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Wirtschaft: Fahndungserfolg in Chicago

Claus Noppeney: Zwischen Chicago-Schule und Ordoliberalismus.Verlag Paul Haupt, Bern 1998, 328 S.

Claus Noppeney: Zwischen Chicago-Schule und Ordoliberalismus.Verlag Paul Haupt, Bern 1998, 328 S., 83 DM

Leute mit ökonomischer Ausbildung verbinden mit dem Wort "Chicago" Begriffe wie "Schule" oder "Boys".Ähnlich zuverlässig werden "Laissez Faire", "Monetarismus", "ökonomischer Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens" oder "Anti-Keynesianismus" in den Sinn kommen.Wenn Kant der Alleszermalmer der metaphysischen Illusionen war, dann sind George Stigler, Milton Friedman und Garry Becker die Zermalmer der ökonomischen Illusionen.Wohin sich der Blick auch wendet, immer pflegen die "Boys" der Chicago-Schule den schnörkellosen theoretischen Punch.Der Name der Stadt im Mittleren Westen ist zum Symbol des konsequenten ökonomischen Stils geworden; Platz für ethische Überlegungen des gesellschaftlichen Sollens bleibt da kaum.

Diese Kritik an den Chicago-Boys formuliert im wissenschaftlichen Umfeld niemand schärfer als Peter Ulrich, der die reine ökonomische Rationalität als hinreichenden Grund für eine gesellschaftliche Ordnung nicht anerkennen will.Der Sachzwanglogik des Marktes dürften sich die Bürger nicht fügen, so das Plädoyer des in St.Gallen lehrenden Wirtschaftsethikers, der gesamte Wirtschaftsprozeß sei unter den Vorbehalt einer ethischen Legitimation zu stellen und die ökonomische Rationalität in sozial-ökonomische Vernunft zu transformieren.

Es hat zweifellos etwas Pikantes, daß der junge Ökonom Claus Noppeney, nun ausgerechnet in Chicago einen theoretischen Vorläufer dieser "Integrativen Wirtschaftsethik" des Peter Ulrich gefunden haben möchte, nicht irgendwen, sondern einen Ökonomen von Austrahlung und Statur, namentlich Frank Hyneman Knight (1885-1972).Das ist nun wirklich überraschend, wird Knight doch herkömmlicherweise neben andere Sozialphilosophen der Wirtschaftswissenschaft im 20.Jahrhundert wie z.B.James M.Buchanan, Milton Friedman und Friedrich August von Hayek gestellt, mit denen er eine libertäre Schule gebildet habe.Claus Noppeney will in seiner wirtschaftsethischen Spurensuche zeigen, daß "eine Ökonomie auf der kritischen Denklinie Knights (...) in den Gegensatz zum Chicagoer Credo" kommt.Das Piratenstück gelingt.Gegenüber dem klar geschnittenen Ökonomismus, für den die Chicago-Schule bekannt ist, zeichnet Noppeney das Bild eines facettenreichen, aber auch vielfach unschlüssigen und wechselhaften Denkers.Knight tritt als Prediger der Konsumentensouveränität auf, für den die Werbung nichts weiter ist als eine wertvolle Informationsveranstaltung.Dann wieder will er in ihr ein gefährliches Herrschaftsinstrument sehen, das den Konsumenten die Wahl raube.Manche der Widersprüche würden aus Knights Selbstverständnis als einem ausgleichenden Gegenwicht verständlich: Wenn sich die öffentliche Meinung auf etwas eingeschworen hatte, sah es Knight als seine Aufgabe an, eine Gegenmöglichkeit zu eröffnen.Je nach Mehrheitslage trat er mal als New Dealer auf, pries das andere Mal die "Selbstheilungskräfte des Marktes", immer jedoch handelte er gegen den Zyklus.Noppeney stellt Knight als geborenen Kritiker dar, "dessen Inkonsistenz die einheitlichen Systematiker in therapeutischer Absicht irritiert." In einer ebenso aufopferungsvollen wie kuriosen Apologie erklärt er sogar, es sei gar keine Schwäche Knights, Widersprüche zu produzieren, sondern der "reflexiven Moderne" angemessen.

Knight verstand sich nicht vornehmlich als Ökonom.In einem Brief an Paul Rosenstein-Rodan aus dem Jahre 1933 verriet er, Ökonomie beschäftige ihn nur als Detail, freilich als ein sehr wichtiges Detail des sozialpolitischen Problems.Der ökonomische Kernbegriff der Effizienz werfe unvermeidlich eine Wertfrage auf.Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz könnten niemals "wertneutral" sein, weil von Effizienz immer nur hinsichtlich eines Wertes zu sprechen sei.Es macht den kritischen Kern der Position Knights aus, daß er die Präferenzen der Einzelnen nicht für eine angemessene Grundlage ethischer Bewertung hält.Die Menschen, so sein Credo, wüßten gar nicht, was gut für sie sei.Es gehe ihnen eigentlich um eine Selbstverfeinerung, sie wünschten sich die Gestaltung der eigenen Präferenzen im Lichte geltender Werte.

Dieser Sicht entspricht Knights Auffassung, daß im Preissystem ethische Werte nur verzerrt widergespiegelt würden."Niemand behauptet, daß ein phantastisches Abendkleid für die Geliebte eines Herrschers aus ethischer Sicht ebenso viel wert ist wie ein solides Wohnhaus.Dennoch sind solche relativen Preise nicht ungewöhnlich." Laut Noppeney stellt Knight sich Werte als Ergebnisse gesellschaftlicher Verständigungsprozesse vor und qualifiziert sich damit für die Ahnengalerie der Integrativen Wirtschaftsethik.

Das ist in ideengeschichtlicher Hinsicht ein aufschlußreicher Befund.Bezweifeln darf man jedoch, daß dadurch etwas für die St.Gallener Art, Wirtschaftsethik zu betreiben, gewonnen ist.Warum, so fragt man sich, überhaupt eine Ahnengalerie in der Ökonomie zusammenstellen, die sich an Werkzusammenhängen viel weniger orientiert als an Diskussionszusammenhängen? Und in dieser Hinsicht hat Knight - offen gesagt - wenig beizutragen.Für die "Ahnengalerie" ist Knights Ironie einschlägig.Als Milton Friedman einen Disput mit ihm durch Zitieren aus dessen Artikeln für sich zu entscheiden suchte, quittierte Knight: "Junger Mann, versuchen Sie etwa gerade, mich mit dem Appell an eine Autorität zu überreden?"

MICHAEL SCHEFCZYK

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