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Griechenland: Geschlossene Gesellschaft

Griechenland will viele Berufe deregulieren, die Betroffenen wehren sich. Streiks lähmen die Wirtschaft und vergraulen Touristen.

Geschlossene Tankstellen und gestrandete Autos, stundenlange Verspätungen im Flugverkehr, bestreikte Häfen, geschlossene Museen: Griechenland stellt die Geduld der Reisenden in diesem Sommer auf eine schwere Probe. Wegen des Streiks der Tank- und Lastwagenbesitzer müssen viele Urlauber auf Campingplätzen und in ihren Hotels ausharren, bis die Tankstellen wieder mit Benzin beliefert werden. Nach Schätzungen serbischer Medien sind allein in Nordgriechenland etwa 100 000 serbische Touristen gestrandet. Am Freitagabend beschloss die Regierung in Athen, hart durchzugreifen: Das Militär soll ab sofort die Versorgung mit Treibstoff übernehmen. Zuvor hatten die Tank- und Lastwagenbesitzer beschlossen, ihren Ausstand fortzusetzen.

Heike und Bernd Benders sitzen in einer Taverne in Svoronata auf der Insel Kefalonia. Aber die Choriatiki, der griechische Salat, will den beiden nicht so recht schmecken. Am vergangenen Sonntag hatten sie mit ihrem Wohnmobil auf einer Fähre zu der Insel übergesetzt. Niemand sagte ihnen, dass um Mitternacht die Betreiber der Tanklastwagen in einen unbefristeten Streik treten würden. Als die Benders am Montag von dem Streik erfuhren, war es schon zu spät. Die Griechen hatten längst vollgetankt. Mehr als ein Dutzend Tankstellen klapperten die Deutschen mit ihrem Camper ab, keine hatte mehr Benzin. Am Ortsrand von Svoronata ging ihnen der Sprit aus. Die malerische Insel mit ihren weißen Stränden und bewaldeten Bergen ist für die Benders zur Falle geworden.

Fuhrunternehmer Gerassimos lassen solche Schicksale kalt. „Wir kämpfen ums Überleben“, sagt er theatralisch. Seinen Nachnamen will der 62-Jährige nicht nennen. Sein 2004 verstorbener Vater hat ihm etwas sehr Wertvolles hinterlassen: zwei Konzessionen zum Betrieb von Tanklastzügen. Die Tanklaster pendeln ständig zwischen der Raffinerie bei Korinth und Kefalonia, der Heimatinsel von Gerassimos. Dort versorgen er und sein Sohn ein Dutzend Tankstellen mit Sprit. Aber jetzt nicht mehr. Die Tanklaster sind geparkt. Die griechische Regierung will das bisher strikt reglementierte Straßentransportgewerbe deregulieren. Jeder, der einen entsprechenden Führerschein hat, soll auch als Lastwagenfahrer arbeiten dürfen.Dann bekämen Gerassimos und sein Sohn Konkurrenz. Das wollen sie nicht.

Die Tanklastzug-Unternehmer, die seit Montag streiken, sind kein Einzelfall. Rund 70 sogenannte „geschlossene Berufe“ gibt es in Griechenland, von Apothekern über Rechtsanwälte und Notare bis hin zu Ingenieuren, Taxiunternehmern und Architekten. Für all diese Berufsgruppen, die wie Zünfte organisiert sind, hat der Staat genaue Regeln festgelegt. Sie bestimmen, wer eine Tätigkeit ausüben darf und welche Mindesttarife er verlangen muss.

Ein besonders krasses Beispiel sind die Straßen-Gütertransporte. Zum Betrieb eines Lastzuges braucht man in Griechenland eine staatliche Konzession. Davon gibt es rund 33 200. Sie wurden Anfang der 70er Jahre ausgegeben. Seither hat sich die griechische Wirtschaftsleistung zwar verdoppelt, und entsprechend ist auch der Transportbedarf gestiegen. Die Zahl der Konzessionen aber blieb gleich. So schirmt der Staat das Transportgewerbe gegen jeden Wettbewerb ab. Weil die Frachtraten ebenfalls staatlich festgelegt sind, machen sich die Fuhrunternehmer auch untereinander keine Konkurrenz. Das Resultat: Der Straßentransport eines Containers von Athen ins 500 Kilometer entfernte Thessaloniki ist teurer als die Beförderung vom doppelt so weit entfernten Belgrad nach Athen. Die Lkw-Konzessionen gab es seinerzeit gegen eine geringe Gebühr. Inzwischen wird die Konzession eines 40-Tonners für rund 350 000 Euro gehandelt. Besonders begehrt sind Tanklaster. Davon gibt es in Griechenland 1271. Sie versorgen die 8300 Tankstellen mit Treibstoff – oder auch nicht, wie jetzt.

Die EU fordert von Griechenland seit Jahren eine Deregulierung des Transportgewerbes. „Wir haben Wirtschaftsstrukturen wie in der früheren Sowjetunion“, klagte Giannis Stournaras, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts IOBE. Nach Berechnungen seines Instituts würde eine Öffnung der geschlossenen Berufe über die kommenden fünf Jahre ein Wirtschaftswachstum von 16 Prozent generieren. Doch jahrzehntelang schützten die Regierungen die Privilegien dieser Berufsgruppen – aus Furcht vor Konflikten und dem Verlust von Wählerstimmen.

Unter dem Druck der europäischen Nachbarn, die Griechenland mit Hilfskrediten unter die Arme greifen, muss Athen die lange ignorierte Forderung jetzt umsetzen. Aber die Fuhrunternehmer wehren sich. Sie wollen keinen freien Wettbewerb. „Wir werden alles tun, um das zu verhindern“, sagt Gerassimos.

Immer mehr Autotouristen sind der Verzweiflung nahe. Von der Insel Kreta berichtete ein Vermieter, seine Kunden hätten rund 200 Autos mit leergefahrenen Tanks irgendwo auf Landstraßen stehen lassen. Zu Fuß, per Anhalter oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln kehrten die Touristen zu ihren Hotels zurück. Unterdessen gibt es auch erste Versorgungsengpässe im Groß- und Einzelhandel. Die ohnehin von einer tiefen Rezession geplagte griechische Wirtschaft droht in die Knie zu gehen. Seit Monaten wird die Fremdenverkehrswirtschaft von Streiks gelähmt. Mal sind die Häfen dicht, mal die antiken Stätten, dann wieder stehen die öffentlichen Verkehrsmittel still. „Es ist schade“, sagte eine französische Touristin nach 16-stündigem Warten am Athener Flughafen einem Fernsehreporter: „Sie haben ein so schönes, sehenswertes Land – und sie tun alles, damit man es nicht sieht.“ Dann zeigt die Reisende auf die wartenden Urlauber, die in der Abfertigungshalle campieren, und fragt den Reporter: „Glauben Sie, dass die wiederkommen?“ Auch für die auf der Insel Kefalonia gestrandeten Benders ist es wohl die letzte Griechenlandreise: „Ob wir wiederkommen? Eher nicht“, sagt Bernd Benders.

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