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Das Blatt gewendet. Bayern Ministerpräsident Seehofer (CSU) zeigt sich am Freitag in einem Dorf bei Neuburg an der Donau. Foto: dpa

© dpa

Energiewende: Horst Seehofer im Land der Mördertrassen

Bayerische Dörfer wehren sich gegen neue Stromautobahnen. CSU-Chef Seehofer spielt eine Doppelrolle - und stellt sich an die Spitze der Protestbewegung. Eine Reportage.

Es wirkt, als ob dieser hochgewachsene Mann mit grauem Haar, der auf dem Kirchplatz von Bergen das wacklig wirkende Podium erklimmt, so etwas wie der Anführer ist. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Trasse nicht kommt“, ruft er vergangenen Freitag den 500 Demonstranten zu. „Lassen Sie sich nicht besänftigen!“ Auch in Zukunft, so meint er, sollten die Menschen in diesem 389-Einwohner-Dorf und anderswo sagen können: „Es ist ein Glück, in Bayern zu leben.“ Applaus, Applaus.

Der Mann, der sich so auf die Seite der Protestler schlägt, ist Horst Seehofer, Bayerns Ministerpräsident und Chef der CSU. Es ist der Horst Seehofer, der im fernen Berlin mehrfach erklärte, er sei Unterstützer der Energiewende – jenem Projekt, das die Bundeskanzlerin zum wichtigsten dieser Regierung erklärt hat und das nach Ansicht praktisch aller Fachleute nur gelingen wird, wenn das Stromnetz in Deutschland stark ausgebaut wird. Der Mann, der so zu seinen bayerischen Landsleuten spricht, ist auch Chef einer Partei, deren Bundesminister am Dienstag im Kabinett für die Novelle des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG), dem Kernstück der Energiewende, stimmen sollen. Oder nicht?

"Kein Todesstreifen durchs Schuttertal"

Seehofer nämlich hat ein Problem: In Teilen des Freistaates hat der Protest gegen die geplanten Stromautobahnen längst die kritische Masse erreicht – die Leute wehren sich konkret gegen den Bau der sogenannten „Gleichstrom-Passage Süd-Ost“, die von Sachsen-Anhalt durch Thüringen und Franken bis ins bayerisch-schwäbische Meitingen bei Augsburg verlaufen soll. Geplant ist eine Starkstrom-Trasse mit 70 Meter hohen Masten, die im Zuge des Ausstiegs aus der Atomkraft und der Reform EEG den Strom aus Wind- und Solarparks sowie Braunkohle nach Bayern befördern soll. Der Freistaat braucht die Energie dringend, denn bis 2022 sollen die vier noch laufenden Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Ansonsten, so sagen die Planer, könnten die Lichter ausgehen, Bayerns Industrie würde schlicht Strom fehlen.

In Bergen ist man unter sich, an diesem Vormittag als der Ministerpräsident spricht. Im Biergarten fließt das erste Helle, in vielen Gärten weht die Bayern-Flagge. Und auf Plakaten stehen Slogans wie „Kein Todesstreifen durchs Schuttertal“.

Vom Seehofer zum "Drehhofer"

Bergen ist ein Ortsteil von Neuburg an der Donau in Seehofers Landtagswahlkreis. Die nächste größere Stadt ist Ingolstadt 25 Kilometer östlich. Um eine Ahnung zu bekommen, was Mega-Masten für die Menschen hier bedeuten, muss man nur ein paar Meter aus dem Ort hinauslaufen ins Schuttertal: Die Wiesen sind satt grün, die Wege entlang des Flüsschens ein Eldorado für Wanderer, Jogger, Radler. Bergen liegt am neuen Jakobsweg, Ziel der Pilger ist das spanische Santiago de Compostela. Genau durch dieses Schuttertal soll die Trasse mit ihren „Monstertürmen“, wie Gegner hier sagen, verlaufen. Die Angst geht um vor Elektrosmog, vor dem lauten Surren, vor Unfällen. An einem Haus steht ein Schild: „Gott schütze den Lebensraum unserer Kinder.“ Transparente warnen vor der „Mördertrasse“.

Nach Seehofers flammender Rede sagt ein älterer Mann: „Jetzt muss man es ihm nur noch glauben.“ Denn eben jener Horst Seehofer habe ja in Berlin als Vorsitzender der Regierungspartei CSU all das mit beschlossen, was er nun auf dem Kirchplatz im Angesicht der mächtigen Wallfahrtskirche Heilig Kreuz heftig kritisiert. Manche Plakate fordern ihn auch auf, er möge nicht, wie schon so oft, zum „Drehhofer“ werden.

Drei neue Trassen von Nord nach Süd sind geplant

Dass die Trasse zum Problem wird, wurde den CSU-Strategen spätestens Ende Januar auf einer Demonstration im oberfränkischen Kulmbach und bei einer Informationsveranstaltung in Nürnberg klar. Der Trassenbetreiber, die aus dem RWE-Konzern ausgegliederte Firma Amprion mit Sitz in Dortmund, wollte dort rund 1000 Bürgern ihre Pläne erklären. Die Strom-Männer wurden aber beschimpft und niedergebrüllt, die Veranstaltung fast abgebrochen. Ihnen wurde „Profitgier“ unterstellt. Seither schlagen Bayerns Regierende neue Töne an. Vor drei Jahren noch hatte der heutige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, damals noch CSU-Generalsekretär, gesagt: „Die Neinsager, die gegen Pumpspeicherkraftwerke oder neue Stromtrassen sind“, sollten ihre Blockadehaltung aufgeben.

Insgesamt sind drei neue Trassen von Nord nach Süd geplant: Neben der Gleichstrom-Passage Süd-Ost ist dies die sogenannte „Ultranet“ im Westen, sie soll von Emden in Ostfriesland zum Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg verlaufen. Und die Trasse „Suedlink“ ist von Schleswig-Holstein bis in die Nähe von Heilbronn geplant. Seehofer argumentiert nun: Die Trasse durch Bayern sei nicht nötig, weil es dort schon genug Stromleitungen gibt.

Allein entlang der Trasse „Süd-Ost“ gibt es Dutzende Bürgerinitiativen. In Bergen sind alle Einwohner über 14 Jahren Mitglied. Zum Kirchplatz ist auch Birgit Baumgärtner aus Tauberfeld bei Eichstätt angereist. „Bei uns machen doch viele Leute Urlaub“, sagt sie, „man kann die Natur nicht zerstören.“ Das Altmühltal wäre betroffen, und das Donautal. Die Betreiber folgen der Logik, wonach man die Leitung da bauen sollte wo wenige Menschen leben und das Protestpotenzial nicht so groß sein dürfte. „Der Seehofer ist halt ein redegewandter Profi“, meint Reinhold Trost aus dem 40 Kilometer entfernten Pfahldorf. „Die Ortschaften müssen sich erheben.“ Doch wie soll es dann gehen mit der Energiewende, dem Atomausstieg? „Vor allem mit Biomasse und mit Windkraft“, sagt Trost.

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