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Wirtschaft: Götz Borchardt

(Geb. 1935)||Ein Tag ohne Training ist ein verlorener Tag.

Von David Ensikat

Ein Tag ohne Training ist ein verlorener Tag. Im Traum erschien ihm eine Fee, die erfüllte alle Wünsche. Außerhalb des Traumes schwächelte der kleine Götz, sein Vater war sehr unzufrieden und hielt seine Beobachtungen fest: „Hühnerbrust, Froschbauch, Platt- und Knickfüße, Karies.“

Götz lernte früh, dass es keine Feen gab, dass es auf ihn selbst ankam, allein auf ihn. Im April 45 hieß es, er müsse im Frohnauer Schützengraben kämpfen. Dem Soldaten neben ihm wurde der Schädel zerschossen, und Götz wusste: Du lässt dich hier nicht wegtragen, du musst laufen, nur laufen!

So überlebte er.

Der Vater verließ die Familie im Jahr 47. Jetzt musste Götz das Geld verdienen. Auf dem Schwarzmarkt war Kinderarbeit nicht verboten. Als die Mutter endlich Arbeit bekam, durfte Götz wieder in die Schule. Und weil er wusste, wie es im Leben läuft, strengte er sich an, in allen Fächern. Besonders viel nachzuholen hatte er im Sport. Er turnte, er spielte Tennis, er übte sich im Ringkampf. Für ein Sportstudium wäre er aber auf das Geld anderer angewiesen gewesen. Das gab es nicht.

So kam Götz als Komparse zum Friedrichstadtpalast, Mitte der fünfziger Jahre war das. Er lernte dort einen Artisten kennen, einen „Rollschuhschleuderakrobaten“, der ihm den wichtigsten Satz überhaupt sagte: „Ein Tag ohne Training ist ein verlorener Tag.“

Götz begann zu trainieren, jeden Tag. Nach drei Monaten konnte er sich selbst „Rollschuhschleuderakrobat“ nennen. Einen Meter fünfundachtzig hoch, schlank, breite Schultern, scharf geschnittenes Gesicht, dunkles volles Haar auf Kopf und Brust: So einer braucht ein enges weißes Dress, Rollschuhe, eine runde Holzplatte, zwei Meter im Durchmesser, ein hübsches, nicht zu schweres Mädchen und gute Zähne – dann steht die Welt ihm offen. Zum Höhepunkt der Rollschuhschleudernummer hing das Mädchen, einen Riemen im Nacken, an einer kleinen Apparatur, deren anderes Ende Götz zwischen den Zähnen hielt. Er drehte sich auf Rollschuhen auf der Holzplatte, das Mädchen lag waagerecht in der Luft und wirbelte seinerseits um die eigene Achse, die Apparatur ließ das zu, das Publikum tobte.

Götz kam mit den „Rolling Blizzards“ durch die Welt, in Mexiko hatten sie eine Pistole im Tourbus-Handschuhfach, in Manila füllten sie ein Stadion mit 80 000 Plätzen. Es war ein abenteuerliches Leben, doch Götz war Realist: Nach acht Jahren machte er Schluss damit. Er war 30, jung genug, noch etwas anderes zu beginnen. Er lief zum Arbeitsamt, ließ sich beraten und wurde Pharmareferent.

Er war, was sonst, ein guter Pharmareferent. Im Auftrag der Gesundheit? Ach was, im Auftrag seiner Pharmafirma. Man kann gutes Geld verdienen in dem Gewerbe. Aber glücklich macht es nicht. Als seines Glückes Schmied kündigte Götz Borchardt nach 15 Jahren. Er war jetzt 45, jung genug, noch etwas anderes zu beginnen.

Körper, Gesundheit, Kraft, das waren auch in der Vertreterzeit seine Themen gewesen, er hatte die ganze Zeit trainiert, war gelaufen, hatte Tennis gespielt. Und weil in einer feenlosen Welt der Mensch tun soll, was er wirklich kann, wurde Götz Borchardt Trainer für Tennis und für Kondition. Er muss ein hervorragender Trainer gewesen sein, denn seine Sportler achteten und fürchteten ihn nicht nur, viele freundeten sich auch mit ihm an. Was er von ihnen erwartete, lebte er ihnen vor: „Ein Tag ohne Training ist ein verlorener Tag.“ Bis zuletzt.

Götz Borchardt und die Frauen – hier soll die Auskunft genügen, dass er auch auf diesem Gebiet die Dinge aktiv anging. Die große Liebe seiner letzten Jahre ist überzeugt, dass sie die erste Liebe war, der er treu geblieben ist. Er hatte gar nichts anderes mehr vor: Mindestens 20 weitere Jahre, genau so wie die letzten, zum Schluss auf der Terrasse sitzen, ein letztes Glas Champagner, dann gemeinsam sterben.

Dass der Herzschlag ihn, den Kerngesunden, so plötzlich und allein traf, ist bestimmt kein Hinweis auf die Existenz von Feen. Nur dafür, dass es einen Rest an Fremdbestimmung gibt.

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