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Wirtschaft: Grün ist die Sorge

Von Carsten Brönstrup Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Dachten zumindest die Wall-Street-Börsianer vergangene Woche, als die Bilanz-Trickserein beim Telekommunikations-Giganten Worldcom ruchbar wurden.

Von Carsten Brönstrup

Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Dachten zumindest die Wall-Street-Börsianer vergangene Woche, als die Bilanz-Trickserein beim Telekommunikations-Giganten Worldcom ruchbar wurden. Die Aktienmärkte waren in die Tiefe gestürzt, Milliarden Dollar vernichtet, die Anleger entnervt. Doch es kam noch schlimmer. Auch der Kopierer-Hersteller Xerox soll seine Bilanz um sechs Milliarden Dollar geschönt haben, hieß es am Freitag. Das Vertrauen in die US-Wirtschaft ist nun endgültig dahin – so dass es selbst US-Präsident George W. Bush zu bunt wurde. Er sah sich genötigt, die Manager bei der Ehre zu packen. Sie sollten gefälligst „bestimmte moralische Standards einhalten“, mahnte er.

Da dürfte ihm der deutsche Regierungschef Gerhard Schröder beipflichten. Denn die Turbulenzen in den USA entwickeln sich allmählich zum Risiko – nicht nur für die Wall Street und die Frankfurter Börse, auch für den herbeigesehnten Aufschwung in der Realwirtschaft. Die gerade erst beginnende Erholung der Konjunktur könnte durch die Aktienschwäche in den USA einen Dämpfer bekommen, warnen Volkswirte. In Amerika macht das Gespenst des „double dip“ die Runde, zweier Wirtschaftskrisen in unmittelbarer Folge. Darunter würde auch Europa leiden – deutlich bessere Wachstumsraten würde es dann womöglich erst 2003 geben.

Die Hoffnungen der Aufschwungpropheten werden vor allem von den Finanzmärkten strapaziert. Die US-Aktien haben in der ersten Jahreshälfte ihren steilsten Rückgang seit mehr als drei Jahrzehnten verbucht. Und das, obwohl sich bereits zu Beginn des Jahres ein enormes Wachstum abzeichnete. Um stolze 6,1 Prozent legte die amerikanische Wirtschaftsleistung im ersten Quartal nach der Rezession zu, weil die Unternehmen ihre leeren Läger wieder auffüllen mussten. In den kommenden Monaten soll es weiter bergauf gehen, aber nicht mehr so stürmisch. „Das Wachstum dürfte sich bei drei Prozent einpendeln“, sagt Stefan Bielmeier von der Deutschen Bank in Frankfurt (Main).

Trotzdem ignorieren die Börsen die rosigen Aussichten. Ihnen rauben die Skandale in den USA das Vertrauen in die Unternehmen. „Die Märkte blicken nicht wie sonst üblich in die Zukunft, sondern nur in die Vergangenheit. Und die sieht ziemlich düster aus“, sagt Ralph Solveen, Volkswirt bei der Commerzbank. Noch immer zittern die Börsen vor neuen Terroranschlägen. Zudem hatten jüngst namhafte amerikanische Technologiekonzerne Gewinn- oder Umsatzwarnungen herausgegeben. Und noch immer sind die Aktien deutlich höher bewertet als der langfristige Trend – weitere Korrekturen nach unten könnten also noch folgen.

Die Schlappe der Aktienmärkte könnte sich bald auch auf den Konsum der Amerikaner auswirken. Viele haben einen großen Teil ihres Vermögens und ihrer Altersvorsorge in Aktien und Fonds geparkt. Bei sinkenden Kursen fühlen sich die Bürger deshalb ärmer und schränken ihren Konsum ein. Davon zeugen auch die jüngsten, schlechteren Daten bei den Umfragen zum Verbrauchervertrauen. Und mit ihrem Konsum stützen die US-Bürger zwei Drittel der Wirtschaftsleistung ihres Landes.

Die Kursschwäche wirkt sich auch in Europa aus. Die internationalen Investoren verlieren das Vertrauen, ziehen ihr Kapital aus den US-Märkten ab und schichten es auf den alten Kontinent um. Folge: Der Euro klettert seit Wochen mit einem rasanten Tempo. Vergangenen Freitag lag der offizielle Kurs bereits bei 0,9975 Dollar, für kommenden Montag erwarten Experten die psychologisch wichtige Parität. Eine Ende des Aufwärtstrends ist nicht abzusehen.

Den Zentralbankern kann das nur Recht sein. Eingeführte Waren und Rohstoffe wie Öl werden billiger, damit sinkt die Inflationsrate, und die Währungshüter müssen die Leitzinsen nicht anheben. Darauf hatten sie sich schon eingestellt angesichts der allgemeinen Aufschwunghoffnung. Auf ein starkes Wachstum deuten derzeit allerdings noch nicht alle Indikatoren hin. Zwar zogen Produktion und Auftragseingang zuletzt leicht an. Der wichtige Ifo-Geschäftsklima-Index dagegen schwächelte im Juni leicht.

Die Exporteure – Chemiekonzerne, Maschinenbauer, die Autoindustrie – sehen den erstarkten Euro zudem weniger entspannt als die EZB. Ihre Waren werden im Ausland teurer und lassen sich schwerer absetzen. Schlägt sich das erst in den Auftragsbüchern der Unternehmen nieder, könnten sie sogar ihre Investitionsbudgets zusammenstreichen – dann würde es für den Aufschwung richtig gefährlich. Denn der wird vor allem vom Export getragen, weil die Binnennachfrage noch immer unter dem Käuferstreik der Bundesbürger leidet.

So weit ist es zwar noch nicht. Derzeit hoffen die Ökonomen auf ein anziehendes Wachstum in der zweiten Jahreshälfte, getragen im Wesentlichen von der Auslandsnachfrage. „Aber ab einer Marke von 1,10 Dollar für einen Euro wird es bedenklich für den Aufschwung“, warnt Joachim Scheide, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Die Handelsbranche sieht diese Marke sogar schon bei 1,07 Dollar. Unerwartet trifft die Wirtschaft auch das Tempo der Aufwertung. „Viele Firmen können sich am Finanzmarkt nicht rechtzeitig absichern gegen den Kursanstieg“, befürchtet Commerzbank-Fachmann Solveen.

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