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Wirtschaft: „Höhere Rentenbeiträge kosten 200000 Jobs“

Experten warnen vor Erhöhung der Abgaben / Bundesregierung muss ein Loch von acht Milliarden Euro stopfen

Berlin (ce/brö/dr). Die von der SPD in die Diskussion gebrachte Erhöhung der Rentenbeiträge ist am Freitag bei Arbeitgebern und Wirtschaftsexperten auf Widerstand gestoßen. Ökonomen warnten zudem vor dem Verlust von bis zu 200000 Arbeitsplätzen. Derweil prüft die rotgrüne Bundesregierung vor ihrem Rentengipfel am Wochenende, wie sie das Finanzloch in der Sozialkasse von rund acht Milliarden Euro in diesem Jahr schließen will.

Mit einem Defizit in dieser Größenordnung rechnen die Experten des Schätzerkreises für die Rentenversicherung. Rechnerisch müsste der Beitrag damit von 19,5 auf 20,3 Prozent steigen. Hinzu kommen weitere zwei Milliarden Euro, die Sozialministerin Ulla Schmidt nach dem Willen von Finanzminister Hans Eichel (beide SPD) als Sparbeitrag für den Etat 2004 bei der Rente einsparen soll. Eine Kürzung des Bundeszuschusses in dieser Höhe hatte der Bundestag am Freitag beschlossen. Grund für die Finanzkrise sind das seit Jahren schwache Wirtschaftswachstum und der Abbau von Jobs.

„Eine Erhöhung der Beiträge würde allen Reformbestrebungen zuwider laufen und wäre für die Stimmung fatal“, sagte Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dem Tagesspiegel. „Das würde mehr als 100000 Arbeitsplätze vernichten.“ Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält sogar einen Abbau von bis zu 200000 Jobs für möglich. „Höhere Beiträge würden die anziehende Konjunktur wieder abbremsen“, sagte er. Das findet auch Hartmann Kleiner, Vorstandschef der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). „Aus Sicht der Wirtschaft ist das Gift“, sagte er. „Der Aufschwung, den sich alle wünschen, ist gefährdet, wenn sich die Kostensituation der Wirtschaft nicht verbessert.“ Während der Deutsche Industrie- und Handelskammertag stabile Beiträge als „das oberste Gebot“ bezeichnete, nannte der Deutsche Gewerkschaftsbund höhere Beiträge angesichts der Finanzlage „ objektiv unmöglich“.

Um dies doch noch zu vermeiden, sind verschiedene Sparmaßnahmen in der Debatte: Als sicher gilt in Koalitionskreisen, dass die Rentenerhöhung um ein halbes Jahr verschoben wird – von Mitte 2004 auf Anfang 2005. Experten rechnen damit, dass dies eine Milliarde Euro an Einsparungen bringt. Zudem soll das Finanzpolster der Rentenversicherung – die so genannte Schwankungsreserve – weiter abgeschmolzen oder ganz aufgelöst werden. Derzeit sind nach Angaben des Schätzerkreises nur noch 39 Prozent einer Monatsausgabe vorhanden, das entspricht 6,1 Milliarden Euro. Liquide sind davon aber nur 4,5 Milliarden Euro, der Rest entfällt auf die Wohnungsgesellschaft Gagfah. Die Grünen denken daher darüber nach, die Gagfah bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu parken. Ein Sprecher von Sozialministerin Schmidt dementierte, dass mit der KfW bereits Gespräche geführt würden.

In der Koalition gibt es zudem Überlegungen, Neurentnern ihre ersten Altersbezüge einen Monat später auszuzahlen. Das würde 750 Millionen Euro bringen. Problematisch ist aber, dass der Bundesrat, und mithin die Union, zustimmen müsste. CDU und CSU haben bereits Widerstand angekündigt. „Weil die Union blockiert, würden wir darauf lieber verzichten“, sagt SPD-Fraktionsvize Gudrun Schaich-Walch dem Tagesspiegel.

Als Sparmaßnahme bleibt eine höhere Beteiligung der Rentner an ihren Krankenkassen- oder Pflegebeiträgen. Da derzeit die Rentenkassen analog zu den Arbeitgebern die Hälfte des Beitrags zahlen, würde eine Verschiebung der Anteile die Rentenkassen entlasten. Für die Pflege wird in der Koaliton das Vorbild Sachsen diskutiert. Weil dort bei der Einführung der Pflegeversicherung kein Feiertag abgeschafft wurde wie in den anderen Bundesländern, zahlen die Versicherten 1,3 Prozent der Beiträge, die Arbeitgeber nur 0,4 Prozent. Würde diese Regelung bundesweit für alle Rentner eingeführt, ließen sich 600 Millionen Euro sparen. „Höhere Pflegebeiträge für Rentner dürfen kein Tabu sein“, sagte der SPD-Wirtschaftspolitiker Rainer Wend dem Tagesspiegel. Die Rentenbeiträge dürften auf keinen Fall angehoben werden. „Es wäre ein fatales Signal in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation, wenn wieder die Lohnnebenkosten steigen“, sagte Wend.

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