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Wirtschaft: Griechische Szenarien

Grexit oder Euro – wohin das verschuldete Land steuert und worauf Anleger vorbereitet sein sollten.

Anleger an den Aktien- und Anleihemärkten sind verunsichert: Wie geht es weiter mit Griechenland? Plant das verschuldete Land den „Grexit“ – also den Ausstieg aus der Eurozone und die Einführung einer neuen, eigenen Währung? Oder lässt sich Griechenland nach der Wahl am 17. Juni sanieren, ohne dass es zum Bruch mit dem Euroraum kommt. Vier Szenarien sind vorstellbar:

EURO-AUSSTIEG UND BEFREIUNG

Der Gewinner der Wahlen will zwar im Euro bleiben, lehnt aber die Sparprogramme ab und weigert sich, die griechischen Schulden zu bedienen. Fast überall hat sich die Meinung durchgesetzt: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Weil ohne Sparwille kein Geld mehr aus EU-Töpfen fließt, muss Griechenland aus der Eurozone ausscheiden, um mit neuen Drachmen handlungsfähig zu bleiben. Die Folge: Erleichterung.

Unternehmen, Banken, Regierungen und Notenbanken haben sich auf einen Austritt vorbereitet und Notfallpläne erarbeitet. Der „Grexit“ kommt kontrolliert. Die Märkte reagieren nach einer Schrecksekunde gelassen. Schnäppchenjäger gehen einkaufen, die Aktienkurse steigen europaweit, außer in Griechenland. Staaten und Investoren hat der Austritt deutlich gemacht, dass das Ignorieren von Verträgen keinen Erfolg hat. Dies verleiht den Anleihen der Eurozone, den EFSF-Papieren, einen Vertrauensbonus.

Gleichzeitig macht die EU deutlich: Griechenland ist nicht Spanien und nicht Italien. Beide Länder würden rigides Sparen einem Euro-Austritt vorziehen. Das Chaos, in das Griechenland zunächst versinkt, hat disziplinierende Wirkung auf andere Länder. Gleichzeitig sind die Rettungsschirme einsatzbereit.

Viele Marktteilnehmer haben mit dem Grexit gerechnet. Auch deutsche Banken haben sich von extremen Risiken bereits getrennt. In Frankreich wird mit Hochdruck an Lösungen gearbeitet, so dass der Grexit am Ende auch dort zu verkraften ist. An den Anleihemärkten wiederum sinken nach einem Austritt Griechenlands die Renditen der Problemkandidaten, während deutsche Renditen kräftig anziehen – bei sinkenden Kursen. Wer in deutschen Staatsanleihen investiert ist, muss mit Verlusten rechnen.

EURO-AUSSTIEG UND KATASTROPHE

In Griechenland gewinnen die Linksextremen, die das Sparprogramm ablehnen. Europas Geldhähne bleiben verschlossen. Griechenland muss die Staatspleite verkünden, die Eurozone verlassen und eine neue Drachme einführen, die niedriger bewertet ist als der Euro. Griechische Banken haben kein Eigenkapital mehr und kollabieren. Staat und Privatwirtschaft sind ohne Zugang zu ausländischem Kapital. In den Tagen vor dem Euro-Austritt zahlen Banken keine Guthaben mehr aus, Unternehmen die Löhne nicht. Das Land schlittert ins Chaos. Importe müssen beschränkt werden, ausländische Waren sind unbezahlbar. Die Eurozone muss Milliarden-Kredite abschreiben, vor allem französische Banken.

In der eng verzahnten Finanzwelt kommt es zu Dominoeffekten: Auch in Spanien und Italien ziehen Menschen Bargeld ab, Europas Bankenwelt insgesamt wackelt. Ein Kontinent rutscht in die Rezession, die auch die USA und Asien nicht unberührt lässt. Menschen aus der Eurozone nutzen die Kaufkraft des Euro, um billig in Hellas zu urlauben und bringen wieder Geld ins Land. Unternehmer dagegen meiden das Land zunächst. Auch aus Spanien und Italien ziehen sich immer mehr Unternehmen zurück, Europas Börsen crashen, vor allem der finanzlastige Euro-Stoxx 50 sackt, wie von der Société Générale prognostiziert, um 30 bis 50 Prozent ab. Panik greift um sich. Das Vertrauen in den Euro und in die Eurozone ist dahin. Spekulanten attackieren nicht nur spanische und italienische Anleihen, sondern auch Kerneuropa, vor allem Frankreich mit seiner schwachen Wirtschaft. Euro-Staatsanleihen werden gegen Anlagen in Dollar, Yen oder Schweizer Franken verkauft. Der Euro fällt unter 1,17 Dollar. Gold kostet mehr als 2000 Dollar je Feinunze. Insgesamt profitieren von der Euroschwäche auch andere Anleger, die schon länger in Dollar investiert sind, denn sie bekommen beim Verkauf und Rücktausch mehr Euro für ihre Dollaranlagen.

ENTSPANNUNG MIT DEM EURO

Mehrere Meinungsumfragen belegen: Andonis Samaras, Chef der konservativen Nea Democratia und Befürworter eines strikten Sparkurses, liegt wieder vorne und bildet nach den Wahlen am 17. Juni eine Regierung. Damit können neue Kredite fließen. Das Land bleibt in der Eurozone, die griechischen Banken werden weiter rekapitalisiert. Die Börsen reagieren erleichtert, aber weiter vorsichtig. Angloamerikanische Spekulanten, die bisher massiv gegen einzelne Länder der Eurozone gepokert haben, registrieren: Europas Selbsthilfe-Mechanismen funktionieren am Ende doch. Das Risiko eines Anti-Euro- Engagements wird ihnen zu hoch. Irland und Portugal bieten ohnehin keine Angriffspunkte, weil sie erst 2013 an die Kapitalmärkte zurückkehren sollen.

Die Eurozone wiederum hat Rettungsschirme konstruiert, die im Notfall eine halbe bis eine Billion Euro stemmen könnten – genug, um Spanien oder Italien bis 2014 komplett oder beide Länder teilweise vom Markt zu nehmen oder massiv Staatsanleihen der beiden Länder zu kaufen. Es wird deutlich, dass die Krise produktiv war – und bisher von den Märkten nicht honorierte Strukturreformen von Athen bis Madrid in Gang gesetzt hat. Wer spanische oder italienische Anleihen gekauft hat, wird mit steigenden Kursen belohnt. All jene, die sich auf deutsche Staatsanleihen gestürzt haben, machen dagegen Verluste oder sind gezwungen, die Bonds trotz Mini-Zinsen bis zur Endfälligkeit zu halten. Versicherungen müssen deshalb unter Umständen ihre garantierte Verzinsung weiter absenken. Vor allem Finanzaktien und der Euro-Stoxx 50 steigen massiv. Asiatische Investoren blicken wieder nach Europa. Der Goldpreis fällt, der Dollar zeigt Schwäche, was allerdings den USA zur Exportförderung nicht ungelegen kommt. Die Zinsniveaus pendeln sich wieder etwas höher ein und normalisieren sich. Die Krise ist vorbei.

EURO-SCHRECKEN OHNE ENDE

Der Linksextreme Alexis Tsipras gewinnt die Wahl und kündigt alle Sparverträge mit EU, EZB und IWF. Doch statt die Zahlungen einzustellen, schnüren die Kreditgeber das Sparpaket auf, fügen Wachstumsprogramme hinzu. Der Grund: Der Eurozone ist der Preis eines Ausstiegs zu hoch. Athen weiß, dass ein Austritt das Land für Jahre zurückwerfen würde, die Eurozone weiß, dass sie auf Forderungen von 300 Milliarden Euro sitzen bleiben kann. Die Gefahr einer „Pleite-Grippe“ könnte die ganze Eurozone und den Euro Geschichte werden lassen. Neue Kredite werden also an Griechenland ausgezahlt, um eine Pleite abzuwenden. Verunsicherte Investoren ziehen sich von den Börsen Europas zurück und legen ihr Geld lieber in den USA und in Asien an. Der Status Quo wird festgezurrt, bis der Markt irgendwann eine endgültige Lösung erzwingt: Lösungspläne oder Grexit. Der Goldpreis steigt, während der Euro gegenüber allen wichtigen Währungen weiter Schwächezeichen zeigt. Rohstoffe ziehen Gelder an. Die deutschen Zinsen, ob in Anleihen, auf Sparbüchern oder Tagesgeldkonten, bleiben im Keller.

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