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"Ich würde mich nicht vor euch trauen" - Claus Weselsky hält am Ausstand bis zum Schluss fest.

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Update

Lokführer-Streik bei der Bahn: GDL-Chef Claus Weselsky bleibt am Zug

Für kurze Zeit sah es so aus, als ob die Lokführer ihren Arbeitskampf unterbrechen. Doch das wird nicht geschehen, sagt GDL-Chef Weselsky. Bei den Gewerkschaftern kommt das gut an.

In der Bahn wird sich Claus Weselsky dieser Tage wohl kaum sehen lassen. So fährt er denn auch mit dem Auto vor, als er am Donnerstag am Berliner Hauptbahnhof vor rund 100 streikende Gewerkschafter und die zahlreichen Mikrophone der Journalisten tritt. Die warten darauf, ob wahr wird, was sich in den Stunden zuvor als Gerücht verbreitet hatte: Dass die Lokführergewerkschaft GDL den Streik vorzeitig abbrechen oder zumindest unterbrechen würde.

Derartige Hoffnungen der Millionen Bahnfahrer und der deutschen Wirtschaft, die seit Tagen unter dem Ausstand der Lokführer leiden, hatte Weselsky zuvor selbst geschürt. Im Hessischen Rundfunk hatte der Sachse am Morgen eine Unterbrechung des Streiks „zu einem vernünftigen Zeitpunkt“ nicht mehr ausgeschlossen. Doch davon war am Nachmittag nicht mehr die Rede.

Es geht nicht nur um mehr Geld

„Ich würde mich nicht vor euch trauen, um zu verkünden, dass wir unseren Streik unterbrechen“, ruft Weselsky seinen Leuten zu. Zwar sei die GDL jederzeit zu Verhandlungen bereit. Doch der Vorschlag der Bahn, den früheren Ministerpräsidenten Brandenburgs, Matthias Platzeck, als Moderator zu engagieren, sei „kein Angebot“. Bei der Gewerkschaftstruppe kommt das gut an. Die GDLer jubeln ihrem Chef zu, sie skandieren „Durchhalten!“ und „Claus!“. Weselsky strahlt. Und macht weiter wie bisher. Nun soll also, wie geplant, bis Sonntagmorgen 9 Uhr gestreikt werden.

Eine gute halbe Stunde spricht der Gewerkschaftschef vor Dutzenden Kameras zu den streikenden Lokführern und Zugbegleitern. Die GDL fordert eine Verkürzung der Arbeitszeiten und mehr Lohn. Vor allem aber will die Lokführergewerkschaft ihren Einfluss im Bahnkonzern ausweiten und nicht nur – wie bisher – für die Lokführer, sondern auch für andere Bahnmitarbeiter Tarifverträge abschließen. Damit kommt die GDL aber der größeren Eisenbahnergewerkschaft EVG ins Gehege. Die Zeit drängt: Im Juli soll das neue Tarifeinheitsgesetz in Kraft treten, das kleinen Gewerkschaften Schranken setzt. Will Weselsky mehr vom Kuchen, muss er das jetzt durchsetzen.

Streik kostet die Bahn drei Millionen Euro am Tag

Der Kampf ist erbittert. Der Tarifkonflikt zwischen Bahn und GDL läuft bereits seit mehr als zehn Monaten, es ist der achte Streik in dieser Zeit. Glaubt man Bahn-Chef Rüdiger Grube, haben schon die ersten sieben Streiks dem Verkehrsunternehmen Kosten von 220 Millionen Euro eingebrockt. Derzeit entgehen der Bahn allein im Güterverkehr nach Angaben von Logistikvorstand Karl-Friedrich Rausch drei Millionen Euro Umsatz pro Streiktag – obwohl die Bahn zwei Drittel der Güterzüge fahren lassen will. Auch die Wirtschaft ist alarmiert. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag geht von Schäden für die Unternehmen in Höhe von 500 Millionen Euro aus.

Aber auch für die GDL ist der Arbeitskampf nicht billig. Der Streik kostet die Gewerkschaft täglich rund 225000 Euro. An jedem Tag legen rund 3000 Lokführer ihre Arbeit nieder. Sie erhalten 75 Euro netto Streikgeld pro Tag. Unterm Strich kommen so bis Sonntag rund 1,6 Millionen Euro zusammen. Wie viel Geld die GDL in der Streikkasse hat, ist – wie bei anderen Gewerkschaften auch – ihr Geheimnis. Bekannt ist: Die GDL gehört zum Deutschen Beamtenbund und beantragt dort regelmäßig eine Unterstützung für ihre Streikkasse. Die hat sie bisher auch bekommen.

Streik oder nicht - die Nation ist gespalten

In der Bevölkerung findet Weselsky dagegen weniger Unterstützung. 52 Prozent der Deutschen haben kein Verständnis für den Streik, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Infratest-Dimap-Umfrage für den ARD-„Deutschlandtrend“. Allerdings sympathisieren auch 46 Prozent der Bürger mit Weselsky. Und das, obwohl sich viele Medien in den vergangenen Monaten auf den GDL-Chef eingeschossen hatten – ihn ins Hotelzimmer verfolgten, sein Wohnhaus in Leipzig zeigten und die Telefonnummer des Chefbüros öffentlich machten. Weselsky, der Mann mit dem akkuraten Schnurrbart und dem unüberhörbaren Sächseln in der Stimme, eine Unperson.

In Berlin findet er klare, anschauliche Worte und spricht Hochdeutsch. Erst gegen Ende fällt der Sachse wieder in Dialekt zurück. Für die mediale Dauerpräsenz, die den Gewerkschaftschef um Weihnachten herum deutlich gezeichnet hatte, scheint er jetzt besser gewappnet. Für den 56-Jährigen ist dieser Arbeitskampf zu einer Grundsatzfrage geworden – gesellschaftlich wie persönlich. „Wenn die Lokführer und Zugbegleiter fallen, dann wäre das eine schlechte Nachricht für Beschäftigte im ganzen Land“, sagt er.

Bahn hat auch Ärger mit der EVG

Auch bei der konkurrierenden Eisenbahnergewerkschaft EVG ist die Streikgefahr noch nicht gebannt. Am Montag tagt die Tarifkommission über das weitere Vorgehen, am Dienstag kommen die Unterhändler in Frankfurt am Main zur mittlerweile elften Tarifrunde zusammen. Die Gewerkschaft, die Mitglieder in allen Berufsgruppen der Deutschen Bahn vertritt, fordert sechs Prozent mehr Lohn, mindestens aber 150 Euro im Monat.

Ein Knackpunkt sind die Laufzeiten der angestrebten Tarifverträge: Die Bahn will für einige Beschäftigungsgruppen Verträge mit Laufzeiten von bis zu 29 Monaten abschließen. Das hält die EVG für „indiskutabel“, wie ihr Sprecher am Donnerstag sagte. Die Gewerkschaft strebt für alle Gruppen synchronisierte Verträge mit einer Laufzeit von einem Jahr an. Die Bahn und die EVG haben vereinbart, sich am 21. Mai zu einer letzten Tarifrunde zusammenzusetzen. „Bis dahin muss ein abschlussreifes Angebot der Bahn vorliegen“, heißt es bei der Gewerkschaft. Kommt das nicht, „wäre eine rote Linie überschritten.“ Dann könnte auch diese Gewerkschaft wieder zum Streik aufrufen.

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