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Verdi Bsirske

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Gewerkschaften: Verdi schaut bei der Techniker in die Röhre

Mit aller Macht stemmen sich die großen Gewerkschaften gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bei der Techniker Krankenkasse hat seit zwei Jahren die selbst gegründete Gewerkschaft FairTK das Zepter übernommen und zeigt erfolgreich eine Alternative zu Verdi auf.

Als sich Verdi-Chef Bsirske beim Bundeskongress in der vergangenen Woche bestätigen und feiern lies, herrschte eitel Sonnenschein bei Deutschlands größter Einzelgewerkschaft. Doch auch ein Abstimmungsergebnis jenseits der 90 Prozent kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die hiesigen Großgewerkschaften vor strukturellen Problemen stehen. Ein Mitgliederschwund von mehr als einer halben Million in vier Jahren, zunehmende Vergreisung und unklare Strategie für die Zukunft werfen Fragen nach der langfristigen Perspektive der Massengewerkschaften auf.

Immer mehr Gewerkschafter und potenzielle Mitglieder fühlen sich und ihre Interesse nicht mehr richtig vertreten. Angesichts eines immer dynamischeren Arbeitsmarktes fällt es den Gewerkschaftsriesen zunehmend schwerer auf die vielfältigen, individuellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder einzugehen. Das gilt nicht nur für hochbezahlte Spezialisten, wie Ärzte oder Piloten, wo der Kampf um die Tarifhoheit schon seit Jahren tobt. Die Bahnführerstreiks zeigen derzeit wie heftig es im Bermuda-Dreieck zwischen Arbeitgeber, konventioneller Gewerkschaft und einem Neuling, in diesem Fall der Lokführergewerkschaft GDL, zugehen kann. Auch Betriebsräte großer Unternehmen sehen einige Aktivitäten von Verdi und Co. zunehmend kritisch. Sie klagen über aufgezwungene Lösungen und Doktrin, die in ihren Unternehmen nicht passen oder kaum umzusetzen sind.

Mit dem Streit um das Lebensarbeitskonto war das Maß voll

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Abspaltung vom Dienstleistungsriesen Verdi ist die betriebliche Gewerkschaft der Techniker Krankenkasse, die "Fair in der TK". Vor zwei Jahren starteten Beschäftigte der Krankenkasse ihre eigene "Hausgewerkschaft". Begonnen hatte alles mit einem Streit um das Lebensarbeitskonto. In der TK wollten die Arbeitnehmer das Modell, bei dem sich Arbeitszeit "sammeln" lässt, um früher in Rente gehen zu können, umsetzen. Doch mit Verdi war das nicht zu machen. Gegen die Strategie der Gewerkschaft. Marko Bösing war selbst lange hauptamtlich bei Verdi aktiv, doch der damalige Streit brachte das Fass zum Überlaufen.

"Wir fühlten uns vorher schon nicht mehr gut aufgehoben. In den entsprechenden Gremien von Verdi fanden unsere Vorschläge kein Gehör", erläutert Bösing die damaligen Umstände. Der drahtige Mittvierziger kam zehn Jahre zuvor als Seiteneinsteiger eher unerwartet zu gewerkschaftlichen Aktivitäten. Mit dem Bruch riskierte er viel. Zusammen mit vier weiteren Kollegen gründete er die selbstständige Gewerkschaft FairTK. Nachdem sich Verdi gegenüber den Wünschen und Vorstellungen des Betriebsrates der Techniker Krankenkasse komplett verweigerte, reifte der Wunsch nach einer eigenen, unabhängigen Arbeitnehmer-Vertretung. Fünf Leute fanden sich zusammen und entwickelten die Idee der FairTK. Verschwiegenheit war erste Pflicht. Im Rahmen einer Personalratssitzung wurde das Projekt den Arbeitnehmergremien der Techniker Krankenkasse vorgestellt. Noch am selben Tag beteiligte sich der Hauptpersonalrat und die Untergremien bei der FairTK. Auch bei vielen Beschäftigten rannten sie offene Türen ein und so wurde im August 2005 die Gewerkschaft gegründet. Bereits drei Monaten später war sie die zahlenmäßig stärkste Gewerkschaft in der Techniker Krankenkasse.

Beschäftigte wieder für Gewerkschaft begeistert

Die Bilanz nach zwei Jahren fällt positiv aus. "Wir haben harte, aber gute Gespräche mit den Arbeitgebern geführt und innovative Ergebnisse für unsere Leute rausgeholt", ist Bösing überzeugt. Die FairTK kann heute für 3400 Mitglieder verhandeln. Als besonderen Erfolg sieht er die gute Akzeptanz bei den Auszubildenden. Gut zwei Drittel der neuen Azubis konnten für die Hausgewerkschaft der Techniker Krankenkasse begeistert werden. "Wir können die Jungen ganz anders ansprechen, als es eine Großgewerkschaft vermag." Im Personalrat der Techniker sitzen heute zehn Leute der FairTK und nur noch ein Verdi-Vertreter. Dabei sehen sie sich nicht als Insel der Seligen. Sie kooperiert mit der GdS, dem Gewerkschaftsverband bei den Sozialversicherungen.

Die FairTK könnte auch ein Modell für andere Betriebe sein, davon ist Marko Bösing überzeugt. Die Akzeptanz ist hoch und die Mitarbeiter fühlen sich gut vertreten. Bei den Tarifverhandlungen wird hart verhandelt und nicht mit dem Arbeitgeber gekuschelt, aber die Lösungen sind für beide Seiten konstruktiv. Auch die Situation des Unternehmens wird berücksichtigt. Die separatistischen Tendenzen der Spezialisten-Gewerkschaften, wie sie derzeit die Lokführer bei der Bahn üben, sieht er dennoch kritisch. "Das ist für uns der falsche Weg." Ein Plädoyer für die Tarifeinheit, wie es auch Arbeitgeber-Präsident Hundt erst kürzlich vorgetragen hatte.

Für Verdi hingegen könnte sich eine substantielle Gefahr entwickeln, sollte das Modell bei der Techniker Schule machen. In den Betrieben herrscht viel Frust über den politischen Kurs, der sich nicht nu bei denen äußert, die ihre Mitgliedschaft einstellen. Das Beispiel FairTK zeigt wie schnell sich auch Gewerkschaftsmitglieder von einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung überzeugen lassen. Der drohende Bedeutungsverlust der Großgewerkschaften wäre allerdings für die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht ganz unproblematisch. Auf der betrieblichen Ebene sind die Kleinen sicher in der Lage besser und flexibler Abschlüsse zu erreichen. Doch gesellschaftliche Grundfragen, wie der Mindestlohn zum Beispiel, übersteigen ihre Kräfte. Daher wäre es wünschenswert, wenn Verdi anfangen würde von kleinen Gewerkschaften zu lernen und sie nicht nur als lästige Konkurrenz zu empfinden.

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