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Gewichtsangabe: Schummelei an der Supermarkt-Theke

In jeder fünften Lebensmittelpackung ist weniger drin als angegeben. Trotzdem kommen die meisten Hersteller ungestraft davon. Nur fünf Kontrolleure sind für Berlin zuständig.

Berlin - Auf der Packung steht „500 Gramm Schweineschnitzel“, tatsächlich drin sind aber nur 450 Gramm. Das ist kein Einzelfall, sagt Alexander Liebegall. Er leitet die Berliner Außenstelle des Landesamtes für Mess- und Eichwesen Berlin-Brandenburg. Seine Mitarbeiter gehen täglich in die Läden oder zu den Herstellern und überprüfen, ob die Packungen wirklich so viel enthalten wie versprochen. Oft ist das nicht der Fall: Bei abgepacktem Käse, Wurst, Keksen oder Schnitzel – den so genannten „Fertigpackungen mit ungleicher Nennfüllmenge“ – ist fast jede vierte Angabe falsch, weiß Liebegall. Bei 1489 Stichproben, die das Amt im vergangenen Jahr nahm, wurden die Kontrolleure in 17,7 Prozent der Fälle fündig, also bei fast jeder fünften Verpackung. Bei „Fertigpackungen mit gleicher Füllmenge“ – etwa Mineralwasserflaschen à 0,75 Liter, 500-Gramm-Packungen Kaffee – fielen mehr als acht Prozent der geprüften Produkte aus dem Rahmen, und auch an der Wurst- oder Käsetheke im Laden gibt es oft Ärger, sagt Liebegall: „Auch hier haben wir deftige Quoten.“

Das Problem: Oft wird die Verpackung mitgewogen – auf Kosten des Verbrauchers. Was im Einzelfall einige Cents ausmachen kann, summiert sich im Jahr. Bei Standardverpackungen vertun sich die Hersteller zwar auch schon mal zu ihren Ungunsten, berichtet Liebegall. Allerdings passiert das vor allem bei preiswerten Waren. Bei Wein und Spirituosen ist dagegen meist weniger drin als versprochen. Gleiches gilt, wenn teure Rohware verarbeitet werden. Glaubt man der bundesweiten Statistik der Mess- und Eichämter, ist etwa jede dritte Babykost schlecht gefüllt.

Zwar drohen den Herstellern und Händlern Verwarnungen und Bußgelder bis zu 10 000 Euro, doch viele kommen ungeschoren davon. Nur fünf Vollzeitstellen gibt es in Liebegalls Behörde für die Kontrolle vor Ort. Zwar sollen die Firmen in Berlin und Brandenburg mindestens einmal im Jahr überprüft werden, „aber bei kleinen Betrieben und Einzelhandelsgeschäften können es durchaus auch schon einmal zwei oder drei Jahre werden“, räumt Liebegall ein.

Verbraucherschützern ist die Mogelei schon seit langem ein Dorn im Auge. „Die Unternehmen sind sehr wohl technisch in der Lage, die Packungen präzise zu befüllen“, kritisiert Thorsten Kasper vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Doch in der Praxis gehe oft Schnelligkeit vor Genauigkeit. Bei Gewichtsangaben, fordert Kasper, soll es künftig keinerlei Toleranz seitens der Ämter geben: „Wenn 1000 Gramm Zucker drin sein sollen, dann muss die Packung auch mindestens 1000 Gramm enthalten.“ Immerhin hätten die Verbraucher ja auch nicht die Möglichkeit, an der Kasse statt 9,50 Euro nur 9,49 Euro zu zahlen.

Verbraucherschützer befürchten nun weiteres Ungemach. Sie warnen vor einem Mess chaos. Am 5. Dezember soll das Bundeskabinett auf Geheiß des Wirtschaftsministeriums eine weitere Privatisierung des Mess- und Eichwesens beschließen. Schon heute dürfen Hersteller von Waagen oder Taxometern ihre hergestellten Produkte selber eichen. Künftig sollen Private auch die später turnusmäßig anfallenden Nacheichungen durchführen dürfen. Bisher ist das die Aufgabe der Mess- und Eichämter. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) sieht das kritisch. Sie befürchtet, dass Mieter künftig mehr zahlen müssen, wenn Strom-, Gas- und Wasserzähler von Privatunternehmen überprüft werden. Auch Gerd Billen, vzbv-Vorsitzender, warnt davor, „dass das Mess- und Eichwesen unsicherer, teurer und bürokratischer wird“. Im Wirtschaftsministerium hält man diese Sorgen für unbegründet. Die Neuregelung schaffe Wettbewerb in Bereichen, in denen früher staatliche Gebühren zu bezahlen waren. Dieser Wettbewerb werde die Preise sinken lassen, ohne den bestehenden Schutz zu gefährden.

Der Wettbewerb bringt den Verbrauchern im Laden aber derzeit mehr Nach- als Vorteile. Als Maßnahme der Vereinfachung hat die EU die bislang festen Verpackungsgrößen weitgehend abgeschafft. Obwohl die entsprechende Verordnung erst am 11. April nächsten Jahres in Kraft tritt, macht praktisch schon heute jeder, was er will. So gibt es Knäckebrot in 125-Gramm- oder in 275-Gramm-Verpackungen, in Chips sind mal 175 Gramm, mal 200 Gramm drin, das Müsli wiegt mal 425 Gramm, mal 375 Gramm – bei ähnlich großen Verpackungen. Zwar müssen die Händler den Grundpreis pro 100 Gramm oder pro Kilogramm angeben, damit Kunden die Preise vergleichen können, doch die entsprechenden Schilder sind oft klein und schwer zu lesen. „Dem Handel wird es leicht gemacht, die Verbraucher zu täuschen“, sagt Alexander Liebegall.

Wer das verhindern will, muss sich wappnen: Zum Beispiel abgepackten Käse an der Obst- und Gemüsewaage nachwiegen, um mögliche Unterfüllungen aufzuspüren. Spaß macht das nicht. Heike Jahberg

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