entlassungen bei Windradbauern wie Enercon oder Vestas, auch Siemens schrieb Milliarden ab. Zulieferer gingen pleite. Fast schien es, als würde die Windbranche den Weg der Solarindustrie hierzulande gehen. Die führt heute nur noch ein Schattendasein.

Windkraft ist wieder gefragt

Dann kam die Atom-Katastrophe von Fukushima 2011, der erneute Versuch eines Atomausstieges. Es war klar: Der Bund würde Fördermechanismen so gestalten müssen, dass keine Stromlücke entsteht. Dazu die Niedrigzinspolitik der EZB und Ankündigungen von Weltkonzernen wie jüngst Apple, Google oder Ikea, bald große Teile des Energiebedarfs mit erneuerbaren Energien decken zu wollen. Nun ist Windkraft wieder gefragt. 2014 wurden so viele neue Anlagen in Deutschland installiert wie nie: Rund 4700 Megawatt Leistung bringen sie, im bisherigen Rekordjahr 2002 waren es nur 3200.

Diese Entwicklung macht sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette bemerkbar. Die führt bis nach Fürstenwalde im Kreis Oder-Spree im östlichen Brandenburg. Dort hatte ein Herr Julius Pintsch anno 1872 ein Zweigwerk seiner Berliner Firma für Gasregelungs- und Beleuchtungstechnik gegründet. Das Unternehmen kam durch die DDR und baute Behälter für die Chemie- und Tankanlagen. Die Firma stand vor dem Aus, produziert aber heute unter dem Namen Reuther STC vor allem Stahltürme und Teile des Sockels von Windrädern. Der Umsatz soll auch in diesem Jahr steigen, um zehn Prozent auf rund 55 Millionen Euro. Reuther STC stellte in den vergangenen Wochen 20 neue Mitarbeiter ein, bildet 20 junge Brandenburger aus. Das ist Ausdruck eines Wind of Change, auf den diese Region lange gewartet hat.

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