zum Hauptinhalt

Medikamente der Zukunft: Es wird persönlich

Bisher galt: Eine Arznei hilft allen. Medikamente wirken aber verschieden. Die Pharmaindustrie setzt nun auf individuelle Präparate.

Berlin - Einer der größten Erfolge des Schweizer Pharmaunternehmens Roche ist ein Medikament gegen Brustkrebs, das bei drei Vierteln aller erkrankten Frauen gar nicht wirkt. Trotzdem verdiente der Konzern im vergangenen Jahr damit mehrere Milliarden Euro. Roches Arznei Herceptin gilt als ein beliebtes Beispiel eines Trends, der die Pharmabranche derzeit beschäftigt und nachhaltig verändern könnte: die Personalisierung der Medizin.

Ein bisschen individuell war Medizin zwar schon immer: Alter, Gewicht, Raucher oder Nichtraucher – all das spielt eine Rolle, wenn ein Arzt entscheidet, was die richtige Behandlung für den Patienten ist. Doch mittlerweile können Forscher auch einen Blick in den Menschen hinein werfen. Bildgebende Verfahren zeigen, welche Wege ein Molekül im Körper nimmt. Das Genom eines Menschen zu analysieren, kostet heute nur noch wenige hundert Euro. Welche Mutationen Wissenschaftler dabei finden, kann entscheiden, wie schnell ein Patient ein Medikament abbaut und in welcher Dosis er es braucht. Mit Biochips lassen sich Blut und Gewebe analysieren. Die Ergebnisse zeigen, welcher Mechanismus hinter einem Tumor steckt und wie er bekämpft werden könnte.

„Was wir von außen als Multiple Sklerose diagnostizieren, könnte sich morgen auf molekularer Ebene als drei verschiedene Krankheiten herausstellen“, sagt Götz Baumann von Roche. Das Unternehmen gilt als Vorreiter auf dem Markt der personalisierten Medizin, seit die Firma 1998 Herceptin auf den Markt brachte. Bis heute sind nur wenige solcher Präparate in Europa zugelassen, doch die Hersteller haben weitere in der Pipeline.

Der weltgrößte Pharmakonzern Pfizer entwickelt derzeit ein Medikament gegen eine Form des Nierenkrebses, die nur bei zehn bis fünfzehn Prozent aller Fälle auftritt. Auch das Schweizer Pharmaunternehmen Novartis und der britisch-schwedische Pharmakonzern Astra Zeneca bereiten Wirkstoffe vor, die nur noch für wenige Prozent aller Krankheitsfälle zugelassen werden sollen. Bayer baut Tabakpflanzen an, aus denen personalisierte Impfstoffe entstehen sollen. „Die richtige Medizin zum richtigen Zeitpunkt“ ist das Motto der Branche.

Dabei galt die personalisierte Medizin lange Zeit als wenig lukrativ. Denn während die Kosten für Forschung und Marketing für den Hersteller ähnlich hoch bleiben wie bei den sogenannten Blockbuster-Medikamenten, die eine große Patientengruppe bedienen, schrumpft der Markt für das neue Präparat – wie bei Herceptin. Manche Analysten sagten schon Ende der 90er Jahre voraus, dass die Zeiten, in denen ein Medikament Milliarden brachten, bald vorbei seien.

Auch die Anforderungen an Sicherheit und Nutzen der Produkte steigen. In Zeiten leerer Kassen müssen die Hersteller nun auch in Deutschland für eine Zulassung nachweisen, dass ihr Produkt besser ist als das, was bereits auf dem Markt ist. Lange hatte sich die Branche gegen die Regel gewehrt, denn die Kosten für die Entwicklung steigen, das Risiko zu scheitern auch. Hierbei könnte die personalisierte Medizin helfen: Die Patientengruppen von vornherein einzuschränken, verbessert die Studienergebnisse, weil die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass Nebenwirkungen auftreten.

Erst vergangene Woche hatte der Bundestag über eine Gesundheitsreform entschieden, die die Versicherten zur Kasse bittet und die Pharmahersteller zu Preissenkungen zwingen soll. Ob die personalisierte Medizin Kosten senken kann, ist unklar. Einerseits müssen die Krankenkassen weniger zahlen, weil hierdurch weniger unnötige Arzneimittel verschrieben werden. Doch Gerhard Schillinger, medizinischer Leiter bei der AOK, sagt: „Die Kosten für das Gesundheitssystem werden definitiv steigen.“

Die Pharmakonzerne wollen an den neuen Produkten trotzdem verdienen. Die Preise für die Nischenpräparate wie Glivec von Novartis seien jetzt schon sehr hoch, sagt Schillinger. „Durch die personalisierte Medizin entstehen effizientere Medikamente mit einem für den Patienten besseren Nutzen“, begründet Kerstin Crusius, eine Sprecherin der Pharmasparte von Bayer. „Damit rechtfertigen solche Medikamente unter Umständen einen höheren Preis.“ Auch bei Roche äußert man sich ähnlich. Laut einer Umfrage des Verbands forschender Arzneimittelhersteller suchen die Pharmaunternehmen schon bei jeder dritten Medikamentenentwicklung nach einer Möglichkeit, diese zu personalisieren.

Und die personalisierte Medizin eröffnet ein weiteres lukratives Feld: die Diagnostik. Denn bevor personalisierte Arzneien verwendet werden können, muss jeder Patient getestet werden. Wenn im nächsten Jahr ein Medikament gegen den schwarzen Hautkrebs von Roche kommen soll, muss die Diagnostik zugleich einen Test bereitstellen, der die Patienten in Gruppen einteilen kann. „Der Test wird dann zum Blockbuster“, sagt Schillinger.

Auch an den Tests verdienen meist die großen Pharmakonzerne. Dafür haben sie in den vergangenen Jahren begonnen, sich in Biotech-Unternehmen einzukaufen. Pfizer übernahm Serenex, Bristol Myers kaufte Medarex, Sanofi Aventis wirbt um Genzyme. Roche hat schon lange eine große Diagnostikabteilung. Andere Unternehmen lagern die Diagnostik an Kooperationspartner aus. Bayer etwa lässt für ein neues Mittel gegen Krebs von der US-Firma Prometheus einen Chip entwickeln, um mögliche Patienten zu finden.

Doch durchgesetzt hat sich die personalisierte Medizin noch lange nicht. Letztendlich sei sie ein Wunschtraum, der sich noch nicht erfüllt hat, sagt Schillinger. Vor allem in der Onkologie werden viele Präparate entwickelt. Für andere Bereiche sei es jedoch immer noch Zukunftsmusik, sagt auch Crusius von Bayer. Zudem werden nur wenige der Tests derzeit von den Krankenkassen bezahlt. Im Fall von Herceptin dauerte es zwei Jahre, bis die Kassen ihn in den Katalog aufnahmen. So lange bezahlte Roche den Test selbst. Andere Hersteller liefern noch immer kostenlos die komplette Genanalyse, etwa den TPMT-Test vor einer Chemotherapie für Kinder mit Leukämie. „Die Frage ist immer, welchen Preis ist die Gesellschaft bereit ist, für ein weiteres Lebensjahr zu bezahlen“, sagt Schillinger.

Laura Höflinger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false