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US-Hypothekenkrise

© Matthias B. Krause

Finanzen: Der amerikanische Häuserkampf

Sie waren dumm, schwarz oder arm – und sie glaubten ihren Kreditvermittlern. Nun wanken Banken und Börsen auf der halben Welt

Von all den Geistern, die nachts in seinem Kopf herumfuhrwerken, ihn nur zwei, drei Stunden schlafen lassen, sind die am schlimmsten, die ihn an seine beiden Kinder erinnern. „Ich kann sie nicht sehen, sie können mich nicht sehen. Sie bekommen den Eindruck, dass ihr Vater nichts hinbekommt, ob sie wollen oder nicht. In ihren Augen bin ich ein Versager.“ Jeremiah Baldwin steht inmitten eines Raumes, von dem man sagen könnte, er sei eine Baustelle. Aber das hieße, dass es hier irgendwann weitergeht. Dass die nackten Rigipswände verspachtelt und gestrichen werden, dass im Kamin wieder ein Feuer brennt, dass die Dielen unter den Holzplatten geschliffen und versiegelt sind. Dass jemand die Vorhänge aufzieht und die Fenster öffnet, Licht hereinlässt und frische Luft.

Baldwin ist 30 und so um die zwei Meter lang. Ein Mann wie ein Baum, ein Händedruck wie ein Schraubstock. Er hat wilde, rotblonde Locken und Augen, die vor Energie funkeln. Oder vor Zorn. Wenn er sich umsieht in dem kleinen Haus in der 1930 Floral Avenue in Columbus, Ohio, sieht er eine Ruine. Die Trümmer seines Lebens. Seinen Bankrott.

Jeden Tag kann der Brief mit dem Ultimatum kommen, die Ankündigung der Zwangsversteigerung. 24 Stunden, so viel Zeit bleibt ihm dann, um eine neue Bleibe zu finden. „Wahrscheinlich schlafe ich erst einmal in meinem Van“, sagt er. Erst, wenn die Sache ganz vorbei ist, kann er mit seinem Leben neu beginnen. Von ganz unten.

So wie Baldwin geht es vielen. In der ersten Hälfte dieses Jahres waren allein im US-Bundesstaat Ohio 10 000 Familien gezwungen, ihre Wohnungen und Häuser zu versteigern. Im ganzen Land werden es bis Ende 2007 vielleicht zwei Millionen sein. „So schlimm war es seit der Großen Depression in den 30er Jahren nicht mehr“, sagt Richard Cordray, Finanzminister des Bundesstaates Ohio.

Cordray beschäftigt sich schon eine ganze Weile mit dem Problem. Bevor er 2006 zum Finanzminister des Bundesstaates gewählt wurde, bekleidete er dieselbe Position für das Franklin County, einen Landkreis mit einer der höchsten Zwangsversteigerungsraten in Ohio und damit in den USA.

Wer Cordray nach den Ursachen der Krise fragt, die mittlerweile neben der Wall Street auch Banken und Börsen in Europa, Asien und Australien zittern lässt, bekommt zur Antwort: „Es gibt eine Menge Schuld zu verteilen“, sagt er, „sehr aggressive Verleihungspraktiken der Banken haben sich gepaart mit dem Wunschdenken der Konsumenten.“ Wie zum Beispiel dem von Rhonda Dutton: „Ich war 36 Jahre alt“, sagt sie, „ich hatte es satt, Geld für Miete aus dem Fenster zu schmeißen. Ich wollte etwas Eigenes.“

Da traf es sich gut, dass eine Kollegin der Medizinisch-Technischen Assistentin jemanden kannte, der etwas Passendes zur Hand hatte. Die vier Zimmer sind gerade groß genug für Dutton und ihren Mann, einen pensionierten Pepsi-Cola- Arbeiter. Wenn eines der Enkelkinder zu Besuch kommt, gibt es ja noch den Keller. Um den Schimmel darin versprach der Verkäufer sich zu kümmern. Und eine Finanzierung hatte er auch parat.

Die Wohngegend rund um den Maurice Drive, eine Viertelstunde von Columbus’ Stadtzentrum entfernt, ist ruhig, sicher und sauber, auch wenn die Leute zu beschäftigt sind, um in ihren Vorgärten Wege, Sträucher oder Blumenbeete anzulegen. 650 Dollar, hatte Rhonda Dutton sich ausgerechnet, könnten sie jeden Monat für die Abzahlung der Hypothek ausgeben. Damit ließ sich kein Haus für 94 000 Dollar finanzieren, aber so viel wollte der Verkäufer, ein Mann namens Troy. Statt den Preis zu senken, machte er einen Vorschlag: Er übernehme ein Jahr lang die Differenz zwischen den 650 Dollar, die Dutton zahlen kann, und den 833 Dollar, die die Hypothek kostet. Und die Bank versprach auch etwas: Nach einem Jahr würde sie sich um eine Umfinanzierung kümmern und so die monatlichen Raten senken.

Im vergangenen Dezember zogen die Duttons ein. Und auf den ersten Blick sieht auch heute noch alles in Ordnung aus. Ein riesiger Flachbildschirmfernseher dominiert eine der Wohnzimmerwände. Über dem Sofa stehen fein aufgereiht auf drei Regalen Dutzende Mickey-Mouse-Figuren, auch die Küche hat Rhonda Dutton damit dekoriert.

Sie streicht den blaugrauen Sofabezug glatt, bevor sie sich hinsetzt – und schwer schluckt, damit ihr nicht die Tränen kommen. Von Troy haben die Duttons seit dem Tag der Vertragsunterzeichnung nichts mehr gehört. Das versprochene Geld hat er nie geschickt. Stattdessen mussten sie 4500 Dollar in das Haus stecken, das sich als Bruchbude erwies. Und die 1500 Dollar, die Dutton jeden Monat nach Hause bringt, reichen nicht, um die Hypothek zu bedienen, das Auto abzubezahlen, um für Wasser, Strom und Gas aufzukommen und Essen auf den Tisch zu bringen. Und eigentlich wollten sie ihren vier Kindern auch noch etwas zukommen lassen.

Zu gerne würde Rhonda Dutton Troy verklagen, doch sie weiß, dass sie dann wahrscheinlich ihr Haus verliert. Der Verkäufer und Kreditvermittler in Personalunion hatte am Tag des Vertragsabschlusses 11 000 Dollar auf Rhonda Duttons Konto überwiesen und sie aufgefordert, das Geld sofort abzuheben. Dann gab er es bei der Hypothekenbank als Eigenanteil der Käuferin aus. Ein Betrug, bei dem Dutton im Zweifelsfall als Mittäterin vor Gericht landen würde.

Die Bank jedenfalls hat bereits gedroht, sie ihrerseits zu verklagen, falls sie vor Gericht zieht. Wohl auch als Selbstschutz, denn wie sich herausgestellte, fingierte die Sachbearbeiterin Rhonda Duttons Einkommen. Statt 1500 Dollar gab sie 2950 Dollar an – „sonst hätte ich den Kredit nie bekommen“, weiß Dutton heute.

Am liebsten würden sie ihr Haus sofort wieder verkaufen. Doch auch dafür brauchen sie Geld. Der amtliche Schätzer hat den Wert des Anwesens im Maurice Drive auf 82 000 Dollar taxiert, also 12 000 Dollar weniger als sie der Bank schulden. Und ob sie es für den Betrag überhaupt loswürden, wer weiß. Allein nebenan stehen vier Häuser zum Verkauf, das drückt auf die Preise. Gleichzeitig haben die Banken, die vor kurzem noch so großzügig ihre Kredite unter die Leute brachten, ihre Vergabekriterien drastisch verschärft. Es werden also weniger Häuser gekauft, immer mehr davon stehen leer und senken damit den Wert der bewohnten um sie herum – eine Abwärtsspirale, deren Ende nicht abzusehen ist.

Es sei immer wieder erstaunlich, wie naiv die Leute an die größte Investition ihres Lebens herangingen, wettert Bill Faith mit seiner dröhnenden Stimme. Der Chef der Coalition on Homelessness and Housing, der ein bisschen aussieht wie Drafi Deutscher, warnt seit Jahren davor, dass die Zeitbombe auf dem Immobilienmarkt zündet. Wenn er von seinem Schreibtisch aus im ersten Stock eines Hochhauses aus dem Fenster sieht, kann er fast zum Büro des Finanzministers Cordray hinaufblicken. Die beiden trennt nur das Ohio Statehouse, das Landesparlament im Herzen von Columbus. Im Laufe der Jahre errichteten die Banken ihre Türme rund um das alte Gebäude und werfen nun ihre langen Schatten. Für Faith ist das ein Symbolbild. „Keine andere Industrie in diesem Lande war so unreguliert wie die Kreditwirtschaft“, sagt er.

Was sich auf dem Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren abspielte, bezeichnet er als „Wilden Westen“. 70 Prozent aller Kredite seien nicht mehr direkt von den Banken, sondern von Hypothekenvermittlern vergeben worden: „Die hatten jedoch nur ein Interesse daran, möglichst viele Kredite mit möglichst hohen Zinsen und vielen Gebühren abzuschließen. Das Risiko haben sie an die Investoren an der Wall Street weitergegeben, die mit ihrem Geld die Nachfrage nur noch weiter anheizten.“

In schneller Folge entstanden immer neue Produkte mit immer höheren Risiken. Non paper mortgages, Hypotheken, bei denen der Schuldner kein Einkommen nachweisen musste, wurden von der Ausnahme zur Norm. Die erhöhte Gefahr, ihr Geld nicht wieder zu sehen, ließen sich die Banken mit kräftigen Zinsaufschlägen bezahlen.

Berüchtigt sind auch die Teaser rates, die Lockangebote. Solche Hypotheken starten mit einem sehr niedrigen Zinssatz und passen sich nach zwei oder drei Jahren sprunghaft den Marktzinsen an. Danach kann der Zinssatz alle sechs Monate steigen, teilweise auf 12, 14, 16 Prozent. Die Hypothekenzahlungen verdoppeln oder verdreifachen sich so schlagartig. Dass das Geschäft überhaupt so lange gut ging, hat mit der Dynamik es amerikanischen Immobilienmarktes zu tun. In guten Jahren steigen hier die Preise um acht, zehn, manchmal 15 Prozent. Und so lange der Wert eines Hauses höher ist als die Belastung durch eine Hypothek, haben die Banken genügend Sicherheiten. Doch wehe, die Preise stagnieren oder fallen – so wie in Columbus seit mehr als zwei Jahren.

„Mittlerweile hat es die Mittelklasse voll erwischt“, sagt Faith. Wer das beobachten will, muss vom Statehouse eine halbe Stunde lang gen Westen an den Rand der Stadt fahren. Dort, wo einst die Bauern Gemüse anbauten und Kühe hielten, stampften Bauunternehmen riesige Siedlungen aus dem Boden. Zum Beispiel Galloway Ridge. Eine große Tafel vor dem weißen Zaun, der die Straße von der Siedlung trennt, zeigt die perfekte Familie: Vater, Mutter, zwei Kinder. Sie schwärmt von baumgesäumten Straßen und dem Park mit den Spielplätzen. Doch mittlerweile stehen auch hier immer mehr „For Sale“-Schilder in den Vorgärten. Die im Namen der Baufirma tätigen Kreditvermittler schlossen so viele zweifelhafte Geschäfte ab, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Anwohner haben eine Sammelklage eingereicht.

„Die Geschichte hat ganz klar auch eine rassistische Komponente“, sagt Paul Bellamy, „doch darüber spricht niemand.“ Der Anwalt der Equal Justice Foundation in Cleveland hat gemeinsam mit Bill Faith einen Report über die Zwangsversteigerungen in Ohio verfasst. Gerade hocken die beiden in Faiths Büro zusammen und planen ihre nächste Kampagne. „Solange sie nur die leeren Häuser in den Schwarzenvierteln mit Brettern verrammelten, hat niemand auf uns gehört“, sagt Bellamy, „seit es nicht mehr nur die Schwarzen, die Armen und die Dummen sind, beachtet uns endlich auch die Politik.“

Im Frühjahr verabschiedete das Landesparlament von Ohio ein Verbraucherschutzgesetz, das die Kreditwirtschaft reguliert. „Gut“, sagt Faith, „aber nicht gut genug. Wir brauchen ein Gesetz von Washington. Es ist doch Blödsinn, wenn die Banken jetzt sagen, es werde nicht wieder passieren. Wenn sich nichts ändert, kann der Wahnsinn gleich morgen wieder losgehen.“

Für Jeremiah Baldwin kommen die Gesetze ohnehin zu spät. Als er 2003 das kleine Haus in der Floral Avenue kaufte, hatte er große Träume. Ein charmantes Schmuckstück sollte daraus werden, ein Heim für seine Kinder, die bei ihrer Mutter leben, von der er frisch geschieden war. Von Berufs wegen mit der Restaurierung von Häusern vertraut, glaubte er das Risiko abschätzen zu können. Zudem verdiente er glänzend. Doch dann vertraute er den falschen Leuten. Der Verkäufer hatte einen Hypothekenvermittler zum Freund, der einen Bauinspektor kannte, der mit einem Gutachter zusammenarbeitete … Am Ende bezahlte Baldwin 64 000 Dollar für ein Haus, das kaum die Hälfte wert war.

Der Garten müsste abgetragen werden, weil der einst als Müllhalde diente und verseucht ist. Die Decken im Haus fielen herunter, der Schornstein war undicht, die Wasserrohre platzten. Die Hypothek hatte viel zu hohe Zinsen, die nach zwei Jahren weiter stiegen – und dann alle sechs Monate. Die Grundsteuer schnellte um 95 Prozent nach oben. Weil das Haus unbewohnbar ist, dürfen ihn seine Kinder nicht mehr besuchen. „Das bringt mich um“, sagt Baldwin. Und: „Den Kreditvermittler möchte ich gerne einmal in einer Bar treffen.“

Nun, nach vier Jahren und 20 000 Dollar Renovierungskosten, ist Baldwin am Ende: „Es ist es einfach nicht mehr wert.“ Als er vor ein paar Monaten vergaß, 32 Dollar Strafe für eine verspätet überwiesene Rate zu bezahlen, leitete die Bank die Zwangsversteigerung ein. Erst, wenn das Haus einen neuen Besitzer hat, kann er einen Offenbarungseid leisten. So wird er die Schulden los, die dann mit Sicherheit noch zu begleichen wären, weil das Haus viel weniger Geld wert ist, als er von der Bank lieh. Wenn alles überstanden ist, beginnt ein Leben ohne Kreditkarte, ohne Bankkonto, selbst ein Handy zu bekommen, wird fast unmöglich sein.

Baldwin steht in seiner Ruine und kann nicht mehr an sich halten: „Eine ganze Generation ist hier beschissen worden, einfach, weil ein paar Leute reich werden wollten – sofort.“ Wütend stampft er über den rohen Fußboden und wirft die klapprige Haustür ins Schloss. Draußen auf der Treppe wartet Kibbles, die kleine schwarz-weiß-rote Katze, die er vor den Nachbarjungs gerettet hat. Sie streicht um seine Beine und miaut nach Kräften. „Sie hat Hunger“, sagt Baldwin entschuldigend, „ich habe sie seit zwei Tagen nicht mehr gefüttert.“ Sein Gehaltsscheck kommt erst morgen.

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