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Wirtschaft: Geb. 1954

Immerzu spielte er mit dem Paramashivam auf der indischen Doppelfelltrommel. Viel reden konnten sie ja nicht.

Immerzu spielte er mit dem Paramashivam auf der indischen Doppelfelltrommel. Viel reden konnten sie ja nicht.

Butze starb in Indien. Er saß schon im Flugzeug zurück nach Deutschland, als die inneren Blutungen einsetzten. Für zwei Tage kam er in ein Krankenhaus, dann starb Butze Fischer. 47 war er da. Man muss nicht 90 werden, hat er immer gesagt, das ist doch Quatsch. Und wenn er das sagte, dann konnte man hören, dass er aus Nürtingen stammte.

Butze Fischer war einer aus der Schwaben-Connection, ohne die es West-Berlin, so wie es war, gar nicht gegeben hätte. In den siebziger Jahren kam er nach Berlin, um der Bundeswehr zu entgehen, besetzte ein Haus in Wedding, wurde vom Besetzer zum Besitzer, und blieb. Er blieb in derselben WG und im selben von allen zusammen verwalteten Haus, als ob sich die Zeiten nie änderten, und er blieb, was er war: der bullige Drummer, der am besten spielte, wenn er ein Publikum vor sich hatte.

Iris, Butzes Frau, wartete vergeblich am Flughafen auf ihn. Sie war schon früher aus Indien zurückgefahren, weil sie wieder arbeiten musste, doch Butze wollte noch weiter mit dem Paramashivam, seinem Trommellehrer, Musik machen. Stundenlang spielten die beiden die Tavil, die indische Doppelfelltrommel, viel reden konnten sie eh nicht. Wenn es hoch kommt, kennt der Paramashivam zwanzig Worte auf Englisch. Auf Deutsch kann er „Wunderbar!“ sagen.

Butze Fischer ist im Laufe seines Lebens so oft nach Südindien gefahren, dass ein Musikerkollege sagt, so überraschend Butzes Tod auch gewesen sei, dass er in Indien starb, das sei doch ganz schlüssig. Davon ist auch seine Frau überzeugt: „Er war sehr gerne dort. Er hat manchmal bei Tempelfesten die Tavil gespielt, als Europäer, das hat immer für große Aufregung gesorgt.“ Wie er es gewünscht hatte, ist er eingeäschert worden. In Indien, im Kreis von Freunden. Aber nicht am Ganges, sagt Iris und lächelt.

Butze, den nur noch seine Eltern Wolfgang genannt haben, hatte als Rockmusiker in den Kreuzberger Wrangel-Kasernen begonnen, und brachte es zum wohl besten Tavil-Spieler außerhalb von Indien. Dazwischen spielte er bei „Missus Beastly“, mit der Band „Embryo“ nahm er die Platte „Apocalypse“ auf, auch bei den „Dissidenten“ spielte er kurze Zeit. Alles bekannte Bands damals. Butze war Berufsmusiker, der Weltmusik verschrieben, bevor es diese Kategorie überhaupt gab. Mit Christian Burchard von „Embryo“ klapperte Butze Fischer in den Siebzigern die Plattenläden der Kleinstädte ab, um deutschen Underground anzupreisen. Zwei Hippies mit langen Haaren und „Ton, Steine, Scherben“-Platten unterm Arm. „Uns hat das damals sehr viel Spaß gemacht“, sagt Burchard, „Butze war ein unheimlich guter Kumpel.“ Gemeinsam kämpfen sie gegen die Abhängigkeit von den großen Plattenfirmen und für „Musik im Vertrieb der Musiker": So ihr politisches Projekt jener Jahre.

Lange machte Butze Fischer die Ochsentour des Berufsschlagzeugers mit. Konzerte hier, Konzerte da, mal diese Band, mal jene. Und am liebsten immer live. In all den Jahren hat er nur eine eigene CD aufgenommen. „Er hatte viele Ideen, er hat auch viel herumexperimentiert, aber vieles nicht zu Ende gebracht“, sagt seine Frau.

Ihn selbst hat diese Unstetigkeit nie gestört. Als er mit Bandauftritten nicht mehr genug verdiente, eröffnete er im Parterre des Weddinger Hauses ein kleines Jugendhotel, er veranstaltete Sessions mit unterschiedlichen Künstlern, organisierte Festivals im Haus der Kulturen der Welt, und irgendwann wurde er Hausmusiker beim Puppentheater „Hans Wurst Nachfahren". Butze Fischer bewegte sich in vielen Szenen, und auch beim Theater fühlte er sich wohl. Wenn er mit grünen Hosen und roten Hosenträgern ankam, dann freuten sich die schwarz gekleideten Theaterleute. Hatte er Café-Dienst, dann kamen die Gäste wegen Butze.

Auch am Theater blieb er Bauchmusiker: Eine seiner ersten Produktionen war der „Rigoletto". Butze trommelte, was das Zeug hielt, mit beiden Armen schlug er die Tavil und dabei wackelte er mit dem Kopf, wie er es immer tat, wenn er spielte. Das Publikum war begeistert. Wo habt ihr den tollen Schlagzeuger her, haben alle gefragt. Von den Puppen redete plötzlich keiner mehr.

Butze war kein Philosoph. Eher ein Menschensammler, präsent, charmant, einfühlsam, voller Energie. Er war, wie es ein Freund nennt, praxisnah. Wenn ein Glas runterfiel, dann war das eben so. Auch an Indien interessierte ihn nicht der Räucherstab oder der Sinn des Lebens. Butze war Drummer, in Indien und anderswo. Wäre die Tavil keine indische Trommel, sondern eine aus Südamerika oder den schottischen Highlands, Butze wäre dorthin gefahren. Möglicherweise, meint der Musikerkollege, hätte er länger gelebt, wenn er Therapien gemacht hätte und Diäten, und wenn er weniger geraucht hätte. Wahrscheinlich hat er all das zur Seite geschoben, auch das Wissen um die Gefäßschwäche. „Er brauchte das Gefühl von Kraft“, meint eine Freundin. Und so hat er nichts auf später verschoben. „Er hat gelebt“, sagt Iris Fischer. „Er hat immer alles gemacht, was er wollte.“

Beim letzten Besuch in Südindien, kurz bevor er zum letzten Mal ins Flugzeug stieg, hat der Paramashivam versucht, Butze noch eine Reihe neuer, sehr spezieller Rhythmen beizubringen. Ich sag dir jetzt alles, hatte der 83-jährige Inder zu Butze gesagt, bald bin ich tot, dann kannst du mich nicht mehr fragen. Nun ist es dafür zu spät, Butze Fischer ist vor seinem alten Trommelmeister gestorben. Moritz Schuller

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