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Gewerkschaften: Verdi verliert Mitglieder – aber verdient mehr

Die vergangenen drei Jahre waren hart für die Gewerkschaft. Es gab viele Tarifkonflikte. Weil die Einkommen der Mitglieder aber steigen, kann die Gewerkschaft mit höheren Beiträgen rechnen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi profitiert von den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst und bei der Telekom. „Wir haben einen sehr guten Start in dieses Jahr hingelegt“, sagte der stellvertretende Verdi-Vorsitzende Gerd Herzberg dem Tagesspiegel. „Der durchschnittliche Beitrag ist ordentlich gestiegen, deshalb liegen die Einnahmen vermutlich auch in diesem Jahr über Plan.“ Bereits 2008 hatte die mit knapp 2,2 Millionen Mitgliedern zweitgrößte deutsche Gewerkschaft mit Beitragseinnahmen von 412 Millionen Euro rund 18 Millionen mehr eingenommen als ursprünglich veranschlagt. Zwar verliert Verdi wie auch die anderen Gewerkschaften weiter Mitglieder, doch die Erhöhung der Tarifeinkommen führt automatisch dazu, dass die Beiträge steigen. Ein Verdi-Mitglied zahlt ein Prozent des Bruttolohns an seine Gewerkschaft.

Trotz der Wirtschaftskrise und weiterem Mitgliederschwund rechnet Herzberg in diesem Jahr mit 410 Millionen Euro Beitragseinnahmen. Frühestens im Herbst befürchtet er größere Entlassungen in Verdi-Branchen, die zum überwiegenden Teil auf den Binnenmarkt orientiert sind. Ganz anders die IG Metall mit ihren Exportbranchen Autoindustrie und Maschinenbau. Statt der im Budget angesetzten 447 Millionen Euro Beiträge gehen die Metaller jetzt nur noch von 430 Millionen aus; der Verlust ergibt sich ungefähr hälftig aus Einbußen durch Kurzarbeit sowie durch Austritte.

Verdi, 2001 durch den Zusammenschluss von fünf Gewerkschaften entstanden, hat viele Jahre unter den Integrationskosten gelitten und musste auch auf das Vermögen zurückgreifen. Inzwischen hat sich die Gewerkschaft konsolidiert. Das Vermögen wird auf rund eine Milliarde Euro geschätzt und ist offenkundig in der Finanzkrise nicht kleiner geworden. „Wir haben keine Ausfälle und keine Verluste“, sagt Herzberg. Rund 40 Prozent des Vermögens steckt in bundesweit 67 Immobilien, die zum Großteil von den fünf Gründungsgewerkschaften mit eingebracht wurden. Jeweils 30 Prozent entfallen auf diverse Beteiligungen, unter anderem an einer Wohnungsgesellschaft, sowie auf Finanzanlagen. Braucht eine Gewerkschaft so viele Immobilien? Hier und da, zum Beispiel die ehemalige Zentrale der Deutschen Postgewerkschaft in Frankfurt am Main oder das Gebäude der DAG in Hamburg, hat Herzberg versucht zu verkaufen. Nicht immer erfolgreich. „Es ist nicht auszuschließen, dass wir irgendwann mal im Paket Immobilien verkaufen“, sagt der Finanzchef.

Mehr und umfangreichere Arbeitskämpfe

Auch die Tarifkonflikte machen sich bemerkbar. „In den letzten drei Jahren haben wir deutlich mehr und deutlich umfangreichere Arbeitskämpfe gehabt. Und die kosten Geld“, sagt Herzberg. Vor zwei Jahren etwa gab es eine schwere Auseinandersetzung bei der Telekom, die aus der Streikkasse mit rund 50 Millionen Euro finanziert werden musste. Auch der Konflikt vor drei Jahren mit den Bundesländern kostete einen zweistelligen Betrag. In diesem Jahr lief es besser. Erst vor zehn Tagen gab es ein Schlichtungsergebnis für die knapp 50 000 Telekom-Beschäftigten.

In den Wochen zuvor hatte Verdi eifrig Sympathisanten geworben, offenbar mit Erfolg, wie Herzberg sagt. „Im Rahmen der Tarifauseinandersetzung bei der Telekom haben wir in den vergangenen Monaten einige tausend zusätzliche Mitglieder gewonnen.“ Das wird indes die Jahresbilanz nicht retten. „Bei der Mitgliederentwicklung haben wir in diesem Jahr mit einer schwarzen Null gerechnet“, sagt Herzberg. „Jetzt kommt die Krise dazwischen.“ Die Krise treibt alle um. Bei Verdi war lange umstritten, ob man zu den Anti-Kapitalismus-Demos am kommenden Wochenende aufrufen sollte. Alle möglichen Gremien der eher links orientierten Gewerkschaft befassten sich damit über Wochen. Der Vorsitzende Frank Bsirske moderierte erfolgreich. „Wir haben einen starken Vorsitzenden, und das ist gut für Verdi mit den unterschiedlichen Kulturen und Milieus“, sagt Herzberg, der selbst aus der früheren DAG stammt, über den ÖTV-Mann Bsirske.

Starker Mann an der Spitze oder nicht: Die Gewerkschaft wird immer älter, derzeit zählt das Verdi-Mitglied im Schnitt 46 Jahre. Unter der Überschrift „Chance 2011“ hat Herzberg ein Programm aufgelegt, um attraktiver zu werden. „Bei allem, was wir tun, fragen wir uns: Was bringt es hinsichtlich der Mitgliederbetreuung und -werbung?“, sagt der Verdi-Vorstand. Das wird auch höchste Zeit. Denn wenn sich der Trend seit der Gewerkschaftsgründung vor acht Jahren fortsetzt, ist in 25 Jahren Schluss: Verdi stirbt aus. 

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