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Wirtschaft: „Gibt es noch eine Unternehmermoral?“

IG-Metall-Chef Jürgen Peters über den Krach mit der SPD, den Ärger über die Reformen und das Unbehagen am Kapitalismus

Herr Peters, Sie sind seit 1966 in der SPD ...

... ach ja? Ich zähle die Jahre meiner Mitgliedschaft nicht. So etwas habe ich nicht im Kopf.

Warum sind Sie nicht längst ausgetreten?

Ich bin in einer Zeit sozialisiert, wo es bestimmte Prinzipien gab. Dazu gehört, dass man aus einer Partei nicht austritt, sondern versucht, in der Partei etwas zu bewegen.

Sie haben die Politik der SPD verbittert mit den Worten kommentiert, den Gewerkschaften komme der Partner abhanden.

Gewerkschaften sind außerparlamentarische Organisationen, die bei bestimmten Themen Einfluss auf die Parteien nehmen. In der Vergangenheit hatten wir mit der SPD viel mehr Übereinstimmung als mit anderen Parteien. Das ist in dieser Form nicht mehr der Fall, deshalb bricht uns da auch was weg.

Kommt der Partner noch einmal zurück?

Ja – wenn der Kurs der Partei wieder eine sozialdemokratische Handschrift trägt.

Die Handschrift Franz Münteferings?

Ich sehe im Wechsel von Gerhard Schröder zu Franz Müntefering die Chance für eine neue Kommunikation und Dialogbereitschaft über den richtigen Weg. Die Partei kann ihr Profil wieder neu schärfen – als lebendiger Organismus, der die Impulse für die Regierung gibt. Mit einer Basta-Politik kommt keine Regierung sehr weit.

Am heutigen Montag treffen Sie sich im SPD-Gewerkschaftsrat mit Müntefering. Womöglich klappt die Kommunikation, aber wird sich inhaltlich etwas ändern?

Wenn sich nichts ändert, dann geht es weiter wie bisher: Verlust an Wählern und Mitgliedern und damit ein möglicher Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Ein Parteitag mit der Aufforderung „Wir wollen wieder groß und stark sein“ und ein Führungswechsel reichen nicht. Wenn die Partei die Leute nicht mitnimmt – und es geht darum, die sozialen Schieflagen zu korrigieren – dann hat die SPD keine Zukunft. Wir sind dialogbereit, aber nicht unter dem Motto „Ihr dürft euch jetzt mal ausquatschen“.

Der neue SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter sagt, „auch die Gewerkschaften werden sich eines Tages der Wirklichkeit stellen müssen“.

Welche Wirklichkeit meint er? Die Wirklichkeit eines Systems, das Altersarmut bewusst in Kauf nimmt? Diese Art von Wirklichkeit wollen wir verhindern. Es ist doch unmöglich, dass jemand 35 Jahre lang arbeitet und Beiträge zahlt und dann eine Rente auf dem Niveau der Sozialhilfe bekommt. Wenn Herr Benneter von uns erwartet, dass wir diese Wirklichkeit akzeptieren sollen, dann kann ich nur sagen: Das nehmen wir nicht hin.

Der Sozialdemokrat Helmut Schmidt meint, die Agenda 2010 komme zehn Jahre zu spät.

Aus dem Status der Nichtbetroffenheit kann ich sehr gut solche Grußadressen abschicken. Wenn ein Altbundeskanzler wirklich meint, dass die Zuzahlung bei den Arzneimitteln, das Eintrittsgeld beim Arzt und permanente Leistungskürzungen die Botschaften sein müssen, die man dem Volk mitteilt, dann kann ich nur sagen, er ist wohl nicht betroffen.

Am kommenden Sonnabend gibt es Großkundgebungen in Berlin, Köln und Stuttgart gegen die Regierungspolitik; in Köln sind Sie der Hauptredner. Wollen Sie Rot-Grün mit Massenprotesten den Rest geben?

Wir können nicht hinnehmen, dass trotz alternativer Politikkonzepte die SPD schnurstracks nach rechts rückt und Positionen von Union und FDP besetzt. Also müssen wir versuchen, die Regierungsparteien zurückzuziehen auf einen Pfad, den viele mitgehen können. Es macht keinen Sinn, nur die kleinen Leute zu belasten und die großen Verdiener sogar noch zu entlasten. Sozialdemokratisch ist das nicht. Deshalb bringen wir mit dem 3. April das Thema Gerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt.

Immerhin bekommen die Gewerkschaften eine Ausbildungsabgabe – auch ein Bestandteil der Agenda 2010.

Die Umlage ist überfällig. Im Grundgesetz wird dem einzelnen Bürger die freie Berufswahl als Grundrecht zugesichert. Davon sind wir meilenweit entfernt, im Sommer werden voraussichtlich 50000 Jugendliche unversorgt sein. Also müssen wir die Notbremse ziehen, um die zu belasten, die nicht ausbilden.

Viele Firmen bilden nicht aus, weil sie sich das nicht leisten können.

Denken Sie an den Boom in der so genannten New Economy. Viele haben da trotzdem nicht ausgebildet, weil es falsche Steuerungsinstrumente gibt. Da kommt man seiner Ausbildungsverpflichtung nicht nach und fordert stattdessen eine Green Card. Das passt nicht zusammen. Mit dem Ausbildungsfonds, in den die Abgabe fließt, wollen wir die Firmen unterstützen, die Ausbildungskapazitäten haben, diese aber eigentlich nicht brauchen. Diese Unternehmen, die über ihren eigenen Bedarf ausbilden, bekommen künftig Geld von den Firmen, die nicht ausbilden.

Warum regeln Sie das nicht in Tarifverträgen?

Die Tarifpolitik allein ist nicht in der Lage, ein sozialpolitisches Problem zu lösen. Dafür brauchen wir eine gesetzliche Basis, die die Umlagefinanzierung branchenübergreifend regelt. Der Gesetzgeber muss jetzt einen Rahmen schaffen, dann werden die Tarifparteien handeln. Wenn jemand fünf Jahre nach der Schule arbeitslos ist, dann ist doch klar, welche Entwicklung dieser junge Mensch nimmt. Niemand wird dann beklagen können, dass er kein zweckdienliches Mitglied der Gesellschaft wird.

Bei Siemens sind aktuell 10 000 Jobs von der Verlagerung ins Ausland bedroht. Siemens-Chef von Pierer sagt, er wolle um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen, und fordert von der IG Metall Kompromissbereitschaft. Wie groß ist die?

Wenn Sie einem Unternehmen den kleinen Finger geben, dann müssen Sie sich in Acht nehmen. Unternehmen, denen es blendend geht, wollen die ganze Hand. Aber wenn das alle machen, dann finden wir uns in einer Lohnspirale nach unten wieder. Wir sperren uns nicht, aber prüfen jeden Einzelfall ganz genau.

Ohne Entgegenkommen der IG Metall wird die Siemens-Handy-Produktion hier zu Lande kaum gegen die Wettbewerbsstandorte in Asien und Osteuropa bestehen können.

Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Der Lohnkostenanteil in der Handy-Fertigung liegt unter zehn Prozent. Im Übrigen wird es immer so sein, dass Firmen ins Ausland gehen, um die Märkte vor Ort erschließen zu können. Aber aktuell geht es doch ausschließlich um höhere Gewinne. Das akzeptieren wir nicht.

Die Kosten spielen keine Rolle?

Es gibt sehr viele Motive für ein Unternehmen, auch im Ausland zu investieren. Dazu zählen auch die Lohnkosten. Aber zumeist geht es um die Markterschließung vor Ort.

Viele Unternehmer, darunter DIHK-Präsident Braun und Maschinenbaupräsident Klingelnberg, raten ihren Kollegen zur Verlagerung, weil die Bedingungen in Deutschland die Firmen zu sehr belasten.

Das grenzt häufig an Erpressung. Wer kurzfristig einen Kostenvorteil mitnehmen will, wird sich nur schwer hindern lassen. Aber gibt es noch eine Unternehmermoral? Edmund Stoiber hat das mal ungefähr so formuliert: Geht rüber, aber nehmt eure Kinder auch mit. In Deutschland sollen die Schulen und Universitäten gut sein, die Infrastruktur soll stimmen, es soll tolle Opern und Schauspielhäuser geben – aber dafür bezahlen möchte der Unternehmer nicht.

Der Unternehmer geht dahin, wo er am besten etwas unternehmen kann.

Das stimmt so nicht mehr. Mannesmann ist ein signifikantes Beispiel für die Veränderung im globalen Kapitalismus. Es geht nicht mehr darum, wie man ein Unternehmen stärken kann, sondern ausschließlich um Profit und sonst nichts.

Das ist der Zweck eines Unternehmens.

Nicht nur. Es geht um Gewinn und die Stärkung und Fortführung des Unternehmens auch im Sinne der Beschäftigung. Wir haben aber jetzt eine Situation, wo es nicht um das Unternehmen geht, sondern um die Befriedigung irgendwelcher Aktionäre. Und diese Shareholder-Denke gipfelt in der feindlichen Übernahme, um ein Unternehmen auszuschlachten. Was von Belegschaften und dem Management aufgebaut wurde, wird unter dem Verwertungsaspekt kaputtgemacht. Meistens von irgendwelchen Dritten wie Investmentfonds, die sich für die Produktion überhaupt nicht interessieren.

Wenn die Kapitalinteressen so dominant sind, müssten die Gewerkschaften Zulauf haben.

Mit dem Begriff Globalisierung versuchen einige, Freiheitsräume für sich durchzusetzen, die normalerweise nicht akzeptabel wären. Betroffen sind die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften. Deshalb nehmen doch auch Teile der Politik die Gewerkschaften auf die Hörner, damit der Weg frei wird für ungezügelte Kapitalinteressen. Dazu werden dann auch der allmächtige Gewerkschaftsfunktionär und der Gewerkschaftsstaat an die Wand gemalt. Weil sich ein Teil der Politik, der sich bislang mit den Gewerkschaften gegen den grenzenlosen Kapitalismus gewehrt hat, nun gegen die Gewerkschaften stellt, hat das Ganze diese Wucht bekommen. Deshalb brauchen wir den Kurswechsel der SPD.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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