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Wirtschaft: Globalisierung: Interview: "Attac plant im November Demonstrationen in Europa"

Bernard Cassen ist seit Juni 1998 und damit seit der Gründung der Antiglobalisierungsbewegung Präsident von Attac. Cassen ist gleichzeitig Direktor der linksliberalen französischen Zeitung "Le Monde Diplomatique".

Bernard Cassen ist seit Juni 1998 und damit seit der Gründung der Antiglobalisierungsbewegung Präsident von Attac. Cassen ist gleichzeitig Direktor der linksliberalen französischen Zeitung "Le Monde Diplomatique".

Herr Cassen, am kommenden Wochenende treffen sich Attac-Gruppen aus aller Welt zu einem Kongress in Berlin. Wie verändert der Terrorismus Ihre Strategie?

Natürlich diskutieren wir über das äußere Erscheinungsbild. Ob es nach den Anschlägen vom 11. September noch Demonstrationen auf den internationalen Gipfeln geben wird, bleibt offen. Zum WTO-Welthandelstreffen in Katar Anfang November können wir jedenfalls nicht demonstrieren, wir haben nur ein Visum für ein Attac-Mitglied. Am 10. November veranstalten wir eine große Demonstration in Frankreich und anderen europäischen Ländern gegen die WTO.

Was bedeutet der Terrorismus für Ihre Bewegung?

Wir haben den Terrorismus verurteilt und sind extrem solidarisch mit dem amerikanischen Volk. Aber wir sind überhaupt nicht einverstanden mit dem Vorgehen der amerikanischen Regierung, überhaupt nicht. Diese Attentate sind bloß die Spitze des Eisbergs. Man muss auf das sehen, was unter Wasser ist. Ich schließe mich der Auffassung der indischen Schriftstellerin Arhundati Roy an. Sie sieht bin Laden als den "dunklen Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten". Das ist eine sehr subtile, scharfsinnige Analyse. Ein Beispiel: In den USA gab es durch den Anschlag 7000 Tote. Aber an jedem Tag sterben 30 000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger. Das heißt doch, dass das Leben dieser Kinnicht zählt. Wenn man das nicht mit in Betracht zieht, hat man nichts verstanden. Wie der amerikanische Präsident Georg W. Bush, der glaubt, die USA seien allein auf der Welt.

Was antworten Sie denen, die eine Parallele zwischen Globalisierungsgegnern und Terroristen vermuten?

Dieses totale Fehlurteil beruht auf einer zweifach falschen Gleichung: Globalisierungsgegner gleich Antiamerikanisten gleich Komplizen der Terroristen. Attac ist keine antiamerikanische Bewegung. In der Tat sind die USA aber die Weltmeister im Neoliberalismus und natürlich ist Globalisierung in gewissem Sinne eine Art Amerikanisierung, aber sie ist nicht von der Politik gewollt, sondern von internationalen Konzernen.

Was bedeutet das Bemühen um mehr Sicherheit nach den Attentaten für die Globalisierungskritiker?

Ich sehe die Gefahr, dass die Regierungen den Terrorismus als Vorwand nehmen, um die öffentlichen Freiheiten, wie die Meinungsfreiheit, einzuschränken. Das geht bereits so weit, dass selbst die Definition des Wortes Terrorist auf europäischer Ebene verschärft wird. Nach dem Kriterium des Textes der EU-Kommission, der den Innenministern der EU vorliegt, wäre ich sicher ein Terrorist, weil ich "gegen die Institutionen und das existierende System" bin. Ein Teil der Regierungen benutzen Terrorismus, um Restriktionen durchzuboxen, die sonst nie durch die Gesetzgebung gegangen wären. Das ist eine Gefahr für die Demokratie.

Das Wall Street Journal ruft jetzt den Globalisierungsgegnern ein "Adieu" zu?

Da muss ich schmunzeln. Niemals war Bush Attac so nah wie heute. Wir waren für die Abschaffung der Steueroasen. Bush war bis zum 11. September dagegen. Jetzt ist er dafür. Genauso forderten wir die Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte. Bin Laden hat aller Wahrscheinlichkeit mit Spekulationen an der Börse von den Attentaten profitiert. Und schließlich haben die USA jetzt das Gewissen des Staates wieder entdeckt.

Ist das das Ende des Neoliberalismus?

Wer glaubt denn noch an den Neoliberalismus? Die politischen Führer nicht. Offensichtlich glaubt ja selbst Bush nicht mehr daran. Er subventioniert die Luftfahrtgesellschaften in den USA mit 15 Milliarden Dollar. In Frankreich wetterten Arbeitgebervereinigungen seit Jahren gegen zu viel Staat, und jetzt gehen die selben Individuen in der Rolle der Versicherungsverbände hin und fordern Subventionen.

Eine Neue Chance, die Tobinsteuer ins Gespräch zu bringen?

Ich weiß, dass die EU-Kommission, die jetzt im Auftrag der EU-Finanzminister einen Bericht erstellen soll, dagegen ist. Auch die Finanzminister stehen natürlich der Finanzmacht sehr nahe. Wir machen uns keine Illusionen. Wenn der Bericht die Tobinsteuer ablehnt, kämpfen wir weiter. Wir fordern die Besteuerung der Einkommen aus internationalen Finanztransaktionen, in gleicher Höhe wie die Besteuerung von Einkommen aus Arbeit.

Herr Cassen[am kommenden Wochenende treffen sich]

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