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Wirtschaft: Gestörte Beziehung

Nur 15 Prozent der Deutschen haben Aktien – Fiskus, Banken und die Psyche stehen im Weg

Die Deutschen verlässt der Mut: Mit der Börse, dem Auf und Ab der Aktien, wollen immer weniger Menschen in diesem Land etwas zu tun haben. Die Zahl der Aktionäre ist auf den Stand von 1997 gesunken, als es den Neuen Markt und das Wort Aktienkultur noch nicht gab. Von „Kultur“ kann man auf einem der größten Finanzplätze der Welt ohnehin kaum sprechen. Nur gut 15 Prozent der Bevölkerung hat nach einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) Ersparnisse direkt oder indirekt in Aktien angelegt. Zum Vergleich: In den USA ist jeder vierte Haushalt an der Börse engagiert.

Experten finden für die Aktienmüdigkeit aktuelle und strukturelle Gründe. „Es hat sich seit der Nachkriegszeit keine Aktienkultur in Deutschland entwickelt“, sagt Vermögensverwalter Gottfried Heller, der seit mehr als 30 Jahren im Aktiengeschäft tätig ist und bei Börsenguru André Kostolany lernte. Das Blümsche Versprechen „Die Rente ist sicher“ habe die Bundesbürger in der trügerischen Hoffnung gelassen, dass private Vorsorge nicht nötig ist. „Aber Vater Staat verabschiedet sich aus der Rundumversorgung, weil er kein Geld mehr hat“, sagt Heller. Der Appell an die Bürger, die drohende Rentenlücke bitte selbst zu schließen, kommt für viele zu spät.

Umso ärgerlicher sei, dass die Regierung zugleich Steuerpläne verfolge, die die private Altersvorsorge mit Aktien erschwere und Zockerei begünstige, sagt Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). So soll künftig eine pauschale Abgeltungsteuer von 30 Prozent auf alle Kapitalerträge gelten, die Spekulationsfrist von zwölf Monaten und das Halbeinkünfteverfahren, das Dividenden nur zur Hälfte der Steuer unterwirft, sollen abgeschafft werden. Zugleich halbieren sich 2007 die Sparerfreibeträge. „Das bedeutet für die meisten Anleger eine Verdopplung der Steuerlast“, kritisiert Hocker. Keine Rahmenbedingungen, die die Aktie wieder attraktiv machen. Mit einer großen Kampagne gegen die Pläne der Großen Koalition wollen Aktionärsschützer und DAI dem Vernehmen nach in Kürze an die Öffentlichkeit gehen.

Verantwortung für das ruinierte Verhältnis der Deutschen zur Börse tragen nach Meinung von Gottfried Heller auch die Banken. „Sie leben von beweglichen Depots.“ Heißt: Je schneller Anlageprodukte ge- und verkauft oder Gelder umgeschichtet werden, desto mehr Gebühren bleiben bei der Bank hängen. Das Gleiche gelte für Finanzprodukte wie Zertifikate, die bei den aktienmüden Deutschen immer beliebter werden. „Am Ende verdient die Bank daran“, glaubt Heller.

Doch Fiskus und Banken sind es nicht allein; die Anleger stehen sich auch selbst im Weg. Erklärungen dafür liefern Börsenpsychologen wie Helmut Henschel. Der Vorstand beim Finanzanalyse-Institut CFA studiert das Anlegerverhalten seit Jahren, vor allem den scheinbar angeborenen Herdentrieb. „Wer am Neuen Markt gescheitert ist, kommt so schnell nicht wieder“, fürchtet Henschel. Aber auch Anleger, die bis 2005 mit der Auflösung ihrer Depots warten mussten, um die hohen Einstiegskurse wieder zu erreichen, seien vorerst nicht mehr zu gewinnen. „Die kehren erst zurück, kurz bevor die nächste Blase platzt – also zu spät.“

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