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Wirtschaft: Gerster fehlen bis zu zehn Milliarden Euro

4,46 Millionen Menschen im April ohne Job / 70 000 zusätzliche Lehrstellen nötig / Besserung erst Anfang 2004

Berlin (brö/HB). Die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat sich im April weiter verschlechtert. Bereinigt um Saisoneinflüsse, waren 4,46 Millionen Menschen ohne Beschäftigung, 44 000 mehr als noch im März. Diese Zahlen legte am Mittwoch in Nürnberg Florian Gerster vor, der Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Als Gründe für die Misere nannte er „strukturelle Probleme und konjunkturelle Schwäche“. Erst im zweiten Halbjahr dürfte der Zuwachs gestoppt werden, prognostiziert die BA. Die hohe Arbeitslosigkeit reißt derweil ein Loch in den Haushalt der Arbeitsämter. Die BA befürchtet 2003 ein Defizit von 6,5 bis 7,5 Milliarden Euro.

Ohne Bereinigung um jahreszeitliche Einflüsse ging die Zahl der Jobsuchenden gegenüber März um 112 700 auf 4,495 Millionen Menschen zurück. Das ist der höchste AprilStand seit der Wiedervereinigung. Die Arbeitslosenquote ging auf 10,8 Prozent zurück. In den West-Ländern liegt sie nun bei 8,6 Prozent, in den Ost-Ländern bei 19,1 Prozent. Zugleich sank laut Statistischem Bundesamt auch die Zahl der insgesamt Erwerbstätigen auf 37,85 Millionen im Februar – das war fast eine halbe Million weniger als noch ein Jahr zuvor. Behördenchef Gerster nannte es einen „Hoffnungsschimmer“, dass der Zuwachs der saisonbereinigten Arbeitslosigkeit seit zwei Monaten zurückgehe. Nach der Prognose der BA werden im Jahresschnitt 4,4 Millionen Menschen ohne Stelle sein. Eine durchgreifende Besserung der Lage sieht Gerster nicht vor dem Frühjahr 2004.

Auch der Ausbildungsmarkt bleibt von der Krise nicht unberührt. In diesem Jahr könnten 70 000 Jugendliche ohne Lehrstelle bleiben, befürchtet die BA. „Noch lässt sich gegensteuern“, sagte Gerster.

Vor diesem Hintergrund räumte Gerster ein, dass die Arbeitsämter in diesem Jahr nicht ohne einen Zuschuss des Bundes auskommen werden. Dies hatte Gerster bislang stets angestrebt und deshalb einen strikten Sparkurs bei der Arbeitsmarktpolitik gefahren. Bis Ende April hätten die Ausgaben seiner Behörde die Einnahmen um 3,65 Milliarden Euro überschritten, teilte er mit. Als Grund nannte er, dass das Hartz-Konzept zur Reform des Arbeitsmarktes noch nicht greife und in strukturschwachen Gebieten nicht auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) verzichtet werden könne. Auch die Kosten für die Förderung Jugendlicher sowie für Reha-Maßnahmen seien weiterhin hoch. Im Gesamtjahr werde die Summe bei 6,5 bis 7,5 Milliarden Euro liegen, sagte BA-Finanzvorstand Frank-Michael Weise. Steuerschätzer sagten dem Handelsblatt, die Summe könne auch bei zehn Milliarden Euro liegen. Das bedeutet neue Probleme für den Haushalt von Finanzminister Hans Eichel (SPD).

Gerster sprach sich dafür aus, die von der Bundesregierung angekündigten Reformen im Rahmen der Agenda 2010 zügig umzusetzen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sagte, es seien „nicht nur die konjunkturelle Schwäche, sondern auch gravierende strukturelle Probleme“ für das Fehlen von Arbeitsplätzen verantwortlich. Die wichtigste Reform der Arbeitsmarktpolitik sei die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die zum 1. Januar kommenden Jahres wirksam werden müsse.

Probleme für den Etat von Hans Eichel

Angesichts der Arbeitsmarkt-Lage gerät die Bundesregierung zunehmend unter Druck. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sprach von der „größten Arbeitsmarktkrise seit der Nachkriegsgeschichte“, und der Osten verliere immer weiter den Anschluss. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sagte Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer: „Wer in einer solchen Situation mit Sozialabbau und Leistungskürzungen reagiert, setzt auf das falsche Pferd.“ Nötig sei ein „Gegensteuern zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage“. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, beklagte, dass sich die Politik in zähen Diskussionen verstricke, anstatt die notwendigen Veränderungen einzuläuten.

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