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Zusammen nach vorn. Durch Fußball sollen die Inhaftierten soziale Kompetenzen lernen - und Aggressionen abbauen.

© Thilo Rückeis

Fußball und Beruf: Kicken hinter Mauern

In der Jugendstrafanstalt Plötzensee spielen jugendliche Gefangene Fußball, um fit zu werden für die Arbeitswelt. Ein Besuch.

Sebastians Blick wandert immer wieder aufs Spielfeld. „Sorry“, lächelt er, „ich bin ein bisschen abgelenkt“. Gerade hat seine Mannschaft das 2:0 geschossen.

Der 20-Jährige hat sich Zeit für das Gespräch genommen, obwohl er am liebsten selbst auf Torejagd gehen würde. In der Jugendstrafanstalt Plötzensee sind pro Woche nur anderthalb Stunden für das Fußballtraining vorgesehen, jede Minute ist kostbar. Vor allem, wenn es – wie an diesem Tag – kurz vorher Alarm wegen eines Tumults in einem der Zellenblocks gegeben hat. Das Spiel beginnt mit über einer halben Stunde Verzögerung. Und es stehen deshalb auch nicht – wie sonst hier üblich – 20 Jungs auf dem Platz, sondern nur 14. Fußball ist ein Privileg im Gefängnis, das man sich leicht verspielen kann.

Wer Ärger macht, wird ausgeschlossen. Das gilt auch für die Fernsehübertragung des Champions-League-Finale am Samstagabend in Berlin, wenn Barcelona gegen Juventus Turin antritt.

Sebastian sitzt seit Februar 2014 in der JSA ein. Auf die Fußball-AG im Angebot ist er gestoßen, weil er „im Freien“ sein wollte und Computerkurse eher nicht sein Fall sind. Außerdem mag der Bayern-Fan Teamsport, er hat schon früher im Verein gespielt, beim FC Minerva Berlin. „Teamfähigkeit“, sagt Sebastian, „braucht man ja auch später im Betrieb“. Im Knast hat er eine Lehre als Anlagenmechaniker begonnen, er ist im zweiten Jahr. Ab Juli darf er die Ausbildung als Freigänger im gelockerten Vollzug fortsetzen. „Draußen“, wie sie hier sagen. Dann wird sich zeigen, ob ihn der Fußball fit gemacht hat für die Arbeitswelt.

Die Betreuung ist besser als draußen

„Anstoß für ein neues Leben“ heißt die gemeinsame Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung des DFB und der Agentur für Arbeit zur Resozialisierung jugendlicher Strafgefangener. Gestartet wurde sie in Berlin 2012, in Zusammenarbeit mit dem Berliner Justizsenat, der JSA Plötzensee und dem Berliner Fußball-Verband. Viele Partner, ein gemeinsames Ziel: den Insassen soll eine Perspektive für die Zeit nach dem Knast gegeben werden.

Damit das möglichst bruchlos gelingt, ist Sabine Kaempffer als Berufsberaterin der Agentur für Arbeit Berlin Nord vier Tage die Woche vor Ort in ihrem Büro in der JSA Plötzensee. Ein bundesweit einmaliges Modell. Sie ist nah dran an den Häftlingen. Als die Vermittlerin über das Gelände der Haftanstalt zum Trainingsplatz geht, rufen ihr etliche junge Männer hinter den vergitterten Fenstern Grüße zu.

Auch Sebastian sagt, die Betreuung durch die Agentur sei „hier drin besser als draußen“. Erst vor einer Woche habe er mit Frau Kaempffer gesprochen. Und jetzt bereits den Ausbildungsplatz sicher.

Wobei Sebastians Fall nicht die Regel ist. Schon weil der junge Mann einen Schulabschluss besitzt. Was, wie Kaempffer schätzt, bei 60 bis 70 Prozent der Insassen nicht der Fall ist. Freilich eine der größten Hürden auf dem Weg in den Beruf. Andere sind, so Kaempffer, die für rund 130 Jugendliche zuständig ist, „mangelndes Sozialverhalten. Und fehlende Disziplin“.

Hier kommt der Fußball ins Spiel. „Sport baut Aggressionen ab“, sagt Werner Poel. „Und er kann Erfolgserlebnisse bringen, die das Leben verändern.“ Poel spricht aus Erfahrung. Der drahtige, über 70-jährige Trainer der Fußball-AG hat Jahrzehnte in der JSA Plötzensee als Sportübungsleiter gearbeitet. Jetzt, als Pensionär, betreut er die Mannschaft weiter. Poel stammt aus dem Ruhrgebiet, er weiß, welchen Ton man bei den Jungs anschlagen muss, um sich Respekt zu verschaffen. Er besitzt natürliche Autorität und vermittelt auf dem Platz einfache Weisheiten. Zum Beispiel: „Der Stärkere soll dem Schwächeren helfen.“

Seit 1996 kooperiert die Jugendstrafanstalt mit dem Berliner Fußballverband. Die Herberger-Stiftung hilft, die Strukturen zu festigen – zum Beispiel mit einem jährlichen Fußballturnier der Jugendstrafanstalten aus dem gesamten Bundesgebiet, die um einen Pokal spielen. Dazu entsendet der DFB auch „Ehrengäste“ – Prominente aus der Fußballwelt wie Oliver Kahn, Otto Rehhagel, Rudi Völler oder den Berliner Andreas „Zecke“ Neuendorf. Ihre Fotos hängen im Büro der JSA an der Wand.

Vollzugsstörer müssen drinnen bleiben

Zu diesem Turnier dürfen elf Spieler aus der JSA reisen. Wiederum ausschließlich solche, die sich durch gutes Benehmen bewährt haben, „keine Vollzugsstörer“, wie es der Sportbeamte Sebastian Brunzendorf auf den Punkt bringt. Brunzendorf ist seit 1995 als Justizbeamter in Plötzensee, 1999 hat er in der Sportabteilung angefangen. Ein zugänglicheres Arbeiten als im Haus sei das, sagt er, „weil Sport für die jungen Männer positiv besetzt ist“. Ziel des Projekts der Herberger-Stiftung sei es auch, diese Lust am Mannschaftssport lebendig zu halten „und die Jungs draußen in die Fußballvereine zu bringen“.

Was allein noch keinen sozialen Halt schafft. Es braucht vor allem die berufliche Perspektive. Sabine Kaempffer hat als Beraterin verschiedene Optionen für die strafgefangenen Jugendlichen parat: Entweder hilft sie ihnen, den Schulabschluss nachzuholen. Oder sie vermittelt sie in eine berufsvorbereitende Maßnahme bei einem freien Bildungsträger. Oder sie beschafft ihnen einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb. Das wäre der Idealfall. Denn längst nicht jeder ist bereit, ehemalige Strafgefangene einzustellen.

Viele der Jugendlichen strebten eine Ausbildung im handwerklichen Bereich an, so Kaempffer. Bestimmte Berufsfelder blieben indes von vornherein verwehrt. Der kaufmännische Sektor etwa, wo ein einwandfreies Führungszeugnis verlangt werde oder auch die Pflege oder der pädagogische Bereich. Wobei Kaempffer einem Insassen, der partout Erzieher werden möchte, eben raten würde, einen Umweg zu gehen. Erst eine andere Ausbildung zu absolvieren. „Und nach einer Zeit wird bei Jugendstrafen der Eintrag im Führungszeugnis ja wieder gelöscht.“ Wo geradezu händeringend Kräfte gesucht würden, sagt sie, sei im Gastgewerbe. Eine Ausbildung zum Koch könnten sich viele auch vorstellen.

Sport erhöht die Chancen auf ein besseres Leben

Wie hoch die Erfolgsquote ihrer Arbeit ist, lässt sich nur schwer beziffern. Den Werdegang der Projektteilnehmer im Einzelnen nachzuvollziehen, ist schon aus Datenschutzgründen kaum möglich. Die Betriebe dürfen nicht einfach Auskunft geben, wer etwa eine Lehrstelle abbricht. Kaempffer hält aber so gut es geht Kontakt zu ihren Schützlingen – und ist sicher, dass der Fußball die Chancen erhöht, „draußen“ wieder Fuß zu fassen und Arbeit zu finden.

Sebastian jedenfalls hat gute Vorsätze. „Vor dem Knast habe ich eine Lehre als Zimmerer abgebrochen, diesmal will ich es durchziehen“, sagt er. Und, das ist ihm wichtig zu betonen, „auch sportlich aktiv bleiben“.

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