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Wirtschaft: Geb. 1951

Lígia Maria Petau

Sie führte das Steak ,Coimbra‘ mit Sahne und Senfsauce ein, und die Intellektuellen, die zu ihr kamen, nahmen endgültig Abschied von Zigeuner- und Jägerschnitzel. Das Alfama ohne Lígia, das wird schwer.

Tintenfisch, paniert. Degenfisch, gebraten. Stockfisch nach Algarveart. Zweimal Stockfisch in der Cataplana, einmal Krakensalat. Was ist mit der Fischsuppe? Der Seeteufel in Krabben- und Currysauce ist gleich fertig! Wo sind bloß die Oliven zum Dekorieren…

Mein Gott, Lígia, wie hältst du das nur aus? So viel Fisch, so viele hungrige Gäste, so eng die Küche, gerademal ein Schlauch. Und immer diese Gummihandschuhe und der surrende Dunstfilter? Lígia, du musst mal Pause machen, eine Kur oder Urlaub an der Algarve. Lígia, hörst du mich? „Nee, nee, Werner. Das Geschäft. Muss doch weitergehen.“

Werner sagt jetzt nichts mehr. Was soll er dazu sagen? Um die Finanzen kümmert sich ja Lígia. Das ist so, seit sie sich kennen. Lígia kauft ein, Lígia rechnet ab, Lígia macht die Speisekarte, Lígia steht in der Küche, Lígia bedient die Gäste. Werner steht am Tresen, köpft die Rotweinflaschen. Gegen Lígia, diesen portugiesischen Wirbelwind, kommt er nicht an. Hat er auch nie versucht. Diesen Wirbelwind liebt er schließlich. Jetzt, da Lígia nicht mehr bei ihm ist, weiß Werner, was sie gemeint hat, mit dem Geschäft, das doch weitergehen muss, 7 Tage die Woche, 14 Stunden am Tag. „Sie wollte arbeiten ohne Ende. Sie dachte, es muss doch alles bezahlt werden.“ Und was alles bezahlt werden muss!

Werner ohne Lígia, das wird schwer. Sie war doch die Seele des Restaurants Alfama in der Pfalzburger Straße, Charlottenburg. Das Alfama ohne Lígia, das wird schwer. Werner spürt die Last, die früher seine Frau wie selbstverständlich mit sich herumtrug. Nach ihrem Tod geriet das Alfama zeitweilig in Turbulenzen, gourmetmäßig. Im Krakensalat waren kaum noch Kraken, in der Stockfisch-Cataplana fehlte es vor allem an Stockfisch. Die Gäste blieben weg, der Umsatz brach ein, bis die Stammgäste ein Solidaritätsschreiben zu Ehren Lígias verbreiteten. Jetzt geht es wieder aufwärts. Werner hat einen Koch gefunden, der neue Akzente setzen kann, ohne die alten von Lígia zu verleugnen.

Werner hatte „Lüscha“, so nannte er seine Frau, Ende der Sechziger im „Big Eden“ am Kurfürstendamm kennen gelernt und sich gleich total verknallt. „Dass sie Portugiesin war, hatte ich gar nicht bemerkt.“ Lígia war 17, Werner 18, als es losging. Heirat, Kinder, gute Zeiten, schlechte Zeiten. Viel auf dem Fußballplatz gewesen. Werner bolzte, Lígia schaute zu. Wie es eben so ging, damals, sagt Werner. Ein Foto gibt es aus den Siebzigern. Lígia und Werner sitzen am Tisch, etwas mufflig, als ob sie sich gerade gestritten hätten. Recht eng und bieder wirkt die Welt, in der sie leben. Die späteren Fotos aus den achtziger und neunziger Jahren sind da ganz anders. Feiern mit Freunden in Berlin und an der Algarve. Lígia immer mittendrin, den Moment genießend. Gefeiert wurde auch im Alfama, mit den Schauspielern vom Theater am Kurfürstendamm. Die kamen immer nach den Aufführungen von „Cabaret“ und knüpften gewissermaßen nahtlos an die Szenen auf der Bühne an. Lígia schuftete in der Küche, und wenn alle satt waren, setzte sie sich dazu, trank ein Glas Rotwein und machte Späße. Keine Spur von Hektik oder Erschöpfung. Lígia liebte das Kochen, auch noch nach Stunden. Wenn die Nacht fortgeschritten war, tanzte sie, mit vollem Einsatz ihrer ausgeprägten weiblichen Reize, und wenn jemand sie drauf ansprach, lachte sie nur und sagte: „Was soll sein, ich bin eben Portugiesin.“

Das Alfama wurde unter Lígias Regie zur Kiezanlaufstelle. Bei ihr feierten die Stammgäste aus der Straße ihre Geburtstage, trafen sich abends oder kamen einfach so vorbei, um zu sehen, wer da ist. Lígia brachte die Leute zusammen, Handwerker, Künstler, Verkäuferinnen, Professoren und Berühmte. Fernando, der Dolmetscher bei der EU, kannte Lígia schon, als sie noch in der Schöneberger Weltlaterne arbeitete. In einem letzten Gruß schreibt er: „Antonio, Deine Mutter und Du führten das berühmte Steak ,Coimbra‘ mit Sahne und Senfsauce ein und die Intellektuellen, die in dem Lokal verkehrten, nahmen endgültig Abschied von dem Zigeuner- und Jägerschnitzel!“ So war das, als Lígia die Deutschen von ihrer Schnitzelmanie erlöste.

Um ihre Krankheit, den Brustkrebs, hat sich Lígia nicht weiter gekümmert. War auch so genug zu tun. Ärgerlich war nur die Sache mit dem Haarausfall, wegen der Chemotherapie. Lígia kaufte sich eine Perücke, aber was sie dann im Spiegel sah, war nicht mehr das Gesicht, mit dem sie sich wohlfühlte. Also weg mit der Perücke. Tolle Sache, als dann ein Arzt von dieser neuen Therapie aus Amerika erzählte. „Die lässt die Haare wieder wachsen“, erzählt Werner, „dafür geht die Leber kaputt.“ Andersherum wär’s ihm lieber gewesen. Lígia war glücklich, als ihre dunklen Haare wieder kamen. Sie kaufte ein, kochte, bediente die Gäste, kümmerte sich ums Finanzielle, als ob nichts gewesen wäre.

Metastasen. Das Wort spricht Werner mit gebührender Verachtung aus. „Eigentlich hat uns das nicht viel gesagt.“ Metastasen, pah! Irgendwann sind sie auch im Gehirn. Lígia isst nichts mehr, aber sie arbeitet noch. „Wir waren vielleicht naiv“, sagt Werner, „aber wir haben nicht mit dem Tod gerechnet.“ Als Lígia nicht mehr arbeiten kann, bleibt sie zu Hause im Bett. Die Stammgäste, die auch Freunde sind, dürfen sie besuchen. Doch bald ist auch damit Schluss. Lígia, die mit jedem über alles reden mochte, spricht nicht mehr. Mit niemandem. Die letzte Woche war die schlimmste im Leben von Lígia und Werner. Eine Woche ohne Worte. Jetzt ist Werner allein und immer noch total verknallt in seine Lüscha. „Leider, det isset eben.“

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