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Wirtschaft: „Gibt Schröder nach, hat er verspielt“

Der Belgier André Leysen, gefragter Berater in deutschen Konzernen, über Managergehälter, Mitbestimmung und die Macht der Banken

Herr Leysen, sie waren in vielen deutschen Aufsichtsräten zu Hause. Was denken Sie heute über Deutschland, nachdem sie die letzten Mandate niedergelegt haben?

Noch ebenso viel Gutes wie vor 20 Jahren. Nachdem man sich aber durch Überregulierung festgefahren hat, wird es allmählich jedem deutlich, dass eine Welle von Reformen ansteht. Sonst wird die Tendenz zum Korporatismus, wo Regierung und Interessenverbände ihre Belange auf Kosten anderer Gesellschaftsschichten lösen, noch zunehmen.

Werden es die Deutschen schaffen?

Ich zweifle nicht daran, aber Ihr Land steht vor ein paar entscheidenden Wochen. Der Kanzler hat die Wahl, sich durchzusetzen und die Gewerkschaften auf ihre eigentliche Rolle zurückzudrängen oder er wird unter die Räder kommen. Das ist vergleichbar mit der Situation der ThatcherRegierung in Großbritannien. Gibt Schröder nach, hat er seinen Platz in der Geschichte verspielt.

Was kümmert das einen Belgier?

Eine ganze Menge. Deutschland ist als Stabilitätsgarant in Europa angetreten. Daraufhin haben wir uns alle für den Euro entschieden. Jetzt müssen die Deutschen dafür sorgen, dass die Erwartungen auch erfüllt werden.

Und die Blockierer sind die Gewerkschaften?

Nicht allein, aber sie haben einen Machtanspruch, der zu weit geht. In den Parlamenten und mitbestimmten Unternehmen geht ihre Macht weit über das hinaus, was notwendig ist, um die Interessen der Arbeiter zu verteidigen.

Sind Gewerkschaften überflüssig?

Nein. Aber die gewählte Regierung und nicht die Gewerkschaft soll regieren. Die kommende Welt ist nicht mehr die Welt von gestern. Solange wir Wachstum hatten, war die Umverteilung vertretbar, jetzt heißt es, aufgelaufenen Verpflichtungen nachzukommen. Einige Gewerkschaften wollen jetzt das Huhn, das goldene Eier gelegt hat, schlachten. Sie verhalten sich wie Monopolisten, die bei Preiserhöhungen ihrer Ware „Arbeitskraft“ gleichzeitig auch noch Mehrverbrauch „Beschäftigung“ fordern. In einer globalen Welt desertiert dann die Arbeit, was im vollem Gange ist.

Sind die Gewerkschaften, sind die Deutschen überhaupt reformfähig?

Ich glaube schon. Aber über 50 Jahre Friedenserfahrung können auch lähmen. Da geht es den Deutschen nicht anders als ihren Nachbarn in Europa.

Sie haben auch einmal festgestellt, dass die Deutschen von Krise zu Krise immer reicher würden!

Ja, das habe ich einmal gesagt. Diesmal ist es ernster. Die Umverteilungswünsche sind größer als die vorhandenen Mittel. Das Wachstum bleibt aus, die Fehler der Vergangenheit müssen bereinigt werden. Und das mit einer Bevölkerung, die offensichtlich noch nicht ganz reif dafür ist. Die Regierung Schröder schafft das nur, wenn sie fest entschlossen zu ihren Reformen steht und wenn sie die Bevölkerung hinter sich bekommt.

Ist die Mitbestimmung in den deutschen Unternehmen ein Problem?

Nach meinen Erfahrungen droht die Gefahr, dass sie zu einer Kungelei zwischen Management und Mitarbeitervertretung führt. Wehret den Anfängen!

Etwas konkreter bitte.

Da die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat die Einkommen der Vorstände mitgenehmigen und die Vorstände das Sagen haben bei der Festlegung der Einkommen für die Arbeitnehmer könnte die Versuchung bestehen, auf beiden Seiten großzügig zu sein.

Wenn etwa – wie bei der Telekom oder bei Vodafone – Millionen schwere Aktienoptionen für die Vorstände verabredet werden?

Sie werden verstehen, dass ich mich zu konkreten Fällen nicht äußern kann und will. Es gibt aber sicherlich Fälle, wo sich Arbeitnehmervertreter zu meinem Entsetzen einverstanden erklärten mit exorbitanten Forderungen des Managements. Einige Manager haben den Begriff „shareholder value“ mit Management-Selbstbedienung übersetzt.

Gewerkschaftsführer wie Klaus Zwickel haben äußerst bedenklichen Abfindungen bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone zugestimmt.

In aller Fairness. Soweit bekannt ist, hat Herr Zwickel sich in dem Fall der Stimme enthalten.

Ist das ein großer Unterschied?

Einstimmigkeit zählt bei Beschlüssen in den Gremien einer deutschen Aktiengesellschaft fast zum Standard. So gesehen kann man schon sagen, dass diese Haltung einen Unterschied macht. Ich selbst habe auch gelegentlich zugestimmt, obwohl ich anderer Meinung war. Ich kann mich nur selbst zitieren. Wenn sich der deutsche Aufsichtsrat irrt, dann tut er das gern einstimmig.

Irrt er sich oft?

Die wichtigen Entscheidungen werden gar nicht mehr im Gesamtaufsichtsrat gefällt. Er bestätigt nur. Entschieden wird zumeist in den Präsidien, in kleinem Kreis.

Und wenn der gesamte Aufsichtsrat das dann durchwinkt, dann weiß er nicht, was er tut?

Er hat nicht immer die gesamten Informationen.

Wie müsste der Aufsichtsrat aussehen, damit Fehler vermieden und die Kontrolle verbessert wird?

Ich halte das holländische System für das beste. Das habe ich bei Philips ausführlich kennen gelernt. Maximal acht qualifizierte Aufsichtsräte. Vertreter der Banken sind nur dann zugelassen, wenn sie persönlich keine Geschäftsverbindung mit dem Unternehmen unterhalten.

Und wer vertritt dann die Interessen der Arbeitnehmer?

Ich kann mit Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten leben. Aber es ist einfacher ohne. Niederländische Betriebsräte haben dafür das Recht, jederzeit angehört zu werden. Und sie dürfen bei der Auswahl der Aufsichtsräte mitreden und eventuell ein Veto aussprechen. So habe ich in drei niederländischen Unternehmen erlebt, dass ich einige Stunden von den Arbeitnehmern befragt wurde. Ich fühlte mich wie auf der Schulbank. Das System hat den Vorteil, dass der Vorsitzende weiß, dass er nur gute Kandidaten durchbringen kann, da der Kandidat sonst von den Betriebsräten gekippt wird. Das wäre eine große Blamage. Also versucht er von vornherein, tüchtige Leute auszusuchen.

Die deutsche Mitbestimmung wäre damit gestorben?

Nein. Wir haben bei Philips schon vor 25 Jahren einen Aufsichtsrat für die Holding gegründet und darunter sind die nationalen Gesellschaften angesiedelt. Die können durchaus mitbestimmt sein. Das ist ein sehr bewegliches System, das auf die regionalen Gegebenheiten Rücksicht nimmt. Der deutsche Konzernbetriebsrat muss sogar die Interessen seines Kollegen auf Feuerland vertreten.

Gute Aufsichtsräte sind das eine. Wie gut sind die Vorstände?

In den Unternehmen sitzen zumeist gute Manager. Neuerdings wird der Ruf dieses Berufstandes durch die grossen Einkommenserhöhungen einiger Vorstände geschädigt. Wer sein eigenes Gehalt kräftig erhöht und gleichzeitig seinen Mitarbeitern erklärt, dass 10 000 Leute entlassen werden müssen, der handelt nach meinen Vorstellungen unverantwortlich.

Zur Zeit wird ja hauptsächlich entlassen.

Ohne Personalabbau geht es in vielen Fällen nicht. Mich hat aber schon erschüttert, was ich jetzt über Vorstandsbezüge lesen konnte. Wie ist es möglich, dass die Arbeitnehmer da auch noch zugestimmt haben?

Ist es deshalb wichtig, Vorstandsgehälter zu veröffentlichen?

Wenn es nach meinem Unternehmerverständnis ginge, muss man das nicht. Ich verstehe auch den Druck, unter denen die Familien eines Vorstands stehen, wenn bekannt ist, dass er viele Millionen Euro im Jahr verdient. Aber die Zeiten ändern sich. Ob diese Offenbarungswelle allerdings etwas hilft, da habe ich meine Zweifel.

Sie kritisieren das deutsche Bankensystem. Vor allem die enge Verbindung mit der Industrie. Warum?

Weil es meines Erachtens die Aufgabe der Banken ist, ihr traditionelles Geschäft zu pflegen und sich nicht dem Risiko umfangreicher Industriebeteiligungen auszusetzen. Das kollidiert mit den anderen geschäftlichen Interessen.

Am besten ist es also, wenn Banken gar nicht erst bei Unternehmen einsteigen?

In Notfällen wird sich das nicht immer vermeiden lassen. In Belgien müssen die Banken innerhalb von sechs Monaten wieder aussteigen. Das ist eine vernünftige Regelung. Was bei den großen Beteiligungsportfolios herauskommt, können Sie jetzt sehr gut beobachten. Wenn die Bankengeschäfte nicht gut laufen, kommt man in die gefährliche Lage, seine Beteiligungen um jeden Preis versilbern zu müssen. Und je mehr man verkaufen muss, desto stärker fallen die Kurse und damit der Wert der Beteiligungen. Die Baisse nährt dann die Baisse. So werden aus Hütern der Stabilität Verursacher der Instabilität.

Sind Sie froh, dass Sie das jetzt alles nicht mehr kümmern muss?

Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben und immer Wert gelegt auf meine persönliche Freiheit. Ich glaube, dass ich den richtigen Zeitpunkt für meinen Rückzug gefunden habe. Ich habe in der letzten Zeit noch einiges mit auf den rechten Weg bringen können und bin darüber glücklich, auch wenn ich weiß, dass nicht alle darüber glücklich sind.

Das gilt auch für die Telekom?

Ich bin überall glücklich gewesen.

Das Gespräch führten Dieter Fockenbrock und Ursula Weidenfeld.

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