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Wirtschaft: Geb. 1937

Hanns-Erich Sprittulla

Ein zu großes Ego? Ein Rechthaber, der für die Wahrheit, für seine Wahrheit zu viel riskierte? Mag sein.

Die meisten Geschichten, die das Leben so schreibt, stammen eigentlich von Johannes Mario Simmel, deshalb fehlt oft das Happy End.

Da gibt es diesen „Atze“ Landowsky, genannt „der Pate“, der für nicht wenige nach wie vor die Hauptschuld an Berlins großer Bankenkrise trägt, und mit keinem Pfennig dafür zahlen musste.

Und da gab es Jonny, eigentlich Hanns- Erich Sprittulla. Der immer eine Lederjacke trug und nie alt werden wollte. Der zum Radio kam, weil er gern AFN hörte und die Volksverächter in der Politik und beim Rundfunk hasste. Der Journalist war durch und durch, obwohl ihm diese Karriere nicht in die Wiege gelegt war. Kriegskind, Vater vermisst, irgendein Brotberuf bot sich an, aber er ging aufs Abendgymnasium und hat geschrieben und geschrieben. Weil er nicht ruhig bleiben konnte, wenn ihm etwas nicht passte.

1966 kam er zum SFB. War Mitbegründer des „s-f-beat“, zunächst wöchentlich, dann täglich: eine Stunde Musik, bei der sich Oma und Opa die Ohren zuhielten. Radio endlich anders!

Ein Berufsjugendlicher, wie viele beim Funk, Gottschalksyndrom, forever young! Und natürlich auch sonst ein harter Bursche: ein Held am Stammtisch, und bei den Frauen. Rigoroser Trinker, rigoroser Nichttrinker. Schöne Autos: MG, Jensen Healey, Autos, an denen Mechaniker noch gutes Geld verdienen konnten.

Aber eben mehr als nur ein Berufsjugendlicher, ein guter Journalist. Der Klartext sprach, als die große Koalition der Heuchler in Berlin den Schah hochleben ließ - während zur gleichen Zeit Demonstranten niedergeknüppelt wurden.

Klare Worte, die nicht gern gehört wurden. Jonny wurde versetzt. Kam ins Morgenmagazin. Damals Kult. Damals – das ist die Zeit, als Radio noch ein bisschen mehr war als nur musikalischer Weckdienst für Analphabeten.

23. November 1980: Erdbeben in Süditalien. Der SFB rief zu einer Spendenaktion auf. In drei Tagen wurden 3,5 Millionen Mark gesammelt. Jonny wurde Ehrenbürger von Santomenna; für das Bundesverdienstkreuz hingegen hielt er sich nicht stramm genug.

Der Bitburg-Besuch des amerikanischen Präsidenten. Kohl und Reagan an den Gräbern der Wehrmachtssoldaten – und der SS. Jonny sagte klare Worte über falsche Gesten, kritisierte die Kolonialisierung in den Köpfen, und legte sich mit Landowsky und seinen Gesinnungsfreunden an, die jede Kritik am herrschaftlichen Gebaren der amerikanischen Großmacht als Vaterlandsverrat denunzierten.

Die Springer-Presse schäumte vor Wut. Und Jonny wurde versetzt. Zum Zeitfunk. Mittagsmagazin. Er kommentierte die Abschiebungspraxis, die Missstände bei den Asylverfahren. Erhielt Dutzende zustimmender Hörerbriefe – und einen Rüffel vom Intendanten.

Denn die öffentliche Meinung war längst nicht mehr Sache der Öffentlichkeit. Da gab es mal den mutigen SFB, bis Lothar Loewe kam, Chef von des Schattenmanns Gnaden. Denn wer saß im Rundfunkrat, der Vertreterversammlung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen, und wer entschied über die Vergabe der Lottomittel, Gelder, nach denen sie alle gierten, die gesellschaftlich relevanten Gruppen?

Wieder trat Jonny an gegen Landowsky und seinesgleichen – und hatte nicht den Hauch einer Chance.

Eine Ein-Mann-Guerilla, die zuletzt nicht einmal mehr bei den Kollegen Rückhalt fand. „Ein toller Journalist“, hieß es allenthalben, „aber bitte nicht zu uns in die Abteilung, das gibt nur Ärger!“

Ein zu großes Ego? Ein Rechthaber, der für die Wahrheit, für seine Wahrheit zu viel riskierte? Mag sein. Aber wie will man ohne großes Ego gegen den Rest der Welt antreten?

Jonny wurde weggelobt: Fortbildungsbeauftragter. Mikrofonverbot auf die dezente Weise. Vielleicht hatte er selbst auch keine Lust mehr. Angesichts der Politikverknappung, dem allgegenwärtigen Spaßradio: die größten Hits der Siebziger, Achtziger, Neunziger… Vierundzwanzig Stunden gute Laune, und keiner, der offen seine Meinung sagt, weil es ihn seinen Job kosten könnte. Zensur findet nicht statt! Muss sie auch nicht, wenn sich alle dem vorauseilenden Gehorsam und dem Proporzblabla verpflichten.

„Der Kopf – ein Störfaktor!“ Die Parole hing an Jonnys Haustür. Aber so ein Leben als Störfaktor kostet Kraft und Nerven. Und irgendwann ist es genug.

1990 ein schwerer Herzinfarkt, knapp davongekommen. Alles schien gut, der Kampf noch einmal gewonnen, dann die Hiobsbotschaft. „Sie sind einer der wenigen By-Pass-Patienten, die ihren Krebs noch erleben dürfen!“ Medizinerhumor, nach Jonnys Sinn. Auch wenn damit sein Todesurteil gesprochen war.

Die letzten Worte der Vorgesetzten: „Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren“!

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