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Wirtschaft: Fragwürdige Moral

Die Vorwände der Europäischen Union, die Türkei aus der Gemeinschaft herauszuhalten, sind zahlreich. Besonders zynisch ist, die Kandidatur mit dem Völkermord an den Armeniern unter der osmanischen Regierung Anfang des 20.

Die Vorwände der Europäischen Union, die Türkei aus der Gemeinschaft herauszuhalten, sind zahlreich. Besonders zynisch ist, die Kandidatur mit dem Völkermord an den Armeniern unter der osmanischen Regierung Anfang des 20. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen. Gewiss wäre es ein willkommenes Zeichen der Reife, wenn die Türkei sich dieser dunklen Seite ihrer Geschichte stellen würde. Das jedoch zu einer Vorbedingung für eine EUMitgliedschaft der Türkei zu machen, erweckt den Eindruck, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Nie zuvor sind ähnliche Forderungen an Mitgliedstaaten gestellt worden, bevor sie der EU beitraten. Nicht etwa, dass es in den Kellern der Europäer an Leichen mangeln würde. Nehmen wir etwa Österreich, das den Beginn der EUBeitrittsgespräche mit seinen Bedingungen blockierte, so dass ein kurzfristiges Treffen der EU-Außenminister am vergangenen Wochenende nötig wurde.

Dabei hat nie jemand von Österreich verlangt, mit seiner Nazi-Vergangenheit aufzuräumen, als das Land der EU beitrat. Bis zum heutigen Tag betrachten viele Österreicher ihre Heimat lieber als Hitlers erstes Opfer und nicht als allzu williger Kollaborateur. Und im Hinblick auf den Völkermord an den Armeniern 1915 kommen die Österreicher auch nicht gerade gut weg. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn waren mit dem Osmanischen Reich verbündet und – mittels ihrer Botschafter, Militärattachés und Gesandten – über das Vorgehen der Türkei gegen die Armenier voll im Bilde. Obwohl die beiden deutschsprachigen Mächte bedeutende Partner in dieser Allianz waren, intervenierten sie nicht.

Der deutsche Bundestag gab im Juni dieses Jahres eine Erklärung ab, in der er die Türkei aufforderte, sich zu ihrer Vergangenheit zu bekennen. Doch die Parlamentarier waren wenigstens ehrlich genug, gleichzeitig Deutschlands eigene „unrühmliche Rolle“ zu benennen, nämlich, dass das Deutsche Reich nicht versucht hatte, die Massaker zu verhindern. Österreich aber hat das nicht getan.

Es geht hier nicht darum, auf den Österreichern herumzuhacken. Belgien etwa weigert sich bis heute, die Verbrechen König Leopolds II. im Kongo vor 100 Jahren einzugestehen. Einen Dokumentarfilm der BBC über die persönliche Verstrickung des belgischen Königs nannte die Regierung ein „tendenziöses Schmähwerk“.

Festzuhalten also bleibt, dass viele europäische Nationen versuchen, ihre Vergangenheit reinzuwaschen. Wenn die Europäer die Türkei in ihrem Club nicht willkommen heißen wollen, sollten sie den Mut haben, ihre wahren Motive auszusprechen. Im Hinblick auf die Geschichte moralische Überlegenheit geltend zu machen, ist schwer zu akzeptieren.

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