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Konkurrenz am Himmel. Die europäischen Fluglinien stehen im harten Wettbewerb mit den kapitalstarken staatlichen Airlines aus den Emiraten.

© dapd

Europas Luftfahrt in der Krise: Turbulente Zeiten

Deutschlands Fluggesellschaften schreiben rote Zahlen. Jetzt rufen sie den Staat zur Hilfe. Er soll neue Regeln schaffen. Aber wie?

Atlantis ging unter, weil die Lufthansa es so wollte. Fast 40 Jahre ist das nun her: Im Herbst 1972 musste die kleine Fluggesellschaft mit Sitz in Echterdingen bei Stuttgart Konkurs anmelden. Vier Jahre zuvor, im wilden 1968, war sie von einem ehemaligen Manager und einem Piloten der Gesellschaft Südflug gegründet worden, die gerade von Lufthansa aufgekauft worden war. Die Männer trieben genügend Geld zum Kauf erster McDonnell-Douglas-Maschinen auf und bewarben sich sogar erfolgreich um Landerechte in den USA.

1971 beförderte Atlantis immerhin eine halbe Million Passagiere. Doch Behörden und der Platzhirsch waren stärker. Ämter erteilten keine Zulassungen, Lufthansa verweigerte der kleinen Airline technische Dienstleistungen sowie die Anlieferung der Bordverpflegung, senkte Flugpreise auf den Routen, die auch von Atlantis bedient wurden. Der Kampf war nicht zu gewinnen.

Denn damals war die Welt noch geordnet – zumindest für Air France, British Airways, Alitalia, Iberia und eben Lufthansa. Die damaligen Staatsfluglinien waren alle in ihren jeweiligen Heimatmärkten fast unangefochten und machten sich höchstens im Interkontinentalverkehr ein wenig Konkurrenz. Defizite glich der Staat aus. Erst 20 Jahre später, ab Anfang der 1990er Jahre, gelang es einem Privatmann, nach und nach einen ernsthaften Wettbewerber aufzubauen: Joachim Hunold schuf Air Berlin, die heutige Nummer zwei in Deutschland.

Er profitierte wie Ryanair-Chef Michael O’Leary und andere von dem Beginn der Liberalisierung des Marktes ab 1993. Dank ihnen ist Fliegen für Reisende heute billiger, aber auch komplizierter (siehe Kasten). Für die Luftfahrtmanager ist es nur komplizierter: Sie hadern mit der Art der Regulierung in diesem teilliberalisierten Markt. Mit roten Zahlen in den Büchern und Aktionären im Nacken schimpfen sie heute auf die Politik – und rufen sie zugleich zur Hilfe.

Vergangene Woche war das mehrfach zu hören. Am Dienstag etwa saß Hartmut Mehdorn, Hunolds Nachfolger auf dem Air-Berlin-Chefsessel, auf einer Pressekonferenz im Berliner Hotel Interconti und wetterte gegen die Anfang 2011 eingeführte Luftverkehrssteuer, die dem Bund eine Milliarde Euro jährlich in die Kasse spülen soll. „Die Steuer passt nicht in die Zeit“, maulte er. Dann schimpfte er über die Gebühren an den Flughäfen, die seien hierzulande so hoch wie nirgendwo anders. Warum das noch keine Behörde geprüft habe, sei ihm rätselhaft.

Und das war nur der Auftakt zur eigentlichen Sensation. Vertriebsvorstand Paul Gregorowitsch kündigte die Einführung eines neuen Billigtarifs an. Ab 1. Juli gibt es auch bei Air Berlin Sitzplätze ohne alles. Es ist die Kapitulation vor den aggressiven Konkurrenten Ryanair und Easyjet. Aktienanalysten hielten das in ersten Bewertungen gleichwohl für eine gute Idee. Das könne Air Berlin helfen, Flieger zu füllen und die Krise zu überstehen.

Alle heimischen Gesellschaften verweisen derzeit immer wieder auf die gleichen Gründe für ihre Misere: Zur Luftverkehrssteuer, bei der sie 7,50 bis gut 42 Euro je Ticket abführen, kommt die zum Jahresanfang erfolgte Einbindung aller Fluggesellschaften in das EU-weite Handelssystem mit Klimaschutzzertifikaten, das tatsächlich aber bisher noch überschaubare Kosten verursacht (siehe Interview). Und dann sind da die von Richtern und Behörden verhängten Nachtflugverbote sowie das Fehlen eines einheitlichen europäischen Luftraums.

Lufthansa legt der Politik ein Zehn-Punkte-Papier vor.

Große Konkurrenz. 1987 begann die Liberalisierung des europäischen Luftverkehrsmarktes.
Große Konkurrenz. 1987 begann die Liberalisierung des europäischen Luftverkehrsmarktes.

© dpa - Bildfunk

Allein diese vier Faktoren würden das Ergebnis seiner Gruppe mit rund 700 Millionen Euro in diesem Jahr belasten, sagte Lufthansa- Chef Christoph Franz am Mittwoch mit ernster Miene nach einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) in Berlin. Franz verwies auch auf immer drastischere Strafen, die heimische Airlines für Flugausfälle und Verspätungen zahlen müssten. „Immer mehr gelingt es unseren Wettbewerbern, sich um solche Strafen herumzudrücken, während wir voll zur Kasse gebeten werden“, sagte er und meinte die außereuropäischen Flieger. Sie machen Europas Marktführer auf Mittel- und Langstrecken die stärkste Konkurrenz, allen voran Emirates aus Dubai.

Zwar bestreiten alle Airlines aus den Emiraten, dass sie von den Königshäusern finanziert werden. Franz verwies jedoch auf die Standortbedingungen an ihren Drehkreuzen: Wie soll die seit 1997 vollständig privatisierte Lufthansa mit kapitalstarken staatlichen Airlines konkurrieren, die rund um die Uhr – mutmaßlich fast kostenlos – riesige Airports im Wüstensand nutzen können? Lufthansa muss sich derweil mit einem gerichtlichen Verbot für nächtliche Frachtflüge an seinem Drehkreuz in Frankfurt abfinden.

Dieser Fall Frankfurt wie auch die Weigerung der britischen Regierung, dem größten europäischen Airport Heathrow eine dritte Landebahn zu genehmigen, dienten Tony Tyler, dem Chef der IATA, des Weltverbandes der Airlines, jüngst, um über kulturelle Unterschiede bei der Regulierung der Branche zu philosophieren. „In nur wenigen Ländern gibt es ein so gutes Verständnis davon, wie Luftfahrt die Wirtschaft beleben kann, wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten“, schwärmte er Mitte April in Abu Dhabi. Allein der benachbarte Dubai Airport fertige fast 51 Millionen Gäste im Jahr ab, obwohl in dem Emirat selbst gerade mal zwei Millionen Einwohner leben. Die Regierungen in China, Singapur und Südkorea würden Luftfahrt als ähnlich strategisch wichtig begreifen und fördern.

So sieht sie aus, die neue Luftfahrt- welt: Auf der einen Seite stehen staatlich gestützte Airlines aus zweifelhaft demokratischen Schwellenländern, die mit Topservice und Beteiligungen, wie jüngst Etihad bei Air Berlin, Weltmarktanteile gewinnen. Im Westen dagegen sterben Airlines oder siechen dahin: In Europa gingen seit Januar Spanair und Malev aus Ungarn pleite, in den USA, wo die Liberalisierung schon zehn Jahre früher begann, musste im November American Airlines als letzte Traditionsairline in die Insolvenz fliehen, um sich vor Gläubigern zu schützen und zu sanieren.

Mehdorn und Franz erleben tagtäglich, dass ein liberalisierter Markt eben weniger ein freier, als vielmehr ein komplexer Markt ist, da dort viele mitreden (dürfen und sollen): Mitarbeiter, Aktionäre, Anwohner und Fluggäste. All deren Rechte schützt der Staat. Und das kostet Geld.

Lufthansa-Chef Franz legte mit anderen Managern und Funktionären der Branche Minister Ramsauer bei ihrem Treffen vergangene Woche ein Zehn-Punkte-Papier vor. Dessen Titel man auch als verzweifeltes Friedensangebot an die Konkurrenz aus Nah- und Fernost lesen könnte: „Ein neuer Grundkonsens für die Zukunft des Luftverkehrs“. Erster Punkt: „Gleiche Spielregeln für alle“. Die hätten sich die Pioniere der Airline Atlantis vor 40 Jahren auch gewünscht.

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