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Wirtschaft: Geb. 1920

Karlheinz Rahn

Als er zurückkam nach Hiddensee, war sie noch immer die schönste aller Inseln. Und doch war jetzt alles anders.

Zum ersten Mal sah er sie, da war er schon über dreißig. Wie sie so lang und schmal da lag, makellos. Dabei kam er von der Küste, aus Brunshaupten, heute Teil von Kühlungsborn. Er kannte andere Inseln, und Dänemark, das Inselland, kannte er auch. Dort war er Soldat in Hitlers Armee gewesen. Aber als er zum ersten Mal diese schönste aller Inseln sah, vergaß er alle anderen. Hiddensee.

Gut, dass er in der SED war. Denn auf Hiddensee war nicht so viel Platz, und anfangs war die DDR der Meinung, dass sich auf der schönsten aller volkseigenen Inseln vor allem die erholen sollten, die die Verantwortung trugen. Ein bisschen fremd kam Karlheinz Rahn die Partei, deren Mitglied er war, schon vor. Eingetreten war er in die SPD, und dass Parteien, in die man eintritt, dann noch mal woanders eintreten, konnte er schließlich nicht wissen.

Bestimmt wäre er in gar keine Partei eingetreten, hätte er nicht als Soldat in Dänemark gemerkt, dass der Krieg, in dem er kämpfte, nicht sein Krieg war. Da ging Karlheinz Rahn in den Widerstand und dann, nach dem Krieg, in die SPD, weil er fand, dass es zu früh sei, schon mit dem Widerstand aufzuhören.

Aber Verantwortung trug Karlheinz Rahn wirklich, als er zum ersten Mal nach Hiddensee kam. Er war Chefdramaturg des Kinderfernsehens der DDR und verantwortlich für das televisionäre Seelenheil der Jüngsten. So hätte er das vielleicht formuliert, denn Karlheinz Rahn war sehr christlich. Seine Genossen von der Partei, in die er niemals eingetreten war, hätten wohl bestritten, dass Kinder eine Seele haben, aber sonst konnten sie sich nicht beschweren über ihren neuen Chefdramaturgen. „Die Zwerge im Weihnachtswald“ hieß sein selbst geschriebenes Fernsehspiel Heiligabend 1953, zu Ostern gab es „Das Osterhasenfell“; Rahn schrieb auch Kinderstücke nach Sagen, Märchenstücke, Stücke mit Till Eulenspiegel und Chodsha Nasr-ed-din.

Und Pionierstücke?, fragte man den Chefdramaturgen des DDR-Kinderfernsehens. – Pionierstücke schreibe ich nicht, antwortete Karlheinz Rahn wahrheitsgemäß, – dazu fällt mir gar nichts ein.

Eine Osterhasen-Seele, eine Till-Eulenspiegel-Seele konnte er sich vorstellen, aber was war eine Pionierseele?

Jedes Jahr kam Karlheinz Rahn nach Hiddensee, hier fielen ihm seine besten Kindergeschichten ein. Und immer wohnte er mit seiner Frau im „Wieseneck“ in Kloster. Bis er einmal von der Partei, in die er nie eingetreten war, von Hiddensee zurückgerufen wurde nach Berlin. Eine ganze Nacht lang sprach die Partei mit dem Chefdramaturgen. Sie wusste, dass er sehr widerspenstig sein konnte. Er weigerte sich ja sogar, aus der Kirche auszutreten. Als Karlheinz Rahn zurückkam nach Hiddensee, war sie noch immer die schönste aller Inseln, und doch war jetzt alles anders. „Es ist aus“, sagte er zu seiner Frau. Das „es“ war nichts Genaues, aber irgendwie alles, obwohl es noch nicht das Zuchthaus Brandenburg bedeutete wie ein paar Jahre später, nach dem Mauerbau. In das Zuchthaus Brandenburg kamen Karlheinz Rahn und seine Frau wegen Beihilfe zur Republikflucht. Danach fuhren sie zuerst nach Hiddensee. Eigentlich hätte Rahn jetzt nur noch in den Westen gehen können – aber wie kam man von dort auf die Insel?

Karlheinz Rahn blieb. Auf Hiddensee schrieb er nun keine Kinderstücke mehr, sondern Insel-Geschichten, sogar ein Opern-Libretto. Die Geschichten erschienen in der Evangelischen Verlagsanstalt. Rahn christianisierte sie verlagsgerecht, indem er vor der Überfahrt nach Hiddensee zuerst eine Kirche in Stralsund beschrieb. In Berlin aber wurde Rahn Theaterdirektor. Auch unter dem Schutz der Kirche. Dafür erwartete die Kirche, dass sein Theater als „gottesdienstliches Tun“ vermittelbar sein müsse. Sind Existenzialistenaufführungen als „gottesdienstliches Tun“ vermittelbar? Rahn spielte Sartre und Camus, vielleicht, weil einer wie er sehr gut wusste, was Camus gemeint hatte mit dem „Mensch in der Revolte“. Außerdem spielte sie ja sonst kaum einer in der DDR, denn die DDR konnte Menschen in der Revolte nicht ausstehen. Fast dreißig Jahre lang war Karlheinz Rahn Leiter der „Boten“, es gibt sie noch immer. Und jedes Jahr kam er auf seine Insel. Rahns letztes Hiddensee-Buch ist noch nicht erschienen.

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