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Düstere Aussichten. Dem Handwerk fehlen zunehmend Fachkräfte. Derzeit sind mehr als 100 000 offene Stellen gemeldet.

© dpa/dpaweb

Kampagne für Arbeitsplätze: Hilfe statt Hartz

Die Bundesagentur für Arbeit will mit einer Kampagne Arbeitsplätze für Hartz-IV-Empfänger akquirieren.

Berlin - Maria Dörfling hat es geschafft: Jahrelang arbeitete die gelernte Rinderzüchterin in Hilfsjobs, als Erntehelferin, im Außendienst oder als Kinderbetreuerin im Museum. In ihrem Ausbildungsberuf fand sie nach der Wende keine Anstellung mehr. Vier Jahre lang bekam Dörfling Hartz IV, bis die heute 58-Jährige mit Hilfe ihres Jobcenters umschulte zur Pflegeassistentin. Heute betreut sie Koma-Patienten bei einem Intensiv-Pflegedienst in Tangermünde – und hat einen unbefristeten Vertrag. „Ich fühle mich endlich wieder gebraucht“, sagt Dörfling. Und auch ihr Chef ist zufrieden. „Frau Dörfling hat unsere Erwartungen mehr als erfüllt“, sagt Jens Poppe, Leiter des Pflegedienstes Vita Amare.

Die Bundesagentur für Arbeit will nun mit einer neuen Kampagne für mehr solcher Erfolgsgeschichten sorgen. Das 1,4 Millionen Euro teure Projekt unter dem Motto „Ich bin gut“, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, soll Unternehmen motivieren, mehr Hartz-IV-Empfänger wie Dörfling einzustellen. Neben Werbung in Zeitungen und im Internet sollen die Jobcenter auch gezielt Unternehmen ansprechen.

Es gebe in der Grundsicherung viele motivierte und engagierte Fachkräfte, die im Aufschwung dringend gebraucht würden, sagt Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. „Die Unternehmen müssen diesen Menschen eine Chance geben.“ Es gebe immer noch zu viele Vorbehalte auf Seiten der Firmen, Ältere, Alleinerziehende oder auch Menschen mit Behinderungen einzustellen. „Wir machen diese Kampagne,weil wir glauben, dass die Gesellschaft mithelfen muss“, sagt Alt.

Mittlerweile müssten Firmen in Deutschland wegen fehlender Fachkräfte sogar Aufträge ablehnen. „Diesen Wohlstandsverzicht können wir uns nicht leisten“, sagt Alt. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young beziffert den entgangenen Umsatz durch die Nichtbesetzung offener Stellen auf rund 33 Milliarden Euro pro Jahr.

Im September sank die Zahl der arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger in Deutschland erstmals seit der Einführung unter zwei Millionen. 600 000 davon hält die Bundesagentur für „kurzfristig vermittelbar“. Insgesamt 800 000 der zwei Millionen arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger haben eine schulische, betriebliche oder akademische Ausbildung. Dem stehen in Deutschland eine Million gemeldete offene Stellen gegenüber. „Besonders in der Pflege, im Handwerk, in der Gastronomie und im Dienstleistungsbereich fehlen Fachkräfte“, sagt Alt. Insgesamt sind dort 385 000 Stellen unbesetzt. Andererseits sind 690 000 arbeitslose Hartz-IV-Empfänger gemeldet, die eine Ausbildung in diesen Bereichen haben.

Solche Rechenbeispiele lassen zwar hoffen. Doch die Zahl derer, die von Hartz IV abhängig sind, ist weit höher, als die Statistik ausweist. Denn sie zählt nicht diejenigen, die in Weiterbildungsmaßnahmen stecken, die aufstocken müssen oder Ein-Euro-Jobs machen. Insgesamt beziehen derzeit in Deutschland der Bundesagentur für Arbeit zufolge 6,3 Millionen Menschen Hartz IV – darunter 1,7 Millionen Kinder.

Zudem kehren viele, die den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt schaffen, wieder zurück in die Arbeitslosigkeit. Pro Jahr werden rund eine Million Hartz-IV-Empfänger in Jobs vermittelt, rund 500 000 werden innerhalb eines Jahres wieder arbeitslos. „Es gibt zu wenig Geduld auf beiden Seiten“, sagt Alt.

Dass die Rechnung nicht so leicht aufgeht, bestätigt auch das „Mittelstandsbarometer“ von Ernst & Young. Rund 3000 Unternehmer wurden nach den Ursachen des Fachkräftemangels befragt. 85 Prozent der Betriebe klagten darüber, dass die Profile der Bewerber nicht mit den Anforderungen der Unternehmen zusammenpassen, fast genauso viele kritisierten die schlechte Ausbildung vieler Fachkräfte. Ein bisschen Selbstkritik gibt es auch: So nannten 65 Prozent der Betriebe auch eine mangelnde Bereitschaft, ältere Fachkräfte zu beschäftigen, immerhin 45 Prozent gaben als Grund eine mangelnde Toleranz der Firmen gegenüber fremden Kulturen und Religionen an.

Das Elektrotechnikunternehmen Phoenix Contact hat gute Erfahrungen mit der Eingliederung gemacht. „In den ersten sechs Monaten ist viel Verständnis nötig“, sagt Geschäftsführer Gunther Olesch. „Doch die Mitarbeiter danken es einem mit hoher Motivation.“

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