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Finanzprodukte: Experten beklagen mangelnde Kontrolle

Trotz Krise werden wohl auch künftig nicht alle Finanzprodukte kontrolliert. Die Banker können beruhigt sein.

Mit mehr Kontrolle hätte die Finanzkrise verhindert werden können. Dessen ist sich Hans-Peter Schwintowski, Wirtschaftsprofessor an der Humboldt-Universität, sicher. Bei sorgfältiger Analyse sämtlicher verbriefter Kredite hätte das Urteil gelautet: Zu viel Risiko, zu wenig Eigenkapital. Doch es wurde nicht unabhängig geprüft, stattdessen häufig abgenickt und dem internationalen Renommee von Banken und Ratingagenturen vertraut. Die Krise führte an den Rand des Ruins. Man sollte meinen, Finanzwelt und Politik hätten ihre Lektion gelernt. Doch Schwintowskis Diagnose fällt ernüchternd aus: „Wir haben weiterhin niemanden, der die Finanzprodukte materiell überprüft, aber genau das brauchen wir.“

Eine zentrale Prüfstelle, ein Finanz- Tüv, der die Risiken von Fonds und Zertifikaten begutachtet, bevor sie auf den Markt kommen, ist schon lange in der Diskussion. Erst am Mittwoch erneuerte Verdi-Bundesvorstand Uwe Foullong im Tagesspiegel-Interview diese Forderung. Doch daraus wird wohl nichts.

Noch im September hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert, dass jedes Finanzprodukt und jeder Finanzplatz künftig beaufsichtigt werden müsse. Davon kann heute keine Rede sein. „Die Banken können vertreiben, was sie wollen“, sagte ein Sprecher der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).

Die Kehrtwende spiegelt sich im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung. Nach Informationen des „Handelsblatts“ wollte die FDP eine Forderung einfügen, wonach alle Anlageprodukte künftig von zwei unabhängigen Ratingagenturen zu prüfen seien. In dem unterschriebenen Vertrag fehlt aber ein entsprechender Passus. Die Lobby der Banken und Versicherungen hat sich offenbar erfolgreich zur Wehr gesetzt.

Geblieben ist eine unkonkrete Ankündigung: „Wir prüfen die Einrichtung einer unabhängigen Stiftung für Finanzprodukte nach dem Muster der Stiftung Warentest.“ Über dieses Stadium ist das zuständige Ministerium für Verbraucherschutz nach eigenen Angaben bisher nicht hinausgekommen. „Wir sind immer noch dabei zu prüfen“, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums.

Eine zentrale Prüfstelle hätte auch eine wahre Mammutaufgabe zu stemmen. „Ein Finanz-Tüv stünde vor der schweren Aufgabe, den riesigen Markt von Finanzprodukten beurteilen zu müssen“, sagt Dorothea Mohn, Finanzexpertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Regierungskreisen zufolge sind derzeit etwa 800 000 Finanzprodukte auf dem deutschen Markt verfügbar, davon alleine 350 000 Zertifikate. Auch Schwintowski hält eine komplette Kontrolle für zu ambitioniert. Er schlägt eine stichprobenartige Überprüfung vor. So könnte die Bafin, ausgelöst durch Beschwerden von Anlegern oder durch andere Hinweise, gezielt Finanzprodukte untersuchen.

Der Bankenverband steht dem Vorhaben erwartungsgemäß kritisch gegenüber. Ein Gutachten über eine Anlage wäre laufend zu aktualisieren, weil sich deren Risiko ständig ändere, sagte ein Sprecher. Dazu müsste man klären, wer für ein erteiltes Gütesiegel hafte. Statt eines Finanz-Tüvs sei es eher ratsam, die Kompetenz der Anleger in Finanzfragen zu fördern.

Die Banker können beruhigt sein. Bisher ist nichts dergleichen geplant, jedenfalls nach Kenntnis der Bafin. Und es ist mit den dort vorhandenen Kapazitäten auch nicht möglich. „Ich bezweifle, dass wir nebenbei einen Finanz-Tüv stemmen könnten“, sagte ein Bafin-Sprecher. Derzeit prüft die Behörde in den Bankprospekten lediglich die formellen Angaben zu Anlageprodukten – nicht deren Seriosität. Dazu kommt, dass sich die Bafin nur in zweiter Linie dem Verbraucherschutz verpflichtet fühlt. Doch das scheint sich zu ändern. „Das Verständnis beginnt sich langsam zu wandeln“, erklärte Schwintowski, der im Beirat der Bafin sitzt.

Auch Dorothea Mohn fordert eine Kontrolle durch die Bafin, die auf Beschwerden der Verbraucherzentralen hin tätig werden solle. Mit dem Plädoyer für einen umfassenden Finanz-Tüv halten sich die Verbraucherschützer jedoch merklich zurück. Zumindest öffentlich. Hinter den Kulissen wird Schwintowski zufolge um eine Überwachungsbehörde gerungen. Scheinbar ohne Erfolg. „Der Druck, der von der Finanzindustrie und international von den angelsächsischen Staaten gegen eine Überprüfung der Finanzprodukte ausgeübt wird, ist meines Erachtens zu groß“, sagte Schwintowski.

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