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Wirtschaft: Für die "Konzentration auf das Kerngeschäft" werden Randbereiche verkauft oder an die Börse gebracht

Für altgediente Mitarbeiter ist Firmenchef Jorma Ollila ein Verräter. Hat er doch die traditionsreichen Geschäftsbereiche Anglerstiefel und Zellstoff/Papier verkauft.

Für altgediente Mitarbeiter ist Firmenchef Jorma Ollila ein Verräter. Hat er doch die traditionsreichen Geschäftsbereiche Anglerstiefel und Zellstoff/Papier verkauft. Doch der Abschied von den alten Stiefeln hat sich gelohnt. Der einstige finnische Mischkonzern ist heute der erfolgreichste Handyhersteller der Welt, und Nokia-Chef Ollila kann heute mit einem Schmunzeln an die Kritik von damals zurückdenken. "Ohne Fokussierung drohte der Untergang", beschreibt Ollila sein Credo. Nokias Erfolgsformel: sich auf wenige Dinge konzentrieren und diese besonders gut machen.

Dieser Philosophie folgen heute immer mehr Unternehmen. "Konzentration auf das Wesentliche", lautet die Devise der europäischen Konglomerate. Was nicht zu den wachstumsträchtigen Kerngeschäftsfeldern gehört, wird verkauft, mit starken Partnern in Allianzen eingebracht oder ausgegliedert und an die Börse gebracht (Spinoff). Dabei gibt es kein Pardon, wird auch mit Unternehmenstraditionen gebrochen: So will sich der Röhrenhersteller Mannesmann etwa von seinem alten Kerngeschäft trennen und sich vollends der Erfolgsgeschichte Telekommunikation verschreiben. Schon vor dem feindlichen Übernahmeangebot des britischen Mobilfunkers Vodafone Airtouch hatte der Düsseldorfer Konzern seine eigene Zerschlagung in zwei Teile geplant.

Radikaler Umbau bei Siemens

Einen ähnlichen Weg geht der Stahlhersteller Thyssen Krupp. Der Stahlbereich soll an die Börse gebracht, die Zahl der Geschäftsfelder von 23 auf sieben reduziert werden. Auch der Elektroriese Siemens steckt in einem radikalen Umbau, bei dem die Halbleitersparte als Infineon AG an die Börse gebracht werden soll.

Den zunehmenden Trend zur Restrukturierung erklärt Ann-Kristin Achleitner, Professorin für Finanzmanagement an der European Business School in Oestrich-Winkel, mit der "Globalisierung der Kapitalaufnahme": Sie zwingt deutsche Unternehmen, sich den Anforderungen ausländischer Investoren an die fokussierte Ausrichtung von Unternehmensaktivitäten zu stellen. Und an den Finanzmärkten sind die unübersichtlichen und schwerfälligen Gemischtwarenläden nicht gern gesehen. Ihre Aktien werden mit einem Konglomeratsabschlag von zehn bis 20 Prozent gehandelt. "Die Investoren wollen Klarheit, Unternehmen mit einem klaren Profil und einer klaren Strategie", begründet Andre Remke von der Vereins- und Westbank in Hamburg den Konglomeratsabschlag.

Für Analysten stellt sich das Problem, dass Konglomerate schwer zu analysieren sind, da viele verschiedene Faktoren aus verschiedenden Geschäftsfeldern zu bewerten und zu gewichten sind. Die Prognosen sind daher mit einem Risiko behaftet - und Risiken mögen Anleger nicht. Kathrin Spanek von der Bankgesellschaft Berlin sieht noch einen weiteren Malus der Mischkonzerne: Das Management und die Ressourcen des Konzerns verzetteln sich in zahllosen Geschäftsfeldern, die oft kaum etwas miteinander zu tun haben. "Alleine stünden die einzelnen Bereiche besser da", sagt Spanek. Da die Einzelteile mehr wert sind als das Ganze, werden Mischkonzerne als Übernahmeziel interessant. Nach einer geglückten Übernahme droht den Konglomeraten dann die Zerschlagung - auch dies dürfte ein Grund für die derzeit hektischen Umbauaktivitäten sein. "Wenn die Unternehmen die Restrukturierung nicht in eigener Regie schaffen, wächst die Gefahr, dass ein externer Raider das übernimmt", sagt Jens Wilhelm, Leiter Europäische Aktien bei der Deutschen Investment-Trust Gesellschaft (DIT) in Frankfurt.

Nicht zuletzt hängt der Trend zur Restrukturierung aber auch mit der zunehmenden Zahl der Fusionen zusammen. Unter dem Zwang, auf den globalisierten Märkten eine kritische Größe zu erreichen, schließen sich die Unternehmen zusammen - und stoßen ab, was nicht in das Unternehmenskonzept passt. "Konglomerate scheinen gleichzeitig zu wachsen, während sie sich zerlegen", sagt Ann-Kristin Achleitner von der European Business School.

Viag/Veba verkaufen ganze Sparten

Jüngstes Beispiel ist die Fusion von Veba und Viag. Die beiden Mischkonzerne schließen sich zu einem Konzern mit 76 Milliarden Euro Umsatz zusammen und wollen sich künftig auf Energie und Spezialchemie konzentrieren. Gemeinsam sind sie der drittgrößte Stromanbieter in Europa. Zugleich wollen sie aber zahlreiche Geschäftsfelder abgeben: Handel, Logistik, Verpackung, Aluminium und teilweise auch das Telekomgeschäft. Insgesamt stehen Aktivitäten mit einem Umsatz von 28 Milliarden Euro zum Verkauf.

Für DIT-Manager Wilhelm hinken Deutschlands Konglomerate bei der Umstrukturierung hinter ihren europäischen Wettbewerbern, vor allem den britischen, hinterher. Auf Grund der jüngst bekannt gewordenen steuerlichen Neuregelungen könnte sich dies aber schnell ändern, vermutet Wilhelm. Danach sollen Gewinne aus dem Verkauf von Anteilen, die ein Kapitalgesellschaft an einer anderen hält, ab dem Jahr 2001 nicht mehr steuerpflichtig sein.

Vivendi und Bouygues attraktiv

Der DIT-Fondsmanager warnt Anleger davor, pauschal auf Konglomerate zu setzen, nur weil sie umstrukturieren. Es komme immer auf die "Assets" der jeweiligen Holding an. Auf großes Interesse stießen zurzeit der Medien- und Telekombereich. Hier seien etwa die französischen Konglomerate Vivendi und Bouygues interessant, die über Beteiligungen an Telekomgesellschaften bzw. Fernsehsendern verfügten. Als "interessante Holding, bei der einiges passieren könnte", sieht er auch LagardËre, die sich vom Rüstungskonzern zum Medienunternehmen wandelten. Der niederländisch-schwedische Chemiekonzern Akzo Nobel stehe dagegen weniger im Blickpunkt des Anlegers - auch wenn er eine Trennung vom Fasergeschäft angekündigt habe. In Deutschland verweisen Analysten bei der Frage nach einem Mischkonzern, der die Umstrukturierung noch vor sich hat, auf MAN. Dem Münchener Nutzfahrzeug- und Maschinenbaukonzern fehlt die klare Ausrichtung. Wiederholten Ankündigungen, durch Übernahmen zu wachsen, folgten bislang keine Taten. Stattdessen wird das Münchener Unternehmen immer wieder selbst als Übernahmekandidat gehandelt. Besonders die florierende Lkw-Sparte weckt Begehrlichkeiten.

Für Thomas Deser, Fondsmanager bei der Union Investment in Frankfurt (Main), bieten die Konglomerate allenfalls "temporäre Chancen". Er verweist auf das Umfeld, in denen die großen europäischen Mischkonzerne tätig sind: Oft haben sie ein starkes Standbein in einem regulierten Markt - wie etwa die großen deutschen Stromkonzerne oder die französischen Wasserversorger. Diese Märkte wachsen kaum noch. Die politisch sensiblen Strom- und Wasserpreise lassen sich nicht beliebig erhöhen. Die Deregulierung ihrer geschützten Märkte setzt diese Konzerne dazu weiter unter Druck. Nur wenn es diesen Gruppen gelingt, die Finanzmärkte durch einen "positiven News-Flow" zu beeindrucken, steigen deren Aktienkurse.

Dies traut Deser zum Beispiel Siemens oder dem ABB-Konzern zu. Auch Übernahmephantasie können die Konglomerate bei dem Fondsmanager der Union Investment nicht wecken: Die Mischkonzerne seien für eine Übernahme oft schlicht zu groß. Zudem würden sie - vor allem in Frankreich - als "nationales Erbe" betrachtet. Für grenzüberschreitende Fusionen kämen sie daher kaum in Frage.

Stefan von Borstel

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