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Gesundheit: Arbeit geht an die Nerven

Die Techniker Kasse schlägt Alarm: Krankschreibungen aus psychischen Gründen häufen sich. Trotz Krise nehmen die Fehltage zu.

Berlin - Wieder ein Tag, an dem man nichts schafft. Eigentlich will man in Ruhe arbeiten, doch ständig poppen Nachrichten auf dem Computermonitor auf. Neue Mails und Kurznachrichten stören den Rhythmus. Auch nach Feierabend ist nicht Schluss. Der Chef hat noch eine dringende Frage und ruft auf dem Handy an. Am Sonntag checkt man per Internet seine Dienst-Mails, um keine Termine zu verpassen. Das ist stressig. Und auf Dauer macht das krank.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl psychisch bedingter Krankschreibungen um fast 40 Prozent gestiegen, teilte die Techniker Krankenkasse (TK) am Donnerstag in Berlin mit. „Von den gut zwölf Tagen, die jeder im vergangenen Jahr krankgeschrieben war, waren 1,6 Tage psychisch bedingt“, berichtete Thomas Grobe vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsforschung in Hannover, der den Gesundheitsreport für die TK erstellt hat. Damit sind psychische Störungen nach Atemproblemen wie Bronchitis und Muskel- und Skeletterkrankungen wie Bandscheibenvorfälle inzwischen der dritthäufigste Grund für Fehlzeiten. In Berlin nehmen psychische Probleme sogar einen noch größeren Raum ein. Hier gehen im Schnitt 2,2 Fehltage auf das Konto derartiger Störungen.

„Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt immer mehr“, sagte TK-Chef Norbert Klusen. Dank Handy und Notebook seien Arbeitnehmer mittlerweile rund um die Uhr und an fast jedem Ort erreichbar. „Unsere Arbeitswelt ist schneller geworden“, kritisierte Klusen. „Das geht an die Nerven.“ Aber auch befristete Arbeitsverhältnisse und unsichere Beschäftigungsverhältnisse würden zu psychischen Probleme führen.

Die Angst um den Arbeitsplatz macht krank, sie verhindert aber – anders als früher – nicht, dass Arbeitnehmer sich den gelben Schein vom Arzt holen. Im vergangenen Jahr fehlten die TK-Versicherten im Schnitt 12,39 Tage, deutlich mehr als im Vorjahr (11,57) und 2007 (11,2 Tage).

Die hohen psychisch bedingten Fehlzeiten belasten die Kassen vor allem durch die meist sehr lange Krankheitsdauer. Während der Arbeitgeber in den ersten Wochen den Lohn fortzahlt, springt nach sechs Wochen die Kasse mit dem Krankengeld ein. Während 2004 die mit Krankengeld verbundenen Fehlzeiten gut 26 Prozent der Gesamtfehlzeit ausmachten, sind es seit Einführung der Hartz-Gesetzgebung im Jahr 2005 fast 30 Prozent. Allein im vergangenen Jahr nahmen die mit Krankengeld verbundenen Fehlzeiten um fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. Am häufigsten betroffen waren jedoch nicht die Arbeitnehmer, sondern die Arbeitslosen mit durchschnittlich 8,5 krankengeldbezogenen Fehltagen im Jahr. Krankengeld verlängert die Zahlung von Arbeitslosengeld I. Das könnte eine Erklärung sein, aber wohl nicht die einzige. Glaubt man der Studie, leiden Arbeitslose nämlich besonders häufig unter psychischen Störungen. Arbeitslose Frauen erhalten doppelt so viele Antidepressiva wie berufstätige Arbeitnehmerinnen, arbeitslose Männer liegen sogar um 200 Prozent über dem Wert der Berufstätigen.

„Wer arbeitslos ist, leidet überdurchschnittlich häufig an Krankheiten und findet noch schlechter wieder einen Job“, sagte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dem Tagesspiegel. „Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden“, sagte Buntenbach. Der DGB fordert deshalb neben strukturellen Verbesserungen am Arbeitsmarkt und der Humanisierung der Arbeitswelt auch konkrete Programme zur Gesundheitsförderung sowohl für Beschäftigte im Arbeitsprozess als auch für Arbeitslose. „Dass Arbeitslosigkeit psychisch krank macht, ist seit Jahrzehnten belegt“, meint die Gewerkschafterin. Trotzdem würden die Betroffenen stigmatisiert oder die Tatsache tabuisiert. „Es ist endlich an der Zeit, dass die Krankenkassen bundesweit – über Modellversuche hinaus – dauerhaft Gesundheitsprogramme für Erwerbslose auflegen“, mahnt Buntenbach.

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