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Wirtschaft: Heimlich stark

Der Standort Berlin: Eine Serie des Tagesspiegels zeigt die erfolgreichen Seiten der Hauptstadt. Folge 1: Wo Berlin am schnellsten wächst

Berlin ist Politik- und Kulturmetropole, aber ökonomische Provinz. Doch in manchen Branchen wächst Berlin dynamischer als München, Hamburg oder Frankfurt am Main. Unsere Serie zeigt, wo der Standort Hauptstadt funktioniert. Wir präsentieren Unternehmen, die Berlins Chancen nutzen, und sagen, wo der Standort noch besser werden muss.

Berlins Wirtschaftsleistung schrumpft seit zwei Jahren, nur die Zahl der Arbeitslosen scheint ewig zu wachsen. Die Stadt hat Schulden angehäuft, die sie ohne fremde Hilfe nie zurückzahlen kann, und ist nicht in der Lage, einen vernünftigen Flughafen zu bauen. Und wer Berliner Unternehmer nach den entscheidenden Schwächen des Standorts fragt, hört oft die fantasielose Antwort: Der Bund hätte die Berlin-Subventionen nicht so schnell einstellen dürfen. So klingt der Berlin-Blues. Dabei übersieht man, dass die Hauptstadt in den vergangenen fünf Jahren in einigen Bereichen ein erstaunliches Wachstum hingelegt hat. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Boombranchen der Stadt untersucht. Die Analyse zeigt, wie eine erfolgreiche Zukunft des Standorts aussehen könnte.

Die gute Nachricht für Berlin: In Deutschlands Großstädten sind in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viele neue Jobs entstanden. Wie aus der DIW-Untersuchung hervorgeht, expandierte die Beschäftigung in den Metropolen zwischen 1998 und 2002 deutlich stärker als im Landesdurchschnitt, der bei 1,3 Prozent lag. Die dynamischsten Städte München, Köln und Frankfurt am Main erreichten zwischen acht und zehn Prozent Wachstum. Ein neuer Trend, denn seit Ende der 60er Jahre waren die Städte ökonomisch zurückgefallen.

Die schlechte Nachricht für Berlin: Am Beschäftigungs-Boom der Großstädte nahm die Hauptstadt nicht teil. Hier sank die Zahl der Jobs zwischen 1998 und 2002 sogar um 2,5 Prozent. Das liegt nicht nur am Schwund von Industriearbeitsplätzen in der Hauptstadt, denn darunter litten auch andere Metropolen. Doch dort erreichten überregionale Dienstleistungen Stellenzuwächse von bis zu 20 Prozent: Finanzdienste, Unternehmens- und Rechtsberatung, Medien, Versicherungen glichen Arbeitsplatzverluste in Industrie und Handwerk aus.

Schaut man genauer hin, finden sich aber auch im miesen Berliner Zeugnis ein paar gute Noten, die Hoffnung machen. In den überregionalen Dienstleistungen Werbung (plus 94,4 Prozent), Wirtschaftsorganisationen (plus 42,0 Prozent) sowie Film und Fernsehen (plus 41,6 Prozent) hat Berlin in den vergangenen Jahren mehr Beschäftigungszuwachs verzeichnet als alle anderen deutschen Großstädte. Dynamischer als der Durchschnitt entwickelte sich das Wachstum auch bei den überregionalen Dienstleistungen IT-Beratung, Tourismus und Verlagswesen.

„Unsere Untersuchung zeigt, dass Berlin vor allem in Branchen stark gewachsen ist, die unter der Konjunkturkrise besonders gelitten haben“, sagt Kurt Geppert, einer der Autoren der DIW-Studie. Daher sei von Aufbruchstimmung in den vergangenen Monaten auch nichts zu spüren gewesen. Der aktuelle Wirtschaftsbericht des Senats, am vergangenen Freitag veröffentlicht, zeigte: Berlins Wirtschaft ist im ersten Halbjahr 2003 geschrumpft. Allerdings sieht der Senat jetzt erste Anzeichen für eine Erholung. „Unsere Hypothese ist, dass Berlin in diesen Branchen strukturell gut aufgestellt ist und weiterhin hohes Entwicklungspotenzial besitzt“, sagt Geppert.

Davon ist auch Klaus Keil überzeugt, Geschäftsführer der Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH, die die wachstumsstarke Filmbranche in der Region weiter voranbringen soll. Mehr als 10000 Beschäftigte erwirtschaften hier einen Jahresumsatz von rund 800 Millionen Euro. „Berlin bietet nicht nur ein erstaunliches kreatives Potenzial“, sagt Keil. „Es hat auch eine klare Professionalisierung gegeben. Sonst hätten wir eine 100-Millionen-Dollar-Produktion wie ’In 80 Tagen um die Welt’ nicht nach Berlin holen können.“

Nur fehlt zurzeit oft das Geld, geplante Produktionen umzusetzen. So wurde die Filmboard allein im ersten Halbjahr um 50 Millionen Euro Fördergelder ersucht – bei einem Filmboard-Jahresetat von 15 Millionen Euro. „Im Schnitt führen unsere Fördergelder zu einem Wirtschaftseffekt von 300 Prozent“, sagt Keil. „Könnten wir 50 Millionen Euro einsetzen, könnte das zu Umsätzen von 150 Millionen Euro in Berlin und Brandenburg führen.“

„Berlin gilt als kreative und dynamische Stadt, und dieses Image hat reale Auswirkungen auf den Standort für die Werbebranche“, sagt Katja Kühnel, die die besonders wachstumsstarke Branche bei der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) betreut. Zwischen 1998 und 2001 verdoppelte sich hier die Zahl der Beschäftigten fast, wuchs von 3849 auf 7185. Für die Branche stimmt das Umfeld in Berlin: Filmemacher, Musiker oder die Clubszene sorgen für neue Ideen und locken Nachwuchs in die Stadt, der von den konkurrenzlos günstigen Lebenshaltungskosten profitiert. So ist Berlin in der Werbewirtschaft Dienstleistungsexporteur geworden: „70 Prozent der Aufträge kommen von außerhalb Berlins“, schätzt Kühnel. Das spricht für die Kreativität der Berliner Firmen – und für das geringe Auftragsvolumen, das Berlin selbst generiert.

DIW-Forscher Geppert geht davon aus, dass Berlins Zukunft in der Vernetzung verwandter Wirtschaftsbereiche liegt. Im Bereich Werbung, Medien und Teilen der Computerbranche etwa entwickele sich ein „integrierter Produktionscluster“. Die dynamische Entwicklung werde durch den hohen Stellenwert Berlins als Wissenschafts- und Kulturmetropole gefördert. Geppert sieht Berlins Entwicklungschancen vor allem bei überregionalen Dienstleistungen, die noch nicht so stark räumlich gebunden sind. Berlin wird der Bankenmetropole Frankfurt dagegen nicht den Rang ablaufen.

Der Standort Berlin hat eine Zukunft, wenn die wachstumsstarken Branchen auf angrenzende Bereiche ausstrahlen und Unternehmen für neue überregionale Dienstleistungen Exportmärkte erschließen. Und wenn Berlins Unternehmer aufhören, den goldenen Subventionszeiten nachzutrauern.

Standort Berlin – wo die Hauptstadt erfolgreich ist. In den kommenden Wochen stellt der Tagesspiegel Firmen und Organisationen vor, die in den Wachstumsbranchen Berlins aktiv sind. Folge 2: Musikhauptstadt Berlin.

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