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Hans-Werner Sinn: "1929 traf es die Juden - heute die Manager"

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn über Sündenböcke der Finanzkrise, strengere Regulierung von Banken und weniger Wachstum

Herr Sinn, Sie gehören zu denen, die für die Finanzkrise verantwortlich sind.

Ist das so? Wer sagt das?

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ zählt sie zu den „Neunmalklugen“, die stets das Mantra des unbeschränkten Marktes gepredigt haben – der nun vor dem Kollaps gerettet werden muss.

Der Bildtexter der „Zeit“ hatte einen Blackout. Ich finde es ehrenvoll, dass die Zeitung mich gleich neben Bundespräsident Köhler genannt hat, fühle mich aber wie er nicht angesprochen. Seit Jahren verlange ich in einer Vielzahl von Publikationen eine strengere Regulierung der Banken. Schon 2003 habe ich ein Buch dazu veröffentlicht, das von liberalen Bankökonomen heftig kritisiert wurde. Ich habe gewarnt, dass es einen internationalen Wettlauf der Staaten um die laschesten Gesetze gibt. Und dass die Banken zu riskante Geschäfte eingehen. Auch Bundespräsident Köhler fordert seit langem eine schärfere Regulierung der Banken.

Die meisten Ihrer Professoren-Kollegen haben einen Rückzug des Staates empfohlen. War das ein Fehler?

Einige haben auf Deregulierung gesetzt. Niemand wollte die staatliche Regulierung völlig abschaffen – das gerät in der Debatte derzeit durcheinander. Auch die liberalen Ökonomen haben immer gesagt, dass es um einen funktionierenden Staat geht, der dem Markt die Regeln vorgibt. Wie beim Fußball: Damit das Spiel läuft, braucht es einen Schiedsrichter – ohne ihn würden die Spieler mit den Fäusten aufeinander losgehen. Mit diesem Ordoliberalismus, den Leute wie Walter Eucken oder Ludwig Erhard geprägt haben, sind wir bislang gut gefahren. Liberale Ökonomen wollen nur nicht wie manche linke Ideologen, dass der Schiedsrichter selbst mitspielt und für die unterlegene Mannschaft Tore schießt.

Der Markt hat derzeit ein Image-Problem, ebenso Prinzipien wie Rendite, Effizienz oder Privatisierung. Wundert Sie das?

Viele verstehen nicht, wo die Grenzlinie zwischen Markt und Staat liegen muss, und spielen sich jetzt auf. Etwas mehr Sachlichkeit und Sachverstand wäre gut. Die Ursachen der Finanzkrise sind glasklar, und hier muss man ansetzen.

Nämlich wo?

Die Wall Street konnte zu einem Casino werden, weil die Banken ihr Eigenkapital über alle Maßen reduzieren durften und dann maßlose Risiken eingegangen sind, ohne dafür haften zu müssen. Wer wie eine US-Investmentbank in einem Geschäft hundert Dollar einsetzt, selbst aber nur vier besitzt, haftet praktisch nicht mehr. Weil die Eigentümer der Investment-Banken fast nichts zu verlieren hatten, verlangten sie von ihren Managern, hohe Wagnisse einzugehen – die entweder hohe Gewinne oder hohe Verluste bedeuteten. Sie wussten: Wenn es schief geht, wird schon irgendjemand für die Folgen geradestehen. Den Verlust des bisschens an Eigenkapital, das eingesetzt wurde, haben die Aktionäre immer mit eingeplant. Dafür haben sie vorher prächtige Dividenden kassiert.

Was folgt daraus?

Man muss die Banken zwingen, mehr Eigenkapital als Sicherheit zu halten. Dann steigt das Risiko für die Aktionäre, bei einem Konkurs ihr Geld zu verlieren – und sie verlangen von ihren Managern im Vorhinein vorsichtigere Geschäftsmodelle.

Geht es so einfach? Angesichts verlockender Millionen-Boni war den Bankern offenbar jedes noch so riskante Geschäft recht.

Die Boni wurden von den Aktionären so gestaltet, dass die Manager die Risiken suchten. Rendite-Vorgaben von 25 Prozent und mehr, wie sie von manchen Aktionären verlangt wurden, kann man nur mit waghalsigen Geschäften verdienen.

Die Manager als Opfer?

In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken. Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager. Als Volkswirt sehe ich stattdessen falsche Anreize und fehlende Regeln. Schauen Sie sich den Straßenverkehr in Indien an. Die Leute fahren links, rechts, auf dem Bürgersteig, das ist abenteuerlich. Der Verkehr kommt deswegen immer wieder ins Stocken. Sind daran die „Manager“ an den Steuerrädern schuld oder fehlende Verkehrsregeln?

Sind regelmäßige Krisen nicht ein Teil der Marktwirtschaft?

Man kann die großen Krisen heute vermeiden. Glücklicherweise wissen wir von der Weltwirtschaftskrise 1929 und den Krisen danach, wie man Probleme im Nachhinein in den Griff bekommt. Dank der 2400 Milliarden Euro, mit denen die Industrieländer ihre Banken stützen, wird es keine größeren Bankenpleiten mehr geben. Besser wäre es aber, wir würden die Krisen von vornherein verhindern.

War der Banken-Rettungsplan der deutschen Regierung tatsächlich alternativlos?

Hätte man nichts getan, wie 1929, wären die Folgen dramatisch gewesen: eine Kernschmelze im Finanzsystem, Massenarbeitslosigkeit, die Radikalisierung der westlichen Welt, am Ende eine Systemkrise der Marktwirtschaft. Die deutsche Geschichte ist hier ja ganz klar. Der Nationalsozialismus ist aus der Krise zwischen 1929 und 1931 entstanden. Auch heute stehen Rattenfänger wieder parat.

Kreditkartenfirmen und Autobanken werden als nächste Kandidaten für eine Schieflage gehandelt. Was kommt noch?

Uns blüht noch einiges. Nachdem die Immobilienkrise aufgetreten war, haben die Banken aufgehört, den Hausbesitzern ihre Kredite zu verlängern. Dann sind die Leute auf die Kreditkarten ausgewichen und haben außerdem ihre Autos auf Pump gekauft. Die nächsten Probleme sind also absehbar. Die Krise wird uns noch eine Weile in Atem halten.

Wie realistisch ist eine Weltfinanzaufsicht, die neue Spielregeln entwickelt?

Bislang haben die Angelsachsen sich dagegen gesperrt. Wegen der laxen Aufsicht in England konnte London zu Europas Finanzzentrum werden. Das darf so nicht mehr stattfinden. Ich bin zuversichtlich, dass ein System unter der Kontrolle des Internationalen Währungsfonds entstehen wird. Er muss Regeln setzen, die die Staaten umsetzen. Der französische Präsident Sarkozy will zum Chef einer Euro-Finanzregierung werden, die die neuen Regeln für Europa aushandelt.

Muss der Finanzsektor nicht schrumpfen?

Nein, das geht nicht, ohne in eine Kreditklemme zu geraten. Ohne die Banken funktioniert eine moderne Wirtschaft überhaupt nicht. Allerdings dürfen sie nicht mehr so wagemutig sein.

Heißt das, dass die Zeit der Spekulanten, Hedgefonds und Heuschrecken vorbei ist?

All diese Aktivitäten müssen stärker überwacht werden. Man kann das Thema aber nicht mit dem Verbot bestimmter Unternehmensformen erschlagen. Vielmehr muss im Detail reguliert werden. Manche Geschäfte gehören verboten. Im Übrigen müssen wir die Institute zwingen, ihre Geschäfte mit wesentlich mehr Eigenkapital zu unterlegen, damit sie die eingegangenen Risiken auch tragen.

Welchen Anteil hat die Finanzkrise an der drohenden Rezession?

Der Abschwung, den wir bislang haben, läuft bereits seit einem halben Jahr, der Ifo-Index befindet sich seit sieben Monaten im freien Fall. Westeuropa steckt schon jetzt in der Rezession – das dritte Quartal ist ebenso wie das zweite negativ, und das vierte wird es auch sein. Die Krise wird die Lage indes in den nächsten Monaten verschlechtern.

Was kommt 2009?

Die Institute haben vorhergesagt, dass das Bruttoinlandsprodukt um etwa 0,2 Prozent steigen wird. Es gibt also praktisch kein Wachstum mehr. Das dunklere Szenario, ein Schrumpfen um 0,8 Prozent, ist durch den Rettungsplan weniger wahrscheinlich geworden.

Welche Branche wird am stärksten leiden?

Das verarbeitende Gewerbe. Es produziert Investitionsgüter, und die Weltkonjunktur wird von der Nachfrage nach ihnen gemacht. Deutschland hat sich auf die Herstellung der Investitionsgüter spezialisiert. Deswegen sind wir auch Exportweltmeister bei den Waren. Jetzt rächt sich, dass wir den Binnensektor durch unsere Lohnpolitik kaputt gemacht haben.

Wie soll der Staat die Wirtschaft ankurbeln?

Gar nicht, jedenfalls noch nicht. Noch haben die Firmen gut zu tun, die Maschinenbauer sind bis ins nächste Jahr ausgelastet. Das Problem ist nur, dass keine neuen Aufträge hinzukommen.

Muss die Politik nicht vorbereitet sein auf eine Krise, um schnell handeln zu können?

Ich neige dazu, Politiker eher zu bremsen. Sie geben ohnehin gerne Geld aus zu Lasten zukünftiger Generationen. Viele Minister sehen nun die Chance, die Sparvorgaben des Finanzministers abzuschütteln. Wenn, dann sollte man bei den Steuern etwas tun. Die Steuerquote ist die höchste seit langem. Der Vorteil einer Steuersenkung ist, dass die Bürger entscheiden können, was sie mit dem Geld machen. Zudem sollte man die Hinzuverdienstgrenzen bei Hartz IV verbessern.

Das Gespräch führten Carsten Brönstrup und Stefan Kaiser

DER ÖKONOM

Hans-Werner Sinn (60) gilt als einer der einflussreichsten deutschen Wirtschaftswissenschaftler und einer der wenigen, die auch internationales Renommee genießen. Der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Mit Büchern wie „Ist Deutschland noch zu retten?“ und „Die Basar-Ökonomie“ erregte er Aufsehen.

SEINE POSITIONEN

Sinn ist ein Kritiker des deutschen Sozialstaats. Dieser biete zu wenig Anreize zur Arbeitsaufnahme und sei mitverantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit bei gering Qualifizierten. Sinn plädiert für weniger Kündigungsschutz, Kombilöhne, eine Beschränkung der Gewerkschaftsmacht und verlangt Mindesteinkommen statt Mindestlöhne. brö

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