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Harald Christ: Der Seitenwechsler

Harald Christ war Bankchef und ist Multimillionär. Jetzt will der Sozialdemokrat ein politisches Amt.

Berlin - Der Weg in die Politik kann hart sein. Für Harald Christ führt er über das Hinterzimmer eines Studentencafés in Berlin-Mitte. Der Multimillionär sitzt mit hochgekrempelten Hemdsärmeln im kleinen, stickigen Raum. Um ihn herum drängen sich rund 40 Jungsozis, eine Untergruppe der Berliner Jusos. „So voll war es noch nie“, sagt einer. Christ ist gekommen, um über die Finanzkrise zu sprechen. Da kennt er sich aus. Bis vor kurzem war er Bankchef.

Im Sommer kündigte Christ seinen Posten bei der Berliner Weberbank. Die Muttergesellschaft WestLB hatte ihm den Weg ganz nach oben, in den Vorstand der Landesbank, versperrt. Jetzt hat der Selfmade-Banker seine wirtschaftliche Karriere für abgeschlossen erklärt und mischt sich in die Politik ein.

Christ ist Sozialdemokrat. In Zeitungskommentaren und auf Parteiveranstaltungen geißelt er die Renditegier der Banker und kritisiert das Konjunkturprogramm der Bundesregierung als zu klein („Ein Treppenwitz“). Im Oktober sprang er beim Mitgliederforum der Berliner SPD sogar für Finanzminister Peer Steinbrück ein. An seinen Vorredner, Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin, sei der 36-jährige Christ nicht ganz rangekommen, sagen die, die dabei waren. Der Applaus der Genossen war ihm dennoch sicher. Und genau den braucht er. Christ muss an die Basis. Dort ist er vielen noch unbekannt. Andere haben Zweifel, ob ein Banker jetzt das Richtige für die SPD ist. Die muss er überzeugen. Deshalb sitzt er jetzt im Studentencafé.

Gegenüber seinen Zweiflern kann Christ auf seine 20-jährige SPD-Mitgliedschaft verweisen. „Ich bin mit 16 Jahren gestartet, eigentlich um Politik zu machen“, sagt er. Dann sei die Karriere in der Wirtschaft gekommen. „Jetzt hab ich die Zeit, die Erfahrung und den Willen, mich stärker einzubringen.“

Christs Herkunft könnte sozialdemokratischer nicht sein. Er wächst im 3000- Einwohner-Dorf Gimbsheim bei Worms auf. Der Vater steht bei Opel am Fließband, die Mutter ist Hausfrau. „Mein Elternhaus war unpolitisch“, sagt Christ. „Ich bin sehr früh mit der Realität konfrontiert worden, dass es keine Chancengleichheit gibt. Mein Werdegang schien mit meiner Geburt vorgezeichnet.“ Für Abitur oder gar Studium ist kein Geld da. Was da normalerweise bleibt, ist eine Handwerkslehre. „Ich wollte das so nicht hinnehmen“, sagt Christ. Er schreibt 70 Bewerbungen. Eine davon auch an die Deutsche Bank. Wie bei den meisten Bewerbungen bekommt er auch hier eine Absage: Christs familiärer Hintergrund passe nicht zur Klientel, heißt es.

Also beginnt er eine Lehre zum Industriekaufmann bei den Stadtwerken Worms. Nebenbei pflegt er sein Verkaufstalent im Vertrieb der Bausparkasse BHW. Mit 19 wechselt er ganz dorthin, mit 25 wird Christ zum jüngsten Vertriebsdirektor Deutschlands. Zwei Jahre später wirbt ihn die Deutsche Bank ab, bei der er Jahre zuvor noch abgeblitzt war. Jetzt steigt er nicht als Azubi ein, sondern als Direktor im Private Banking. Nach drei Jahren wechselt er nach Hamburg, in den Vorstand des Fondsanbieters HCI. Statt eines hohen Gehalts handelt er eine Beteiligung aus. Das macht ihn zum reichen Mann. Als HCI im Herbst 2005 an die Börse geht, nimmt Christ rund 40 Millionen Euro ein. Seine restlichen Anteile verkauft er zwei Jahre später für weitere 40 Millionen Euro.

Ein Erfolgsgeheimnis des Aufsteigers Christ ist das fast beispiellose Netzwerk, das er sich in den vergangenen 20 Jahren aufgebaut hat. Kaum sonst jemand kann wohl von sich behaupten, sowohl Andrea Nahles als auch Josef Ackermann zu seinen Kontakten zu zählen. Mit dem Chef der Deutschen Bank rede er „eher über Bank- und Wirtschaftsthemen als über Politik“, sagt Christ. Seine guten Beziehungen reichen bis tief ins gegnerische politische Lager: Den CDU-Finanzexperten Friedrich Merz schätzt er ebenso wie den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth.

In der SPD ist Christs Rat gefragt. Finanzminister Steinbrück holte ihn in die „Projetktguppe Finanzmärkte“ des Parteivorstandes, die Lehren aus der Krise erarbeiten soll. Auch der Berliner Landes- und Fraktionschef Michael Müller schätzt Christ als erfahrenen Berater in Wirtschaftsfragen. Der vorläufige Höhepunkt der Polit-Offensive ist für März geplant. Dann will er ein Buch veröffentlichen, dass er über die SPD geschrieben hat. „Das wird den Finger in viele Wunden legen“, verspricht er.

Doch unumstritten ist Christ nicht. Leute wie ihn gebe es in der Partei zu wenig, sagen die einen. Leute mit unternehmerischem Sachverstand, die sich selbst vermarkten können. Denn das ist Christ: Ein begnadeter Verkäufer. Anderen ist genau das zu viel. Er sei sich nicht sicher, ob wirklich politische Leidenschaft hinter Christs Offensive stecke, sagt ein Hamburger Sozialdemokrat. Vielleicht sei es auch nur der Versuch, Glanz auf sich zu ziehen. In seiner Hamburger Zeit hatte Christ schon einmal versucht, in die Politik zu kommen. Bis 2007 war er Schatzmeister des SPD-Landesverbandes. Sogar als Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl war er im Gespräch. Es wurde schließlich Michael Naumann – und Christ blieb in der Finanzwelt.

Diese Welt ist Lichtjahre von Studentencafés und SPD-Ortsvereinen entfernt. Und obwohl Christ nicht mehr als Banker arbeitet, steckt er immer noch drin in dieser Welt. Mit seiner Firma Christ Capital ist er an rund einem Dutzend Firmen beteiligt – von der Reederei „Krämer und Christ“ über Banken bis zu einer Softwarefirma. Geschäftspartner empfängt Christ gerne im Berlin Capital Club, einem Business-Treffpunkt mit handverlesenen Mitgliedern. Wer sich hier, im siebten Stock, in die dicken Ledersessel fallen lässt, kann mit Blick über den Gendarmenmarkt über Geschäfte reden.

Es ist ein Vormittag im Oktober. Der 1,90-Meter-Mann Christ geht die mosaikgeflieste Lobby des Clubs entlang – bei ihm drei Afrikaner in dunklen Anzügen. Christ verabschiedet die Herren in rheinhessisch gefärbtem Englisch. Wer das gewesen sei? „Der Premierminister von Äquatorialguinea und der Botschafter Ruandas“, sagt Christ. Es ging um Geschäfte. Christ ist an der African Development Corporation beteiligt, die unter strengen sozialen Auflagen in afrikanische Firmen investiert. „Man kann sehr wohl Geld verdienen und gleichzeitig etwas für diese Länder tun“, sagt der Afrika-Fan. Rund 50 Tage im Jahr verbringt er in seinem Haus in Kapstadt.

Christs Lebensmittelpunkt aber ist Berlin. Schon zu Hamburger Zeiten hatte er hier einen Wohnsitz. Und hier will er gerne bleiben. Welche Rolle in der Politik auf ihn zukommen könnte, lässt Christ noch offen. Ein Versuch, sich in Treptow-Köpenick um ein Direktmandat für die Bundestagswahl im kommenden Jahr zu bewerben, ist gescheitert. Dort balgen sich bereits drei SPD-Bewerber um die Kandidatur – unter anderem der von SPD-Chef Franz Müntefering protegierte Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel. Ob Christ für einen politischen Posten in Berlin infrage kommt, ist umstritten. Sollte Finanzsenator Thilo Sarrazin im Sommer 2009 tatsächlich zur Bundesbank wechseln, wie es immer wieder diskutiert wird, würde immerhin ein Platz im Senat frei. Und Christs Kontakt zum Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit gilt als sehr gut.

Doch das alles ist noch weit weg. Zunächst muss Christ weiter durch die Partei tingeln. In der Bankenbranche fehlten vielerorts Anstand und Moral, ruft er den Jusos im Studentencafé zu. Er sei zwar „keiner, der linke Phrasen drischt“, aber „sozialistisch angehaucht“ sei er schon, versichert Christ. Für den politischen Gegner hat er einen Seitenhieb parat: „Ich vermisse den Westerwelle“, sagt Christ und lächelt. „Lebt der noch? Ich vermute, die Liberalen haben sich in ihrer Zentrale eingeschlossen und schreiben an einem neuen Programm.“ Schallendes Gelächter. Wie im Bundestag.

Stefan Kaiser

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