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Wirtschaft: Geb. 1934

Walther Seidler

Walther Seidler

In seine Wohnung ließ er keinen rein. Anna drückte er die Schlüssel erst in die Hand, als er schon im Krankenhaus lag. Da waren sie seit zweieinhalb Jahren ein Paar. „Er brauchte wohl so einen Rückzugsort“, sagt sie. Die Frauen vor ihr sind daran verzweifelt. Er blieb auf Distanz, selbst wenn er bei ihnen einzog. „Anwesend, aber nicht greifbar“, schildert es eine.

Liiert war er immer, Genaues weiß man nicht. Er erzählte ja nichts. Die Männerfreunde arrangierten sich mit seiner Verschlossenheit. Auch über seine Krankheit schwieg er sich aus. Am Tag vor seinem Tod erklärte er am Telefon: „Es geht mir ganz gut“. Da bekam er kaum noch Luft.

Er hatte Gärtner gelernt, studiert und kurze Zeit als Landschaftsarchitekt gearbeitet. Das allerdings war es nicht. Anfang der sechziger Jahre zog Walther Seidler nach Hamburg, studierte noch zwei Semester Städtebau und ging Abend für Abend in die „Teestube“. Dort lernte er ein paar Film-Enthusiasten kennen. Die wollten mit ihren Kurzfilmen – für mehr reichte das Geld nicht – das Kino revolutionieren. Sie experimentierten mit Tricks und Tönen, zeigten auch mal einen sprechenden Penis, schnallten sich die Kamera um den Bauch und begleiteten mit wackliger Handkamera die Straßenkämpfe der Achtundsechziger.

Walther Seidler tauchte ein in diese Welt der Weltumkrempler und gründete zusammen mit ein paar von ihnen die „Hamburger Filmmacher-Cooperative“. Zwei Dokumentarfilme drehte er selbst, doch eigentlich war seine Rolle weniger die des grüblerischen Filmemachers. Er konnte organisieren. Er beschaffte Autos, Benzin und Kameras für die Produktionen, veranstaltete Filmschauen und verschickte die ambitionierten Streifen an Kunstvereine, Gemeinden und Gewerkschaftshäuser. Woanders wurden sie ja nicht gezeigt. Er verpackte die Filmdosen, brachte sie zur Post und schrieb die Rechnungen.

Das Projekt scheiterte, denn mit Enthusiasmus allein kann man das teure Filmmaterial nicht bezahlen, und so ansteckend wie erhofft war die Begeisterung für die neue, politisch aufgeladene Ästhetik nicht. Die Cooperative löste sich auf – und Walther Seidler begeisterte sich fürs „Kommunale Kino“. Da werden – bezahlt von den Städten – Filme gezeigt, die in den Kinos, die viel Geld verdienen müssen, nicht vorkommen.

Er verdiente nun, mit Mitte 40 erstmals Geld mit seinem Faible für den neuen deutschen Film. 1978 holte ihn die Stiftung Deutsche Kinemathek nach Berlin, um den hauseigenen Verleih aufzubauen. Er pflegte das Archiv, ergänzte die Bestände, kümmerte sich um die Berlinale-Retrospektiven und spürte in São Paulo zwei verschollene Stummfilme von Fritz Lang auf. Die Detektivarbeit machte ihm Spaß, aber einen ausdauernden Forscher-Ehrgeiz hatte er nicht. Ebenso fehlte ihm auch der Ehrgeiz, andere für seine cineastischen Neigungen zu begeistern. Ins Kino ging er allein.

In den späteren Jahren war er oft draußen im Fläming, wo ein Freund ein Bauernhaus samt Grundstück besaß. Er entwarf einen Kultivierungsplan und wühlte mit Hingabe in der Erde, pflanzte Erlen und Weißbuchen, jätete Unkraut und setzte Blumenzwiebeln. Als an der Stelle, wo die Buschwindröschen wuchsen, ein Teich angelegt werden sollte, holte er jedes einzelne Pflänzchen aus der Erde und suchte ihm einen neuen Platz. Hier draußen, in der Natur ging ihm das Herz auf. Hier schuf er sich seine Verbindlichkeiten. Weihnachten, Silvester und Ostern verbrachte er immer hier draußen bei der Familie des Freundes. Er schaute im Garten nach dem Rechten, spielte mit den Kindern.

Beim Kartenspielen konnte er richtig sauer werden, das nahm er ernst. So wie das mit der Kirche. Er sang im Auen-Chor, letzte Reihe, Bass. Und achtete darauf, dass in seiner Stammkneipe die Konzert-Plakate vorn an der Tür hingen. Sein Stammlokal, das war die „Besenwirtschaft“. Obwohl er den Württemberger Wein, den sie dort ausschenken, nicht mochte. Seinetwegen nahm die Wirtin einen französischen Roten auf die Karte.

Hier tauchte er – wie überall – stets solo auf. Nur seine letzte Liebe, Anna, die brachte er mal mit. Auch Freunden, ehemaligen Kollegen und Mit-Choristen stellte er sie vor. Die erste Frau, zu der er sich bekannte. Mit 66. Mit den anderen hat es nicht geklappt.

Seine Zwillingstöchter, die, während er studierte, zur Welt kamen, wurden wenige Tage nach der Geburt von einem amerikanischen Ehepaar adoptiert. Angeblich wusste er nichts von der Schwangerschaft. Schließlich war er nicht mit der Mutter verheiratet. Auch nicht mit der Mutter von Verena, die in dem Jahr in Hamburg zur Welt kam, in dem er nach Berlin umzog. Nicht mit der Mutter von Noah, die nach der Geburt 1987 Berlin verließ und den Sohn mit ins heimatliche Bayern nahm. Er kümmerte sich schon um Tochter und Sohn, besuchte sie, holte sie zu sich. Auch die Zwillinge sah er wieder, als sie erwachsen waren – sie haben nach ihm gesucht. Aber in seinem Leben hatten nicht so viele Menschen Platz. Dazu war er zu unstet, zu beweglich, zu offen für das Neue.

Kam er in die Kneipe, setzte er sich an den Tresen, bestellte per Kopfnicken und las den Tagesspiegel, von vorn bis hinten. Ließ ihn ein Gespräch aufhorchen, klinkte er sich ein, wechselte das Thema, zog er sich zurück. Da war er kompromisslos. So wie mit dem Rauchen. Schon vor drei Jahren hatte er Lungenprobleme, aber dann hat er doch wieder damit angefangen.

Barbara Bückmann

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