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Von mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt sprechen

© dpa

Große Koalition: Gute Laune bei den Gewerkschaften

Arbeitnehmervertreter begrüßen den Koalitionsvertrag, Arbeitgeberverbände befürchten dagegen „Bremsspuren“ auf dem Arbeitsmarkt.

Das Bemühen um Konzilianz blieb die Ausnahme, in der Mehrheit schimpften die Wirtschaftsverbände am Mittwoch in ersten Bewertungen des Koalitionsvertrages über „Stillstand statt Aufbruch“ (Industrie), einen „riesigen dunklen Schatten“ (Handwerk) oder die „Rolle rückwärts“ (Familienunternehmen). Der neue Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer äußerte immerhin Verständnis für die Kompromisse, die das schwarz-rote Regierungsprogramm kennzeichneten. Jedoch werde der zum 1. Januar 2015 vorgesehene gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro „Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt“ hinterlassen, meinte Kramer und verwies auf Jugendliche ohne Schulabschluss, Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte, die es künftig schwerer hätten, einen Arbeitsplatz zu finden.

Der Arbeitgeberpräsident begrüßte aber die Übergangsfrist für geltende Tarifverträge: Derzeit gibt es mehr als 40 Verträge für diverse Wirtschaftsbereiche, die einen Mindestlohn von weniger als 8,50 Euro festschreiben. Solche Verträge dürfen maximal bis Ende 2016 angewendet werden, ab Januar 2017 „gilt das Mindestlohnniveau uneingeschränkt“, heißt es im Koalitionsvertrag. Das wollen die Arbeitgeber verhindern. „Bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Mindestlohns wird es darauf ankommen, mehr Differenzierungen und Abweichungen vom Mindestlohn zu ermöglichen.“

Die Weiterentwicklung des Mindestlohns durch eine Kommission entspricht im Wesentlichen den Vorstellungen der Arbeitgeber: Die sechs Kommissionsmitglieder werden je zur Hälfte von Arbeitgebern und Gewerkschaften nominiert, im Vorsitz wechseln sie sich ab. Zwei Wissenschaftler gehören ebenfalls der Kommission an, aber ohne Stimmrecht. Darauf hatten die Arbeitgeber Wert gelegt. Erstmals zum 10. Juni 2017 mit Wirkung zum 1. Januar 2018 überprüft die Kommission die Höhe des Mindestlohns, der dann über eine Rechtsverordnung eingeführt wird. Frühestens 2018 wird es also eine Erhöhung des Mindestlohns geben.

Für Verdi und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist das ein „Wermutstropfen“. Doch alles in allem „stimmt die Richtung“, meinte die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger. Mit 8,50 Euro Stundenlohn ab 2015 würden die Einkommen „von knapp einer Million geringfügig Beschäftigten oder zwei Drittel aller Beschäftigten im Gastgewerbe spürbar verbessert“, freute sich Rosenberger. Überhaupt fielen die Reaktionen der wichtigsten Arbeitnehmervertreter freundlich aus. Die IG Bauen-Agrar-Umwelt begrüßte vor allem, dass Arbeitnehmer nach 45 Beitragsjahren künftig bereits mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Die neue Regelung „nimmt vielen Bauleuten die Sorge vor dem sozialen Abstieg im Alter“, sagte IG-BAU-Chef Robert Feiger. Michael Vassiliadis von der IG BCE, sprach von einer „ganzen Reihe von Vorhaben, die unserem Land guttun“, und stellte dabei neben dem Mindestlohn auch die geplanten Maßnahmen gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen heraus. Einen Ausbau der Mitbestimmung sehe der Koalitionsvertrag bedauerlicherweise nicht vor.

Tatsächlich wird die Leiharbeit eingeschränkt. Künftig ist die Einsatzzeit des Leiharbeitnehmers auf 18 Monate beschränkt – sofern es nicht andere tarifliche oder betriebliche Regelungen gibt. Dieser Punkt war Arbeitgeberpräsident Kramer wichtig: Die Begrenzung bei 18 Monaten sei „vertretbar, weil längere Einsatzzeiträume durch Betriebsvereinbarungen vereinbart werden können“. Dass Leiharbeiter „künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgeltes mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, stört die Arbeitgeber auch nicht. In vielen Bereichen seien mit Hilfe von Branchenzuschlägen „die Zeitarbeitnehmer bereits weitgehend mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt“. Zwar sei die Möglichkeit zu befristeten Arbeitsverträgen „erfreulicherweise“ nicht eingeschränkt worden, doch trotzdem gebe es eine „rückwärtsgewandte Einschränkung der Flexibilität des Arbeitsmarktes“, sagte Kramer.

Deutlich zufriedener zeigte sich DGB- Chef Michael Sommer, vor allem auch mit der eigenen Lobbytätigkeit in den vergangenen Wochen. „Wir sehen an einigen Stellen im Koalitionsvertrag die Früchte unserer Arbeit.“ Verdi-Chef Frank Bsirske zufolge werden durch Mindestlohn und die erleichterte Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen „die Löhne und Arbeitsbedingungen von Millionen von Menschen verbessert“. Der frühzeitige Rentenbezug nach 45 Beitragsjahren bedeute für viele Arbeitnehmer „faktisch den Verzicht auf die Rente mit 67“. Ähnlich wie Sommer äußerte sich Bsirske aber enttäuscht darüber, dass der Koalitionsvertrag dem Investitionsbedarf bei Bildung, Gesundheit, Pflege und Energiewende, Verkehr und Infrastruktur nicht gerecht werde.

Die von der neuen Koalition vorgesehene gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip, mit dem kleineren Gewerkschaften Grenzen gesetzt werden sollen, wurde von BDA-Chef Kramer begrüßt. Doch das Thema ist kompliziert und wird Ärger bringen: Der Marburger Bund und der Beamtenbund kündigten bereits Verfassungsklage an, weil die Koalitionsfreiheit eingeschränkt werde.

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