zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Freundschaftliche Züge

Im ICE nach Paris: Die französische und die Deutsche Bahn schaffen gemeinsame Hochgeschwindigkeitsverbindungen

Frankfurt am Main/Paris - So euphorisch hat man Hartmut Mehdorn lange nicht erlebt. Ein großer, ein historischer Tag sei dies, erklärt ein strahlender Bahnchef, bevor er das Startsignal für eine tatsächlich nicht alltägliche Zugfahrt gibt: Zum ersten Mal verkehrt ein ICE mit der Spitzengeschwindigkeit von 320 Kilometern pro Stunde auf der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Frankfurt und Paris. Was diesmal nur zu Demonstrationszwecken geschieht, soll ab dem 10. Juni Alltag sein: Von Frankfurt nach Paris werden Passagiere dann nicht mehr sechs, sondern wenig mehr als vier Stunden, ab Dezember sogar nur noch drei Stunden und 49 Minuten brauchen. Und zwischen Stuttgart und Paris, wo am Freitag erstmals und ab Juni regelmäßig ein französischer TGV fährt, wird die Fahrt künftig nur noch drei Stunden und 39 Minuten dauern.

Als Mehdorn und seine Premierengäste eingestiegen sind, setzt sich – pünktlich um 8:15 Uhr – der blankgewienerte ICE in Bewegung und rauscht aus dem Frankfurter Hauptbahnhof. Sechs Jahre hat es gedauert, bis das Gemeinschaftsprojekt zwischen Deutscher Bahn und französischer SNCF Wirklichkeit werden konnte. Nicht nur bürokratische Hürden waren zu nehmen, auch technisch mussten die Züge erst an das jeweils andere Bahnsystem angepasst werden. Das Ergebnis ist auf deutscher Seite der ICE 3MF, ein modifiziertes Modell, das für rund acht Millionen Euro pro Zug für den Verkehr in Frankreich aufgerüstet wurde. 76 Millionen Euro hat die Bahn insgesamt für die Umrüstung der Züge ausgegeben.

Hinzu kamen 570 Millionen Euro für den Streckenausbau und die Infrastruktur auf deutscher Seite, erklärt Karl-Friedrich Rausch, der im DB-Vorstand für den Personenverkehr zuständig ist. Er ist sich aber sicher: „Lohnen werden sich die Investitionen auf jeden Fall.“ Die Bahn rechne damit, den Personenverkehr zwischen Frankfurt, Stuttgart und Paris langfristig von derzeit einer Million auf 1,5 Millionen Passagiere im Jahr zu steigern. Vor allem den Fluglinien wolle man Kunden abjagen, betont Hartmut Mehdorn: „Wir sind nicht nur schneller, wir bieten auch mehr Komfort und fahren von Innenstadt zu Innenstadt.“ Besonders Geschäftsreisenden will die Bahn mit Ledersesseln, Laptop-Anschlüssen und inklusiven Mahlzeiten die Fahrt in der ersten Klasse schmackhaft machen. Noch kommen auf einen Bahnfahrer zwischen Frankfurt, Stuttgart und Paris neun Fluggäste. Die Bahn hofft, ihren Anteil auf 40 Prozent steigern zu können. Vermarkten wollen die Franzosen und Deutschen die Strecken durch eine gemeinsame Firma.

Kurz hinter der französischen Grenzstadt Forbach klettert die Geschwindigkeitsanzeige im Zug erstmals auf 320 km/h. Mehdorn wirft einen strahlenden Blick aus dem Fenster. Ein „Herzensanliegen“ sei ihm das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt gewesen, sagt der Bahnchef, der mit einer Französin verheiratet und sogar Ritter der französischen Ehrenlegion ist. Einen kleinen politischen Seitenhieb in Richtung Frankreich kann er sich trotzdem nicht verkneifen: Im Regional- und Nahverkehr hätten die Franzosen inzwischen nicht unerhebliche Marktanteile in Deutschland erobert, sagt der Bahnchef. „Es macht uns ein wenig traurig, dass uns nicht das Gleiche möglich ist.“

Nach vier Stunden Fahrt kündigt sich Paris schließlich durch „Trainspotter“ an: Kurz vor der Stadtgrenze warten auf einer Brücke ältere Herren mit Fotoapparaten, die dem durchrauschenden ICE – dem ersten auf dieser Strecke, ein historisches Foto! – begeistert zuwinken. Dann erreicht der Zug die Vorstädte, und während graue Plattenbauten an den Fenstern vorbeirauschen, taucht linkerhand unvermittelt ein weiß-blauer Pfeil auf: Es ist der TGV aus Stuttgart, der zeitgleich mit dem ICE gestartet ist und die verbleibenden Kilometer bis zur Pariser Gare de l’Est in Parallelfahrt zurücklegen wird.

Als schließlich beide Züge zeitgleich im Bahnhof zum Halten kommen, ist es 13:17 Uhr – knapp 40 Minuten später als geplant. Schuld war der TGV, heißt es im ICE. Kollegenlästerei? Ein SNCF-Sprecher räumte ein, dass der TGV wegen längerer Aufenthalte für Fotografen in den Bahnhöfen Zeit verloren hatte. Außerdem war zu wenig Wasser an Bord, die Tanks mussten in Straßburg nachgefüllt werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false