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Die DIW-Wirtschaftsforscher Gert G. Wagner und Karl Brenke sprechen im Interview über unausgeschlafene Arbeitnehmer, Gewinner und Verlierer der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

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Fußball-Weltmeisterschaft 2014: Brasiliens Wirtschaft hat nichts von der Fußball-WM

Die DIW-Wirtschaftsforscher Gert G. Wagner und Karl Brenke über unausgeschlafene Arbeitnehmer und die Gewinner und Verlierer der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

In Deutschland wird die Fußball-Weltmeisterschaft wieder viel Spaß bringen. Millionenfach vor dem Fernseher, hundertausendfach bei privaten WM-Partys und auf zig Public Viewing "Events". Mutmaßlich wird die bundesweite Party-Stimmung auch unabhängig vom Abschneiden beziehungsweise Ausscheiden der deutschen Mannschaft anhalten – wichtiger als das Abschneiden des Löw-Trams wird sein, ob das Wetter mitspielt. Die Fußballfans in Deutschland werden auf jeden Fall zu den Gewinnern der WM gehören. Und die Arbeitgeber werden massenhaft unausgeschlafene Arbeitnehmer verkraften können, die wegen der Zeitverschiebung bis tief in die Nacht die Fernsehübertragungen verfolgt haben. Ebenso werden die Gebührenzahler die mehr als 150 Millionen Euro verkraften, die ARD und ZDF für die Übertragungsrechte für alle 64 WM-Spiele auf den Tisch blättern mussten. "Wir" zählen wie die Zuschauer in vielen Ländern weltweit zu den Gewinnern der WM. Ganz anders sieht es mit den Menschen in Brasilien aus. Sie zahlen den Peis für unser Sommer-Späßchen.

Die Milliarden-Investitionen braucht hinterher kaum einer

Die Durchführung eines relativ teuren Sportspektakels wie der Fußball-WM ist für ein Schwellenland angesichts erheblicher infrastruktureller Rückstände ein volkswirtschaftlicher Luxus. Denn sportliche Mega-Events bringen trotz gegenteiliger Beteuerungen von Sportfunktionären und Politikern den Ausrichterländern von Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften keine positiven wirtschaftlichen Impulse. Gerade in Schwellenländern wie Brasilien oder Russland werden Milliarden in Stadien und Straßen gesteckt, die anschließend kaum noch einer braucht. Diese Fehlinvestitionen sind für Brasilien besonders ärgerlich, weil es eine sehr geringe Investitionsquote hat. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass es in diesem "fußballverrückten" Land zu Protesten wegen der hohen öffentlichen Ausgaben für die Durchführung der Spiele gekommen ist. Bei Brasilien kommt noch eine enorme Einkommensungleichheit hinzu – und der Verdacht in der Bevölkerung, dass die staatlichen Ausgaben nur einer kleinen sozialen Schicht, zum Beispiel Bauunternehmern und Hotelbetreibern, zugute kommen werden. Die Politiker, die sich mit dem Sport ins Rampenlicht stellen, sollten sich nicht täuschen. Nach den WM-Siegen von 1994 und 2002 gewann in Brasilien einmal der amtierende Präsident die anschließende Wahl und einmal der Herausforderer. Und die sportliche Blamage der Seleção von 1998 hat nicht zur Abwahl des Präsidenten geführt. Das legt den Schluss nahe, dass die Bedeutung der WM in der Bevölkerung viel geringer ist als immer wieder unterstellt wird, um die öffentlichen Kosten zu rechtfertigen. Entsprechend heftig könnten die Proteste werden.

Jubel. Beim Public Viewing lässt sich mit wenig Aufwand ein "Wir-Gefühl" erzeugen.
Jubel. Beim Public Viewing lässt sich mit wenig Aufwand ein "Wir-Gefühl" erzeugen.

© dpa

Das Fußballvergnügen geht auf Kosten der ärmeren Länder

Man kann die derzeitige Situation auch so lesen: Wohlhabende Länder verzichten darauf, den Aufwand für eine WM – den sie sich unschwer leisten könnten – zu übernehmen. Dafür tragen Länder mit im Durchschnitt niedrigen Einkommen die Kosten für den weltweiten WM- Spaß, weil die dortigen Politiker glauben, von den Weltmeisterschaften profitieren zu können. Allerdings stößt dieses "System" nunmehr zunehmend auf den Unwillen bei den Steuerzahlern und den sozial Benachteiligten in den Ausrichterländern. Die Unruhen in Brasilien könnten ein Signal dafür sein, dass in Zukunft auch in anderen Teilen der Welt die Bevölkerung gegen Sportgroßereignisse aufbegehrt, weil sie der Gesellschaft erhebliche Lasten auferlegt und im Lande nur wenigen finanziell nutzt. Es bedarf einer grundlegenden Reform dieses immer weniger tragfähigen Systems. Ansonsten werden Sportgroßereignisse künftig nur noch in autoritären Staaten durchgeführt werden können. Von denen gibt es aber glücklicherweise immer weniger.

Große internationale Sportverbände profitieren am meisten.

Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.
Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.

© dpa

Die großen internationalen Sportverbände besitzen mit ihren Rechten an den Sportereignissen ein komfortables Monopol, das ihnen bei geringem eigenen Aufwand und minimalem Risiko enorme Einkünfte verschafft. Dies sollte stärker in den Blick der Öffentlichkeit gerückt und somit Druck aufgebaut werden, der etwa den Fußballweltverband Fifa oder das Internationale Olympische Komitee IOC zwingt, sich finanziell viel mehr als bisher an den Kosten der Sportveranstaltungen zu beteiligen. So könnten die Welt- Verbände zum Beispiel Stadien auf eigene Kosten bauen und gegebenenfalls zurückbauen. Noch besser wäre es, von vornherein weniger zu bauen. So ließen sich eine Unterauslastung der Infrastruktur und große Investitionsruinen in einzelnen Regionen verhindern. Sowohl in einem Austragungsland als auch weltweit lässt sich durch Public Viewing unschwer sehr preiswert ein (nationales) WM-Gefühl erzeugen. Die Austragungsstätten müssen dafür nicht auf ein Land oder einen halben Kontinent verteilt werden.

Karl Brenke ist Arbeitsmarkt- und Konjunkturexperte im DIW.
Karl Brenke ist Arbeitsmarkt- und Konjunkturexperte im DIW.

© dpa

Begrenzung von Korruption

Das jetzige Fußball-WM-Format mit 32 teilnehmenden Mannschaften könnte ohne technische Probleme, insbesondere wenn auf strapazierfähigem Kunstrasen gespielt wird, statt in 12 Stadien – wie in Brasilien – in nur acht Stadien ausgetragen werden. Bereit gestellt werden müssten für die Viertelfinalspiele und die Runde der letzten vier Mannschaften nur vier große Stadien. In der Regel könnte dann auf bereits bestehende Fußballarenen zurückgegriffen werden. Mit dieser Beschränkung ließen sich nicht nur Fehlinvestitionen, sondern auch Korruption auf regionaler und lokaler Ebene begrenzen.

Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Karl Brenke ist Arbeitsmarkt- und Konjunkturexperte im DIW.

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