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Forschung: Weg frei für Atomfusionsreaktor Iter

Mit einem milliardenschweren Kraftakt wollen die Europäische Union und sechs weitere Partner die Energiegewinnung per Atomfusion nutzbar machen. Damit soll der drohenden Energiekrise begegnet werden.

Paris - In Paris unterzeichneten die teilnehmenden Staaten ein Abkommen zur Finanzierung des internationalen Forschungsreaktors Iter, der ab 2008 im südfranzösischen Cadarache gebaut werden soll. Mit dem Iter wird erstmals im großen Maßstab die Gewinnung von Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen nach dem Vorbild der Sonne getestet, die sicherer und günstiger als die bisherige Kernkraft sein soll. Teilnehmer des zehn Milliarden Euro teuren Projektes sind neben der EU die USA, Japan, China, Russland, Indien und Südkorea.

Bisherige Atomkraftwerke beruhen ausschließlich auf der Kernspaltung. Vorteile der Energieproduktion über die Fusion wären laut den Befürwortern des Iter (International Thermonuclear Experimental Reactor) billige und praktisch unerschöpfliche Brennstoffe und eine geringere Strahlungsgefahr. Experten rechnen aber nicht vor der Mitte des Jahrhunderts mit einer Nutzung der komplizierten Technik zur Energieherstellung - ungefähr dann, wenn die Ölvorräte der Erde voraussichtlich zur Neige gehen werden.

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sprach bei der Unterzeichnung im Elysée-Palast von einem "außergewöhnlichen Abenteuer", an dem sich die Hälfte der Menschheit beteilige. Nie zuvor sei eine vergleichbare Partnerschaft aus Industrie- und Schwellenländern für ein Forschungsprojekt geschlossen worden. Wenn es gelinge, die Atomfusion zu meistern, könne künftig "aus einem Liter Meerwasser so viel Energie gewonnen werden wie aus einem Liter Öl oder einem Kilo Kohle", sagte Chirac. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einem "sehr großen Ereignis". Mit dem Iter suchten die Partner eine Lösung, um die Energieversorgung zu sichern und den Klimawandel zu bekämpfen.

Greenpeace: "Verrücktes Projekt"

Die EU ist mit 50 Prozent der größte Geldgeber beim Bau der Anlage, der mit 4,6 Milliarden Euro veranschlagt wird. Für den nach 2018 auf 20 Jahre ausgelegten Betrieb sind 4,8 Milliarden Euro eingerechnet, die zu 34 Prozent von Europa getragen werden. Eine weitere halbe Milliarde Euro ist für den Abbau des Reaktors vorgesehen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sprach von einem "verrückten Projekt". Die Kernfusion bereite dieselben Probleme wie die bisher in Atomkraftwerken genutzte Kernspaltung. Die französische Anti-Atominitiative Sortir du nucléaire räumte ein, dass die Iter-Abfälle mit einigen hundert Jahren weniger lang strahlten als Brennstäbe aus heutigen Atomkraftwerken. Aber auch hier werde der Atommüll künftigen Generationen überlassen. Die Angabe, dass durch den Iter für die Anwohner keine Gefahr bestehe, sei zudem falsch. Ein Unfall ähnlich dem von Tschernobyl sei möglich. Die Iter-Gegner kritisieren zudem, dass das Gelände in Cadarache in einem Erdbeben-Risikogebiet liege.

Zwischen 2030 und 2040 soll Iter Strom erzeugen

Auf Cadarache als Standort hatten sich die Iter-Partner bereits im Juli 2005 verständigt. Zwischen 2030 und 2040 solle nach dem Iter ein erster Modell-Reaktor belegen, dass die industrielle Energiegewinnung möglich ist, wie der Leiter der französischen Atomenergiebehörde, Bernard Bigot, sagte. "Um 2050 werden die ersten Elektronen im weltweiten Stromnetz sein."

Herzstück des Fusionsreaktors ist eine ringförmige Vakuum-Röhre. Um das Feuer der Kernfusion zu zünden, muss der Brennstoff - ein extrem dünnes Plasma aus den Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium - in Magnetfeldern eingeschlossen und auf unvorstellbar hohe Temperaturen von rund 100 Millionen Grad erhitzt werden. Deuterium kann aus Meerwasser gewonnen werden, Tritium durch die Bestrahlung von Lithium-Gas. (tso/AFP)

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