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Pleitebank: Mit ihren Krediten in Griechenland hatte die „Laiki“ so hohe Verluste gemacht, dass sie eigentlich schon seit Mai 2012 bankrott ist – das wusste die EZB.

© dpa / picture alliance

Finanzlage in Zypern: Wirtschaft im freien Fall

Verwaiste Fabriken, Geschäfte und Baustellen – so sieht der Alltag in Zypern seit dem Frühjahr aus. Gerettet hat die Europäische Union zuerst ausländische Investoren. Heimische Unternehmen, wenn sie noch nicht pleite gegangen sind, bangen nun um ihr Fortbestehen.

Es hätte ein gutes Jahr werden sollen für die Firma Serano. Mit Wehmut in der Stimme erzählt Antonis Neophytou, der junge Geschäftsführer und Erbe des Familienunternehmens, wie seine Eltern in 40 Jahren aus einem kleinen Laden ein über Zypern hinaus bekanntes Unternehmen machten. Stolz präsentiert er die neue Fabrik vor den Toren Nikosias. Kühlräume hoch wie Turnhallen, Röstöfen mit rotierenden Riesentrommeln, Verpackungsautomaten – alles auf dem neuesten Stand. Geröstete Nüsse und Trockenfrüchte im Wert von zwölf Millionen Euro sind im Vorjahr hier vom Band gelaufen und an Kunden in zehn Ländern ausgeliefert worden. Ja, die Kredite für die Anlage sind noch nicht bezahlt, gibt Neophytou zu. Aber die Firma war ja selbst für den schlimmsten Krisenfall gerüstet. Drei Millionen Euro Reserve lagen auf dem Konto, „angespart über ein halbes Leben“, sagt er mit Blick auf seine Mutter. Eigentlich konnte gar nichts schiefgehen – bis zu jenem „schrecklichen Tag, als sie uns verraten haben“.

Das war der 25. März, der Montag, als die Finanzminister der Euro-Zone ihr Urteil über Zypern fällten. Zehn Milliarden Euro Notkredit aus dem EuroRettungsfonds ESM gestanden sie dem Inselstaat zu, damit dieser weiterhin seine Schulden bedienen konnte. Aber nicht ein Cent davon, so lautete die Bedingung, darf zur Rettung bankrotter Banken ausgegeben werden. Doch genau die sind Zyperns größtes Problem. Mit ihren Krediten in Griechenland hatten die Großbanken „Laiki“ und „Bank of Cyprus“ so hohe Verluste gemacht, dass sie ihr gesamtes Eigenkapital verloren und eigentlich bankrott sind.

Für die Wirtschaft der Insel sind sie jedoch unverzichtbar, fast alle Unternehmen haben Konten dort. Nur ist die Rettung von Bankengläubigern mit Steuergeldern unter Europas Finanzministern nicht mehr populär. Und so verfielen die Euro-Retter im fernen Brüssel auf eine scheinbar einfache Lösung: Anders als in allen anderen Krisenländern mussten in Zypern die Gläubiger der Pleitebanken, und da vor allem die Inhaber von Spar- und Girokonten, für die Verluste haften, wenn ihre Einlagen die Grenze von 100 000 Euro überschritten.

Sechs Milliarden Euro Verlust für Bankkunden in Zypern

Mit diesem im Finanzjargon sogenannten „bail-in“, dem Tausch von Forderungen in Bankanteile, verloren die Kunden der beiden Banken an einem Tag fast sechs Milliarden Euro – darunter eben auch die Firma Serano und hunderte weitere Unternehmen. „Wir hatten überhaupt nichts mit Spekulation oder Geldwäsche zu tun“, beteuert Neophytou. „Warum werden wir so bestraft?“

Noch kann er seine Firma über Wasser halten, weil seine rund 100 Mitarbeiter auf einen Teil der Löhne verzichten. Viele andere dagegen können ihre Löhne und Lieferanten nicht bezahlen. Verlassene Baustellen, geschlossene Läden, leere Fabriken sind die Folge. Zyperns Wirtschaft ist im freien Fall. „Man hat uns die Kniescheiben zerschlagen, und jetzt sollen wir laufen“, klagt Harris Georgiades, der erst jüngst berufene Finanzminister. Er weiß, dass er den Staatshaushalt mangels Einnahmen gar nicht so sanieren kann, wie es seine Euro-Kollegen kategorisch fordern.

Aber sollten im Fall von Zyperns Banken nicht endlich diejenigen „in die Verantwortung“ genommen werden, „die die Probleme verursacht haben“, wie Kanzlerin Merkel versprach? Sollten nicht die Steuerhinterzieher und Geldwäscher die Zeche für den Kollaps der aufgeblähten Banken zahlen und so „Zyperns Geschäftsmodell“ beenden, wie es Finanzminister Schäuble formulierte? Das kam gut an – und war doch nur die halbe Wahrheit.

Denn die im März beschlossene Zwangsbeteiligung der Bankkunden hatte einen höchst umstrittenen Vorlauf. Da habe es, so berichtet der Ökonom Stavros Zenios, Vizechef des nationalen Wirtschaftsrats der Regierung, lange vorher „einen heimlichen Freikauf“ von milliardenschweren Gläubigern gegeben, „finanziert durch die Europäische Zentralbank“. Nur deshalb müssten nun Unternehmen und sogar Pensionsfonds bluten, die keinerlei Schuld an der Bankenmisere treffe, sagt er und ist sich darin einig mit den meisten Fachleuten im Land.

Heimlich, und das auch noch mit Zentralbankgeld? Das klingt nach Verschwörungstheorie. Doch Zenios und seine Mitstreiter haben starke Argumente.

Dabei bestreitet fast niemand in Zypern, dass der Niedergang der Banken zuallererst selbst verschuldet war. Seit Jahrzehnten baute ihr Geschäft auf der Flucht ausländischer Investoren vor dem Fiskus ihrer Heimatstaaten. Im Verbund mit einem ganzen Heer von Anwälten und Rechnungsprüfern machten sie die – weitgehend steuerfreie – Vermögensverwaltung für anonyme Briefkastenfirmen zur Basis ihres Geschäfts. Eine Untersuchung des Prüfungsunternehmens Deloitte ergab, dass die Mitarbeiter der beiden Großbanken bei rund 360 von 400 untersuchten Konten von Großanlegern deren wahre Identität nicht kannten. So schwoll das Volumen von Zyperns Finanzbranche bis 2012 auf das Achtfache der jährlichen Wirtschaftsleistung des nur rund 800 000 Einwohner zählenden Landes. Nicht nur viele russische Neureiche verlegten ihr Geld und meist auch ihren Wohnsitz nach Zypern, um sich vor den Übergriffen des Putin-Regimes zu schützen. Auch Finanzinstitute aus anderen Teilen Europas bunkerten große Summen bei Zyperns Banken, die nicht nur mit geringen Steuern, sondern auch mit hohen Zinsen lockten, Das stieß zwar bei anderen EU-Regierungen auf Kritik, aber es machte Zyperns Elite reich und bescherte Nikosia Bankenpaläste wie in Dubai oder New York.

Milliarden Euro bei Zyperns Sparern eingezogen

Pech nur, dass die Banker mit der Geldflut überfordert waren. Insbesondere die Laiki-Bank investierte zu viel im Bruderstaat Griechenland, fusionierte sogar mit zwei dortigen Banken und geriet so in den Strudel der Krise. Als andere EU-Geldhäuser längst ihr Geld aus Hellas abzogen, stiegen Zyperns Banker noch mal richtig ein. In der Folge geriet der von den Euro-Staaten erzwungene Schuldenerlass für den griechischen Staat Zyperns Banken zum Verhängnis. Auf einen Schlag verloren sie an die vier Milliarden Euro. Seitdem „standen bei Laiki alle Warnlampen auf Rot“, sagt Michalis Persianis, Wirtschaftschef von Zyperns führender Zeitung „Kathimerini“. Parallel zu den Anleiheverlusten begannen viele Anleger ihr Geld aus Griechenland abzuziehen. De facto, sagte Persianis seinerzeit, „war die Laiki-Bank schon im Mai 2012 insolvent“.

Trotzdem, und da begann das Unglück für die Unternehmerfamilie Neophytou und ihre vielen Leidensgenossen, geschah erst mal wenig. Wie seine Kollegen in den anderen Krisenstaaten verweigerte auch der damals amtierende Präsident Christofias die Einsicht in die Lage. Anstatt die Bank in staatliche Verwaltung zu übernehmen und die Konten einzufrieren, um zu retten, was zu retten war, spendierte er seinen politischen Freunden im Laiki-Vorstand 1,8 Milliarden Euro als Kapitalspritze, die sich die Regierung borgen musste. Aber auch das hätte nicht gereicht, um die Bank zahlungsfähig zu halten, wenn Christofias nicht sehr potente Partner gehabt hätte: Panicos Dimitriades, den Chef der Zentralbank und dessen Kollegen im Rat der EZB in Frankfurt.

Dimitriades, ein freundlicher Herr in den Fünfzigern, scheint zunächst so gar nicht als heimlicher Helfer für mächtige Investoren zu taugen. Noch bis zum April 2012 führte er ein friedliches Emigrantenleben als Wirtschaftsprofessor in England. Aber dann berief ihn Präsident Christofias zum Gouverneur von Zyperns Notenbank und er ließ sich auf ein gefährliches Spiel ein: Auf Wunsch der Regierung gewährte er der Laiki-Bank Milliardenkredite als „Emergency Liquidity Assistance“ (ELA), als Nothilfe also, mit denen die Bank all das Geld ersetzte, das ihre Kunden abzogen. Fast ein Jahr lang pumpte er so frisches Notenbankgeld in eine eigentlich insolvente Bank – „eine klare Verletzung der Regeln des Euro-Systems“, wie sein Kritiker Persianis sagt. Auch Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, kam zum gleichen Schluss: Die Geldspritze der Zentralbank habe „regelwidrig kaputte Strukturen“ erhalten – ein Vorwurf, den Zyperns Notenbank-Chef als „unbegründet“ zurückweist. Unbestreitbar aber ist die Konsequenz: Indem Dimitriades und seine EZB-Kollegen bis Frühjahr 2013 der Laiki-Bank fast zehn Milliarden Euro Kredit und damit mehr als 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Zyperns gewährten, verschafften sie Investoren zehn Monate Zeit, ihre hoch verzinsten Anlagen nach und nach abzuziehen.

Finanzinstitute aus anderen Euro-Staaten brachten ihr Geld vorzeitig in Sicherheit

Das waren allerdings nur zu kleinen Teilen die vielfach angeführten Anleger russischer Herkunft. Diese vertrauten in großer Mehrheit den Zusicherungen der Euro-Retter wie etwa etwa EU-Währungskommissar Olli Rehn, der noch im Januar 2013 versicherte, eine Haftung der Einleger stehe nicht zur Debatte. Zur selben Zeit aber, das zeigen die Daten der Zentralbank, brachten Finanzinstitute aus den anderen Euro-Staaten ihr Geld in Sicherheit. Bis März hatten sie mehr als zehn Milliarden Euro und damit fast alle ihre Anlagen abgezogen. So fiel es der Euro-Gruppe leicht, ein Exempel zu statuieren: Das Geld deutscher oder französischer Investoren war nicht mehr im Feuer.

War das der Grund, warum der Rat der EZB in Frankfurt so lange sein Plazet zu den fragwürdigen Notkrediten gab? Das sei „offenkundig nur ein Gerücht“, sagt Dimitriades. Auch der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen mag keinen Fehler erkennen. Die ELA-Kredite seien mit der Annahme genehmigt worden, dass die Laiki-Bank im Rahmen des ab Juli 2012 verhandelten Rettungsprogramms „rekapitalisiert“ und „wieder solvent gemacht“ werden würde, erklärte er dem Europaparlament. Nur hätten die Verhandlungen dann „extrem lange gedauert“, bis es zu spät gewesen sei.

Die Folgen für Zypern waren verheerend. Denn mit dem Abzug der „besser informierten Investoren“ (Dimitriades) schrumpfte die Summe der Einlagen, auf die später die Verluste verteilt wurden. So habe man keine Ausnahmen für das Betriebskapital der Unternehmen und Pensionsfondssparer machen können, „weil dafür die Mittel nicht reichten“, sagt der Notenbank-Gouverneur. Zwar seien zwei Drittel der Verluste von ausländischen Anlegern getragen worden, aber die übrigen zwei Milliarden habe man eben bei Zyperns Sparern und Unternehmen einziehen müssen.

Das hätte sich vermeiden lassen. Dazu hätten die EZB-Lenker ihre waghalsig ausgereichten Kredite nur dem gleichen Regime unterwerfen müssen wie die Einlagen der Kunden. Doch während diese bei der Laiki-Bank alle Einlagen über 100 000 Euro verloren, bestehen die EZB-Direktoren trotz ihrer Mitverantwortung auf der Rückzahlung der ausstehenden 9,5 Milliarden Euro Notkredit bis zum letzten Cent. Zu diesem Zweck ließen sie sich zusichern, dass die gesamte EZB-Schuld der jetzt zur Abwicklung geschlossenen Laiki-Bank auf die eigentlich als sanierbar geltende Bank of Cyprus übertragen wurde. Auch deren Kunden mussten schon auf 37,5 Prozent ihrer Einlagen verzichten. Wegen der Zusatzlast durch die EZB-Kredite drohen ihnen aber nun weitere Verluste auf ihre bis heute gesperrten Guthaben – ein Vorgang, der „nur der Vertuschung der eigenen Fehler der EZB“ diene, empört sich Stavros Zenios, der leitende Ökonom im Wirtschaftsrat der Regierung.

Eines aber, so Stavros, habe die ganze Aktion nicht erreicht: Die in den anderen Euro-Staaten nicht willkommenen russischen Steuerflüchtlinge würden Zypern „ganz sicher nicht verlassen“. Denn mit dem erzwungenen „bail-in“ seien ihre Guthaben nun in Aktien der neuen Bank of Cyprus getauscht worden. Erstmals, das bestätigt auch Notenbanker Dimitriades, „haben russische Investoren in der Euro-Zone nun eine eigene Großbank“.

Den um das Zypern-Kapitel erweiterten Film „Staatsgeheimnis Bankenrettung“ von Arpad Bondy und Harald Schumann sendet Arte Dienstag um 23.05 Uhr.

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