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Wirtschaft: Gastronomie bejubelt zusätzliche Minijobs

Verband spricht vom „sensationellen Weihnachtsgeschenk“/Gewerkschaften sprechen vom „faulen Kompromiss“

Berlin (alf/dpa). Die Wirtschaft hat die Einigung zwischen Regierung und Opposition zur Ausweitung der Minijobs als Durchbruch bei der Reform des Arbeitsmarktes begrüßt. Zustimmung kam am Dienstag vor allem aus Handel und Gastronomie. Massive Kritik äußerten Gewerkschaftsvertreter. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) sprach von einem „faulen Kompromiss“.

Wirtschafts und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) erwartet 320 000 neue Arbeitsplätze. Es sei ein Wendepunkt am Arbeitsmarkt erreicht worden. Die CDU-Partei- und Fraktionschefin Angela Merkel sagte, mit dem Durchbruch hätten sich die Konzepte der Union durchgesetzt. Der am Montagabend auf Expertenebene gefundenen Einigung sollte knapp 24 Stunden später am Dienstagabend noch der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag zustimmen. Auf dieser Basis dürfte das Gesetzespaket an diesem Freitag auch die Länderkammer passieren. Die Hartz-Reform könnte dann wie von der Regierung geplant zum 1. Januar 2003 in Kraft treten. Bis zum Start der Minijobs wird es wegen der komplizierten Materie und offener Detailfragen noch drei Monate länger dauern.

Viktor Steiner, Abteilungsleiter beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, rechnet in Folge der Gesetzesänderung mit weniger als 100000 neuen Minijobs. Einen Boom am Arbeitsmarkt erwartet auch Rainer Schmidt vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel nicht. Allerdings könnten gerade in der Konjunkturflaute Minijobs einen „beachtlichen positiven Effekt" bringen. „Betriebe, die überhaupt noch an Einstellungen denken, werden jetzt nicht gerade Vollzeitkräfte mit voller Versicherungspflicht nehmen", sagte er dem Handelsblatt. Sie könnten auf Minijobs zurückgreifen.

Mit der Hartz-Reform will die Regierung eine Trendwende am Arbeitsmarkt einleiten: durch schnellere Arbeitslosen-Vermittlung in Verbindung mit verschärften Zumutbarkeitsregeln. Daneben soll es mehr Leiharbeit und Minijobs geben. Die Mini-Job-Verdienstgrenze wird dazu von 325 auf 400 Euro angehoben. Bis zum doppelten Betrag gelten künftig gleitend ansteigende Sozialabgaben. Der Arbeitgeber soll eine – unbürokratisch erhobene – Abgabenpauschale von 25 Prozent entrichten.

Leiharbeiter erhalten – wie im Gesetzentwurf vorgesehen – bereits nach sechs Wochen den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaften. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen die Tarifparteien aushandeln, die sich am Dienstag erstmals zu Sondierungsgesprächen in Berlin trafen.

Die Minijob-Lösung wurde vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga als „sensationelles Weihnachtsgeschenk“ begrüßt. Damit sei der Weg „endlich frei für Tausende neue legale Jobs in Hotellerie und Gastronomie“, sagte Dehoga–Präsident Ernst Fischer. Zudem würden „unzählige Vollzeitarbeitsplätze gesichert“. NGG-Gewerkschaftschef Franz-Josef Möllenberg dagegen bedauerte, die Regierung öffne damit die Schleusen zur Aufspaltung von normalen Arbeitsverhältnissen. „So werden keine neuen Arbeitsplätze entstehen.“ Ähnlich äußerte sich die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer. Das „größte Problem“ sei, dass Nebentätigkeiten wieder zugelassen würden, sagte Engelen-Kefer dem Tagesspiegel.

Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) hätte es nach der Einführung des 630-Mark-Gesetzes 1999 mehr reguläre Einstellungen gegeben, weil die Nebentätigkeiten zurückgegangen seien. Dieser positive Effekt werde nun wieder verpuffen. In der Folge befürchtet Engelen-Kefer sinkende Einnahmen bei den Sozialversicherungen. Grundsätzlich seien die Gewerkschaften „kein Freund von einer staatlichen Subventionierung eines Niedriglohnsektors“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende, weil es bereits Billiglohnbereiche etwa im Handel oder der Gastronomie gebe, ohne das eine entsprechende Beschäftigungsdynamik entstanden sei.

Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) lobte die Einigung. „Damit wird eine wichtige Forderung des Einzelhandels erfüllt“, sagte HDE-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr. Gerade in Zusammenhang mit der geplanten Lockerung des Ladenschluss-Gesetzes würden jetzt mehr Aushilfen gebraucht. Positiv äußerte sich auch die Industrie-Länder-Vereinigung OECD in ihrem neuen Deutschland-Bericht. „Das sind keine Kleinigkeiten, das ist vielmehr ein wesentlicher Beitrag zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes", sagte der Deutschland-Chef der OECD-Wirtschaftsabteilung, Eckhard Wurzel. Er verstehe daher die sehr kritische Debatte über die Hartz-Reform in Deutschland nicht. Die OECD erwarte im Gegensatz zu Vertretern der deutschen Wirtschaft, dass die Reform einen „signifikanten Beitrag“ leisten wird, die Arbeitslosigkeit zu vermindern.

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