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Wirtschaft: „Ich spiele im Zweifelsfall auch den Minenhund“

Arbeitsamts-Chef Florian Gerster will sich wieder stärker in die Reformdebatte einmischen und über Leistungen diskutieren

Herr Gerster, Wirtschafts und Arbeitsminister Wolfgang Clement hat in seiner ersten Rede vor dem Bundestag gesagt, die Arbeitsverwaltung wird revolutioniert. Was ist denn für Sie die Revolution?

Wir wollen mit der Bundesregierung Zielvereinbarungen treffen. Wir brauchen dann aber auch die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie wir die Ziele erreichen. Das ist die Revolution. Wir brauchen von der Politik den Vertrauensvorschuss, dass wir mit unserer Freiheit kein Schindluder betreiben.

Wie wollen Sie Ihre Freiheit nutzen, wenn Sie im kommenden Jahr vier Milliarden Euro im Haushalt einsparen müssen?

Der Gesetzgeber hilft uns dabei. Nach den bisherigen Gesetzentwürfen werden wir mehrere Milliarden Euro bei den Pflichtleistungen einsparen können. Darüber hinaus können wir bei den Ermessensleistungen etwas tun. Wir wollen Weiterbildungsmaßnahmen modularisieren und verkürzen. Auch im Eingliederungstitel...

...also etwa bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahme...

...wollen wir kürzen. Das darf aber nicht so tief einschneiden, dass ganze Strukturen in Ostdeutschland oder in strukturschwachen Regionen Westdeutschlands gefährdet werden. Wir können beispielsweise nicht in Görlitz alle ABM auslaufen lassen.

Aber schon in diesem Jahr laufen der BA die Ausgaben aus dem Ruder.

Unser Defizit wird über vier Milliarden Euro liegen. Ob bei 4,8 oder 4,5 kann keiner zurzeit sagen, weil noch ein Quartal fehlt. Aber die Dimension ist klar. Wir sind trotzdem bereit und in der Lage, für das nächste Jahr einen Haushaltsentwurf vorzulegen, der ganz oder weitgehend ohne Bundeszuschuss auskommt. Das geht auch bei einer Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt von über vier Millionen. Dabei müssen aber der Verwaltungsrat und der Gesetzgeber mitmachen. Und ich möchte kein Rollenspiel, in dem wir mutig sind, den Kugelhagel auf uns ziehen und Gewerkschaften und die öffentliche Hand dann sagen: So geht das nicht!

Clement will die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung schon 2004 senken.

Ich halte das für ein notwendiges Signal. Wenn es uns im Jahr 2004 als erstem Zweig der Sozialversicherung gelingt, einen Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten zu leisten, wäre das gut.

Die Bundesregierung will bei der Arbeitslosenhilfe sparen, indem sie Vermögen und Einkommen des Partners stärker anrechnet. Kann man das den Menschen zumuten?

Es wird ja Rücksicht genommen auf die tatsächliche soziale Lage. Die Arbeitslosenhilfe ist eine gestaltbare, steuerfinanzierte, bedürftigkeitsorientierte Leistung. Wer den Sozialstaat reformieren will, ohne Standards anzutasten, kommt nicht weit.

Heißt das auch, dass Kürzungen beim Arbeitslosengeld nicht tabu sein dürfen? Sie hatten sich bei der Diskussion um die Hartz-Vorschläge dafür ausgesprochen, die Bezugsdauer, die derzeit bis zu 32 Monate beträgt, stark einzuschränken.

Ich muss es akzeptieren, wenn zwei große Volksparteien und einer der einflussreichsten Tarifpartner sagen: Da gehen wir jetzt nicht ran. Wer aber älteren Arbeitnehmern bis zu fast drei Jahre stabile Lohnersatzleistungen anbietet und das mit Abfindungen kombiniert, der legt den Ausstieg aus dem Arbeitsleben vor der Zeit nahe. Unser Sozialstaat setzt zum Teil falsche Anreize. Wer das bestreitet, kennt die soziale Wirklichkeit nicht. Wir geben jetzt Geld aus, das spätere Jahrgänge nicht aufbringen können. Dann muss viel schmerzlicher eingespart werden.

Bringt der Hartz-Gesetzentwurf Ihnen die Arbeitserleichterung, die Sie sich wünschen?

Der Gesetzentwurf bringt Kostenentlastungen an vielen Stellen. Außerdem baut er Bürokratie ab. Ein Beispiel: Die Pflicht zur Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises wird abgeschafft. Das war ursprünglich mal zur Bekämpfung der Schwarzarbeit gedacht, funktioniert aber nicht und bindet Kräfte an der falschen Stelle.

Können Sie jetzt nach den Wahlen auch wieder deutlichere Worte sprechen?

Über meine Rolle gab es Missverständnisse. Ich habe kein Interesse, mich zum Konkurrenten eines Ministers zu machen. Ich weiß sehr wohl, dass meine Aufgabe in erster Linie ist, die Bundesanstalt für Arbeit (BA) zu einem modernen Dienstleister zu machen. Aber in zweiter Linie – und das hat der Kanzler auch im Februar gesagt – habe ich die Aufgabe der Politikberatung und der Beteiligung an der Reformdebatte. Im Zweifelsfall spiele ich auch mal den Minenhund.

Wie viel Zeit gibt Ihnen die Politik für den Umbau der Behörde?

Bei der Privatisierung von Bahn und Post haben sich die Akteure zehn Jahre Zeit gegeben. Wir bekommen für den Umbau im Kern zwei Jahre. Bis die neue BA funktioniert, noch einmal zwei bis drei Jahre. Ich halte das für vertretbar. Wir werden ja nicht privatisiert. In fünf Jahren kann die Reform ihre volle Wirkung entfalten.

Was heißt denn das in Zahlen?

Ich beteilige mich nicht an Zahlenspielen. Ich will nur ein Beispiel nennen: Vermittlungsorientierte Zeitarbeit soll nach Hartz 500 000 Menschen zusätzlich in Arbeit bringen. Insgesamt haben wir in Deutschland derzeit nur 300 000 kommerzielle Zeitarbeitsplätze. Die Vorstellung, man könnte weitere 500 000 unterbringen, ist nur zutreffend, wenn man wirklich jede Regulierung abschafft, und das hängt stark von der wirtschaftlichen Entwicklung ab.

Wer soll denn die Arbeitslosen verleihen?

Wir wollen Aufträge an Dritte vergeben und wehren uns dagegen, die Zeitarbeit unter das Dach der BA zu nehmen. Die Leiharbeitnehmer wären von vornherein stigmatisiert. Kommerzielle Firmen könnten sie jedoch mit ihrer normalen Klientel mischen. Sie könnten Arbeitslose auch mit besonderen Anreizen anbieten, zum Beispiel für eine Probebeschäftigung von zwei Monaten, ohne dass der Betrieb dafür etwas zahlen muss.

Sollten die privaten Firmen Tarifverträge abschließen?

Ja. Allerdings muss man realistisch bleiben. Wenn für die Zeitarbeiter das Lohnniveau des Entleihbetriebes gilt – wie es die Gewerkschaften fordern –, dann muss man viele andere Anreize bieten, damit überhaupt ein Arbeitsloser mit Vermittlungshemmnissen übernommen wird. Oberstes Ziel der Personal-Service-Agenturen ist es, die Zeitarbeiter in Dauerbeschäftigung zu führen. Von den Gewerkschaften wird die vermittlungsorientierte Zeitarbeit noch als Gefahr für Stammbelegschaften und für tarifvertragliche Regelungen wahrgenommen. Wenn die vermittlungsorientierte Leiharbeit nicht mehr Beschäftigung bringt, stehen wir als Versager da. Ich lasse mich ungern als Versager ohne wirkliches Verschulden behandeln.

Braucht man Weiterbildungsmaßnahmen, wenn Menschen in Personal-Service-Agenturen und im Job qualifiziert werden?

Die Weiterbildung wird sich wandeln. Daraus ergeben sich Einsparmöglichkeiten. Vor allem muss es mehr Wettbewerb geben. Ein Arbeitsloser muss zwischen verschiedenen Anbietern wählen können. Die gesamte Branche muss sich umorientieren. Viele der alten Instrumente stehen auf dem Prüfstand. Die Bundesregierung wird mit unserer Unterstützung am Ende des Jahres sorgfältig prüfen, ob wir noch Vermittlungsgutscheine in der derzeitigen Form brauchen.

Peter Hartz glaubt, die Arbeitslosigkeit in drei Jahren halbieren zu können.

Die Arbeitslosigkeit lässt sich halbieren. Auf einen Zeitpunkt dafür lege ich mich nicht fest. Ich bin aber überzeugt davon, dass ich das in meinem Berufsleben noch erlebe.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Antje Sirleschtov.

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