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Wirtschaft: EU will Giftstoffe systematisch überprüfen

Der Ministerrat hat sich auf neue Gesetzgebung zu Chemikalien geeinigt – und geht damit auf die Wünsche der Industrie ein

Brüssel/Berlin - Nach jahrelangen Beratungen hat sich der EU-Ministerrat am Dienstag in Brüssel über die neue EU-Chemikaliengesetzgebung („Reach“) verständigt, die in den nächsten elf Jahren eine Registrierung, Risikobewertung und Zulassung von rund 30 000 chemischen Stoffen vorsieht. Diese so genannten „Altstoffe“ waren vor dem Jahr 1981 ohne Prüfung auf mögliche gesundheitliche Gefahren genehmigt worden. Die Einigung sei ein „guter und ausgewogener Kompromiss zwischen Umwelt- und Verbraucherschutz auf der einen Seite und der Wettbewerbsfähigkeit der Chemieindustrie auf der anderen“, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel am Dienstag in Brüssel. Der Chef der Gewerkschaft IG-BCE (Bergbau, Chemie, Industrie), Hubertus Schmoldt, nannte den Kompromiss „ausgewogen und zukunftsträchtig“.

Umweltschützer warfen den EU-Regierungen dagegen vor, eine einmalige Gelegenheit für den Schutz von Umwelt und Verbrauchern vergeben zu haben. Der Industrie würden große „Schlupflöcher“ eröffnet, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Greenpeace, WWF und fünf anderen Organisationen.

Die EU-Regierungen folgten in wesentlichen Punkten der nachgebesserten Vorlage des Europaparlaments, das im November auf Druck der Chemieindustrie einem vereinfachten Verfahren zur Registrierung der chemischen Stoffe zugestimmt hatte. Der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission war um einiges weiter gegangen, um den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten. Der nun vom Ministerrat gebilligte Kompromiss kommt den Wünschen der Chemieindustrie weitgehend entgegen.

Vor allem die kleineren Unternehmen haben nun weniger Kosten. Künftig muss ein Unternehmen, das weniger als 100 Tonnen von einer bestimmten Chemikalie herstellt, zunächst nur die Grunddaten der Substanz an die neu zu schaffende EU-Chemikalienagentur liefern. Zudem bleiben dem Hersteller in vielen Fällen aufwändige Tests erspart, sofern es sich nicht um einen gefährlichen Stoff handelt. Die EU-Chemikalien-Agentur wird bei Verdacht jedoch jederzeit Daten und Tests nachfordern können.

Kleine und mittlere Unternehmen werden nicht nur geringere Registrierungsgebühren bezahlen müssen, sondern können auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, einen Stoff gemeinsam mit anderen Herstellern registrieren und analysieren zu lassen. So werde man unnötige Tests vermeiden und vor allem die Tierversuche „drastisch senken“ können, hofft EU-Industriekommissar Günter Verheugen. In Brüssel rechnet man damit, dass sich die Gesamtkosten für „Reach“ in den elf Jahren um rund ein Drittel der ursprünglich geschätzten 3,3 Milliarden verringern würden.

In zwei wichtigen Punkten ist der EU-Ministerrat nicht dem Europaparlament gefolgt. Die Volksvertreter hatten gefordert, dass gefährliche Chemikalien in jedem Fall ersetzt werden müssen, wenn eine harmlosere Substanz zur Verfügung steht. Die EU-Regierungen befreien jetzt die Unternehmen von dieser Substitutionspflicht, sofern „eine adäquate Kontrolle“ des Stoffes sichergestellt sei. Ausgenommen sind jedoch hochgefährliche, krebserregende Stoffe.

Auch in einem zweiten Punkt kommt der EU-Ministerrat der Industrie entgegen: Während der Richtlinienentwurf des Europaparlaments eine generelle Frist von fünf Jahren vorsah, nach der eine zugelassene Chemikalie erneut auf gesundheitliche Risiken geprüft werden sollte, legten die Regierungen fest, dass die Chemikalienagentur „von Fall zu Fall“ prüfen und gegebenenfalls ein Verfahren wieder aufnehmen kann. Schließlich, so argumentierte die Industrie, könne sich ein Unternehmen nicht auf die teure Entwicklung und die Produktion eines Stoffes einlassen, der nur für fünf Jahre auf dem Markt zugelassen sei.

Der Vorsitzende des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments, Karl-Heinz Florenz (CDU), begrüßte die Einigung. „Das ist eine gute Grundlage für die zweite Lesung.“ Das Parlament muss die Vorlage des Rates noch billigen, erst Mitte 2006 wird es dann die endgültige Abstimmung des Rates geben.

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