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Wirtschaft: Hanni Wendlandt

Geb. 1913

Sie sang die hohen Töne der Marika Rökk. Doch es fehlte ihr an Volumen. Als der Tod kam, war nichts vorbereitet. Es hatte den Anschein, als gäbe es kein Testament und keine Erben. Von Amts wegen wurde die Wohnung leergeräumt und ein Armenbegräbnis verfügt. Doch ein aufmerksamer Nachbar zog mit spitzen Fingern einen Brief aus dem überfüllten Postkasten, schickte eine Anfrage an den Absender, und bald meldete sich eine empörte Cousine. Derer gibt es sogar zwei. Dazu noch einen Cousin. Der Nachlassverwalter hatte offenbar zugunsten der Landeskasse geschludert, denn die Verstorbene besaß ein großes Grundstück samt Datsche in Fichtenwalde, einen Bechstein-Flügel und wer weiß was noch. So endete das lange, bescheiden-beschauliche Leben der Sopranistin Hanni Wendlandt mit einem kleinen Skandal.

Sie hatte nie Angst vor dem Altwerden. Das fällt mir jetzt erst auf. Sie war der Typ der absolut autarken Frau. Kein Mann, keine Familie. Ich fand sie total gut.

Im Jahr 1941 geschah in Deutschland dies: Marika Rökk tanzt und singt elfengleich im Reigen ihrer befrackten Verehrer. Auf einer mattgrünen Wiese. Es war der erste „Farben-Großfilm“ der Ufa. Zentraler Baustein der Handlung von „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ ist eine Spielbankaffäre im ausgehenden Biedermeier. Marika Rökk verzaubert trällernd die moralisch entrüstete Männerwelt. Doch sie verzaubert nicht immer selbst. Die hohen, porzellanzarten Töne perlen aus dem Mund von Hanni Wendlandt. Sie ist fortan die Film-Sopranstimme der Marika Rökk. Die Rökk war damals schon ein Star. Die Wendlandt wurde nie einer. Auch wegen der Skandale, die es zu ihren Lebzeiten nicht gab. Aber allem Anschein nach wurde sie ein glücklicher Mensch. Das Singen überstrahlte alle dunklen Flecken ihres Lebens.

Sie war ja immer vornehm, sogar mit Handkuss, aber kein Snob. Aus ihrem Leben hat sie nie erzählt. Wir haben immer gerätselt, wie alt sie eigentlich ist.

Ihr Vater war Erster Geiger in der Komischen Oper. Mit acht Jahren durfte sie zum ersten Mal zuschauen bei „Hänsel und Gretel“. Sie verliebte sich in die Bühne, die Musik, in den Gesang. Verliebte sich unsterblich. Für Männer war da wenig Platz. Einer wollte sie heiraten, stellte sich in der Antragsszene aber recht dumm an: Wenn ich dich lieben soll, Hanni, musst du mit dem Singen aufhören! Das war’s dann. Hanni ließ sich nicht erpressen und feilte weiter an ihrem Talent. Ihre Stimme kletterte immer höher, machte Purzelbäume, drehte Pirouetten, aber es fehlte ihr an Volumen, an Tragweite. Für die Oper reichte es nicht, befanden die Opern-Oberen. Also sang sie in einem Kammerensemble, im Rundfunk und auf vielen kleinen Bühnen. Der Auftritt war ihr wichtiger als das Prestige, das er einbrachte oder versagte.

Sie war immer perfekt angezogen und geschminkt. Zum Zeitungshändler oder in den Supermarkt ging sie, als würde sie sich auf einer Bühne bewegen. Es war alles theatralisch an ihr.

Die Gagen reichten nicht, also wurde Hanni Wendlandt Versicherungsvertreterin bei der Allianz. Sie machte ihre Arbeit mit so viel Hingabe, dass niemand auf die Idee kam, sie könnte nur eine Rolle spielen. Die meisten Kollegen erfuhren nie, dass sie Sängerin war.

Nie hätte sie sich gestattet zu schimpfen auf das mühevolle Versicherungsgewerbe, zu jammern wegen der knauserigen Kundschaft. Man fällt nicht aus der Rolle, nur weil die Grundstimmung mies ist. Viel effektiver ist, sich die schlechte Laune einfach zu verbieten. Hanni Wendland konnte sehr resolut sein, gegen andere, aber vor allem gegen sich.

Während des Krieges sang sie im Radio. Schubert, Schumann, viele Operettenlieder. Alles, was das Morden und Brennen vergessen machte. Hanni Wendlandt lebte in der Unschuld der Musik. Sie ahmte Vogelstimmen nach, um sich in den hellen Klangfarben zu üben. Sie trat als Solistin in Weihnachtskonzerten auf, bei Benefiz-Galas oder in Liederabenden, tingelnd durch die ganze Republik. Sie fuhr allein im Auto, übernachtete allein in fremden Städten. Sie sang im Theater, zuletzt als schwebende Statue in einem modernen Stück, dessen Handlung und Titel ihr bald entfielen. Sie hielt die Töne 15 Sekunden lang, angeschnallt auf einem kleinen Podest. Da war sie schon 79 Jahre alt, aber das wusste ja niemand. Der Trick beim Tonhalten ist, mit dem Zwerchfell den Atemdruck zu regulieren. Eine Könnerin wie Hanni verfügte über feinste Techniken der Luftspeicherung, aber ihr Spezialwissen verriet sie nur Menschen, die nichts damit anfangen konnten. Künstler sind Haie, da war sie auf der Hut.

Bis zuletzt trat sie im Offenen Kanal auf. „Bei Pfeiffers ist Ball“ heißt die Sendung. Wer glaubt, singen zu können, kann es dort ausprobieren. Hanni verkaufte sich unter Wert, aber das war ihr egal. Hauptsache, auf der Bühne stehen. Sie schnürte sich in Paillettenkleider, warf Stolas um ihren Schwanenhals, setzte Diademe auf den Kopf, tuschte die Wimpern und verzichtete auf Gage.

Zweimal wurde sie überfallen, einmal sogar schwer verletzt. Sie wechselte die Wohnung, zog in einen anderen Bezirk. Sie wollte den Tätern gerne übermitteln, dass sie ihnen verziehen habe, aber wie? Die Angst grub sich in ihr Herz. Das Telefon nahm sie nicht mehr ab. Wenn Handwerker kamen, stand sie dicht hinter ihnen, um aufzupassen. Sie ließ sich nichts anmerken, blieb freundlich und zuvorkommend. Aber auch stets reserviert.

Als ein Virus in ihren Nervenbahnen Unruhe stiftete und eine Gesichtspartie lähmte, war es aus mit dem Singen. Hanni Wendlandt wusste, dass es Zeit wurde, die Karriere zu beenden.

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